Digitale Verwaltung: Wann wird sie endlich wahr?
Mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) aus dem Jahre 2017 sollten bis Ende 2022 Antragsleistungen der öffentlichen Verwaltungen aus Bund, Land und Kommunen für Bürgerinnen und Bürger wie für Unternehmen und Arbeitgeber über digitale Antragswege im Internet angeboten werden.
Darüber hinaus wurden Portallösungen wie die Sozialplattform in Nordrhein-Westfalen initiiert, die über den eigentlichen Auftrag des OZG hinausgehen und neben Anträgen ein Informationsangebot zu den staatlichen Leistungen und eine direkte fachliche Online-Beratung über Beratungsstellen (zum Beispiel aus der freien Wohlfahrtspflege) ermöglichen sollen.
Bund und Länder sind weit hinter dem ursprünglichen Plan zurückgeblieben, bis Ende 2022 einen substanziellen Teil der 575 identifizierten Verwaltungsdienstleistungen online anzubieten. Bis heute sind erst wenige Leistungen flächendeckend verfügbar. Gründe hierfür sind vielfältiger Natur und reichen von der föderalen Struktur der Bundesrepublik über fehlende Standards bis hin zur Finanzierung.
In der verbandlichen Caritas wurde frühzeitig erkannt, dass das OZG auch Auswirkungen auf das Umfeld und die Arbeit der Caritas hat. Ob in der Rolle der Anwältin für Bürger:innen, als Arbeitgeberin, im Umfeld der Sozialberatungsleistungen oder als Teil der Leistungskette in den Prozessen der öffentlichen Verwaltung: Die Caritas wird an vielen Stellen durch die Ausgestaltungen und Entwicklungen rund um das OZG tangiert. Zum verbandsinternen, regelmäßigen Austausch wurde daher ein OZG-Themennetzwerk eingerichtet, dessen Ergebnisse über das CariNet verfügbar gemacht werden (am einfachsten über eine Stichwortsuche nach "OZG" zu finden). Darüber hinaus hat die Caritas einen engen Austausch auf Bundes- und Landesebene mit anderen Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und an vielen Stellen auch mit den jeweiligen Landesministerien aufgebaut.
OZG 2.0: Das Nachfolgegesetz entfristet die Umsetzung
Zu Beginn des Jahres 2023 wurde vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) ein Referentenentwurf für ein Nachfolgegesetz (OZG 2.0) vorgelegt. Auf Basis dieses Entwurfs hat die BAGFW eine Stellungnahme an die zuständigen Ministerien abgegeben.1 Eine modifizierte Fassung des Entwurfs wurde mit Eckpunkten für eine moderne und zukunftsgerichtete Verwaltung Ende Mai durch das Bundeskabinett verabschiedet und soll nun den weiteren Weg in der Gesetzgebung durchlaufen.
Der Gesetzentwurf umfasst insbesondere folgende Neuerungen:
◆ Entfristung der Umsetzung;
◆ Bereitstellung zentraler Basisdienste durch den Bund, unter anderem Bürgerkonto (BundID) mit eigenem digitalem Postfach;
◆ faktische Abschaffung der Schriftform (Papierform) für die digitale Abwicklung durch Nutzung der digitalen Personalausweisfunktion;
◆ verbindliche Verankerung von Nutzer:innenfreundlichkeit und Barrierefreiheit;
◆ "Once Only"-Prinzip bei Nachweisen für einen Antrag (so kann etwa die Geburtsurkunde mit Einverständnis der antragstellenden Person elektronisch bei den zuständigen Behörden abgerufen werden);
◆ "Digital Only" für Beantragung unternehmensbezogener Verwaltungsleistungen bis in fünf Jahren;
◆ Dokumentation und Veröffentlichung von Standards und Schnittstellen für IT-Komponenten an zentraler Stelle durch das BMI.
Die Idee des OZG ist richtig und nach Anlaufschwierigkeiten weisen die bisherigen Schritte in der Umsetzung nicht nur in Richtung eines besseren Zugangs zur öffentlichen Verwaltung, sondern es konnten auch Themen wie eine durchgehende Digitalisierung und Standardisierung der öffentlichen Verwaltungsprozesse adressiert werden. In der föderalen Umsetzung wurden erstmals Methoden nach dem "Einer für alle" (Efa)-Prinzip eingesetzt (ein Bundesland entwickelt eine Leistung, andere können diese Entwicklungen nachnutzen und an ihre Kommunen weitergeben). Gleichwohl haben sich die Entwicklungen der letzten Jahre immer wieder in den föderalen Strukturen, Finanzierungs- und Standardisierungsprozessen verloren.
Es fehlt an einer Gesamtstrategie
Laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser soll der Gesetzentwurf zum OZG 2.0 die Digitalisierung der Verwaltung jetzt "einen großen Schritt" nach vorne bringen. Es erscheint aber fraglich, ob das einfach per Gesetz erreicht werden kann oder ob es nicht doch auf die Klärung von Vorgaben, Zuständigkeiten, Fristen und eine Gesamtstrategie ankommt.
