Immer mehr Menschen suchen Rat
Die Preise in Deutschland steigen weiter und mit ihnen das Risiko von Überschuldung. Die Folge ist, dass auch die Nachfrage nach Schuldnerberatung zunimmt. In einer Erhebung der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) unter den gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen im April/Mai dieses Jahres berichteten zwei Drittel der Beratenden von einem deutlich höheren Bedarf als vor sechs Monaten. Bei jeder fünften der 456 an der Umfrage beteiligten Schuldnerberatungsstellen ist die Nachfrage um über 30 Prozent angestiegen.
Die Zahlen zeigen: Immer mehr Menschen brauchen Rat, weil das Geld nicht reicht. Die Einkommen halten nicht mit der Inflation Schritt. Gerade für Haushalte, die schon immer mit knappen Einkommensressourcen rechnen mussten, ist die Entwicklung fatal. Bisher kamen sie gerade noch über die Runden, aber die massiven Kostensteigerungen können sie kaum oder gar nicht kompensieren. Für Empfänger:innen von Bürgergeld zeichnet sich ein noch düstereres Bild ab. Die Leistungen sind zwar Anfang 2023 mit der Einführung des Bürgergeldes erhöht worden, aber dies reicht bei weitem nicht aus, da die Regelleistungen bis Ende 2022 defizitär waren. Einsparpotenziale sind für Bürgergeld- oder Sozialhilfeempfänger:innen praktisch nicht vorhanden. Die Kostensteigerungen gehen voll zulasten der ohnehin schon eingeschränkten Teilhabemöglichkeiten. Ratsuchende in den Beratungsstellen berichten, dass sie zunehmend auf den Einkauf in Tafeln oder Sozialkaufhäusern angewiesen sind. Tafeln sollten bestenfalls dazu dienen, eine kurzfristige akute Notsituation abzuwenden. Sie dürfen keine Einrichtung sein, auf die Menschen dauerhaft angewiesen sind.
Immer mehr Erwerbstätige unter den Ratsuchenden
In nahezu der Hälfte der Beratungsstellen kamen laut Umfrageergebnissen mehr Ratsuchende wegen Energieschulden als bei der vorherigen Befragung Ende 2022. In einem Viertel der Beratungsstellen sind die Anfragen wegen Mietschulden gestiegen. Es war zu erwarten, dass trotz Energiepreisbremse viele Haushalte große Probleme mit der Energierechnung bekommen würden. Beratungsstellen meldeten zurück, dass Ratsuchende sehr verunsichert sind und große Angst vor Energiesperren haben. Positiv ist dabei, dass sich betroffene Haushalte frühzeitig melden und nicht erst, wenn die Energiesperre kurz bevorsteht. Es bestätigte sich auch der Trend aus der Umfrage vom Winter, dass unter den Ratsuchenden 46 Prozent mehr Erwerbstätige nach Beratung fragten (s. Abb. 1, links). Dabei suchen Menschen Hilfe, die bisher bestenfalls in einer geordneten Verschuldungssituation waren. Sie hätten nie damit gerechnet, das ihr "Finanzgebäude" plötzlich ins Wanken geraten könnte. Die Verunsicherung und Sorgen der Betroffenen sind groß, sie brauchen dringend die Hilfe einer Schuldnerberatungsstelle und frühzeitige Beratung.
Schuldnerberatung für alle gefordert
In Deutschland haben nicht alle, die es nötig haben, Zugang zu einem solchen Angebot. Mancherorts dürfen sich nur Empfänger:innen von Sozialleistungen an eine Schuldnerberatungsstelle wenden; an anderen Orten führt eine unzureichende Finanzierung dazu, dass die Beratungsstellen überlastet sind und Ratsuchende lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Die AG SBV bekräftigte anlässlich der Aktionswoche Schuldnerberatung im Juni dieses Jahres ihre Forderungen nach einem gesetzlichen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung für alle und einer nachhaltigen Finanzierung von sozialer Schuldnerberatung.
Schuldenfalle "Buy now - pay later"
Angebote des "Buy now - pay later" (Kaufe jetzt - zahle später), die insbesondere seit der Pandemie durch Online-Händler intensiv beworben werden, gibt es immer häufiger. Berater:innen berichten, dass teilweise alltägliche Dinge wie Kosmetika