Gerade die Entfristung des Gesetzes stößt auf erhebliche Zweifel. Es gibt keine Vorgaben mehr, wie schnell es jetzt bei der Umsetzung weitergehen soll. Dies trifft nicht nur die öffentliche Verwaltung, sondern auch die Planungen anderer in der Leistungskette, wie zum Beispiel die Caritas und die freie Wohlfahrtspflege. Eine Fristsetzung für 15 besonders wichtige Verwaltungsleistungen fällt allein in die Zuständigkeit und Finanzierung des Bundes. Hier werden die Probleme der föderalen Strukturen und Finanzierung auf Landes- und kommunaler Ebene nicht auftreten.
War das bisherige Gesetz nur als Ergänzung des analogen Wegs zur öffentlichen Verwaltung gedacht, so kommt mit der Aussage, dass Unternehmensleistungen in den nächsten fünf Jahren "Digital(ly) Only", also ausschließlich digital angeboten werden, eine neue Herausforderung auf die Digitalisierung der "Unternehmen der Caritas" zu.
Ungeachtet des Ringens um ein Nachfolgegesetz laufen die Entwicklungen der Sozialplattform durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) in NRW weiter. Über das Portal der Sozialplattform soll ein Überblick über die verschiedensten Sozialleistungen gegeben werden. Darüber hinaus sollen Leistungen online beantragt werden können oder auch eine fachliche Beratung über Beratungsstellen (auch der Caritas) möglich sein.
Auf der Sozialplattform sind nur einige Pilotkommunen aktiv
Seit März 2022 steht die Plattform als Beta-Version allen Bürger:innen zur Verfügung. Der Nutzungsgrad ist aktuell noch sehr eingeschränkt, da nur wenige Sozialleistungen abgebildet und nur einige Pilotkommunen auf der Plattform aktiv sind.
Wo keine Kommune angeschlossen ist, kann auch keine Leistung beantragt werden. Daher scheint sich das MAGS nun auf die Einbindung der kommunalen Verwaltungen zu konzentrieren, nachdem letztes Jahr vor allem um Beratungsstellen geworben wurde.
Ein fortlaufender Kritikpunkt bleibt die unzureichende Qualität der Adressdaten im Beratungsstellenfinder. Diese können beziehungsweise müssen nach Aussage des MAGS über ein Self-Service-Portal direkt durch die jeweilige angeschlossene Beratungsstelle gepflegt werden. Das MAGS verlagert also die Verantwortung (und Arbeit) ungefragt auf die Beratungsstellen. Weiter offen ist auch die Gestaltung des Vertrages, den die Beratungsstellen mit dem Betreiber der Sozialplattform zu schließen haben (nicht zuletzt, um den Schutz der Klient:innendaten zu gewährleisten!). Mitglieder des OZG-Themennetzwerks sind bestrebt, hier pilothaft eigene Erfahrungen zu sammeln und zu teilen, um so die Grundlage für eine Bewertung zu schaffen. Eine konkrete Rückmeldung des MAGS steht noch aus. In einem Briefing für die sozialpolitischen Sprecher:innen der Caritas sind die weiteren Kritikpunkte genauer aufgeschlüsselt (ebenfalls im CariNet abrufbar).
Ob sich die Sozialplattform in den föderalen Strukturen der Bundesrepublik und auf der kommunalen Ebene flächendeckend wirklich durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. Hier werden die nächsten Umsetzungsschritte, aber auch die Akzeptanz und die Nutzung auf kommunaler Ebene und die damit verbundenen Finanzierungen und Nachnutzungsvereinbarungen entscheidende Weichen stellen. Für die Beratungsstellen der Caritas bleibt zu entscheiden, inwieweit sie die Beratungsfunktionalität der Sozialplattform nutzen wollen oder auf die bewährte Online-Beratung der Caritas verlinken. Beim aktuellen Entwicklungsstand der Sozialplattform kann nur eine Verlinkung empfohlen werden.
"Digital Only" für Unternehmen kommt - auch für die Caritas
Egal ob OZG 2.0 oder Sozialplattform, die Caritas wird weiter am Ball bleiben müssen. Das heißt, sich sozialpolitisch und kritisch für die Klient:innen zu positionieren, aber auch produktiv Wissen einzubringen und gleichzeitig die eigenen Organisationen digital weiterzuentwickeln, um damit eine Anbindung an die digitalen Strukturen der öffentlichen Verwaltung zu schaffen ("Plattformfähigkeit").
Gerade mit dem "Digital Only"-Fokus für Unternehmensleistungen wird auch die Digitalisierung der Prozesse in der Caritas weiter voranschreiten müssen.
Mit Blick auf Bürger:innen in schwierigen Lebenslagen muss sich die Caritas weiter dafür einsetzen, dass diese leichter und schneller durch Sozialleistungen unterstützt werden, die ihnen rechtlich zustehen. Hier gilt es den Fokus darauf zu richten, wie lange die Bürger:innen noch eine Wahlfreiheit bezüglich eines analogen oder digitalen Verwaltungszugangs haben, und entsprechende Unterstützungsleistungen zu entwickeln und anzubieten. Öffentliche Verwaltungen müssen "mehrkanalfähig", also auf unterschiedlichen Kanälen, analog wie digital, erreichbar sein. Eine Bevorzugung oder Benachteiligung durch Nutzung analoger oder digitaler Kanäle darf nicht das Ziel sein.
- BAGFW: Entwurf zum Onlinezugangsgesetz bleibt hinter den Erwartungen zurück. In: neue caritas Heft 10/2023, S. 34-37.
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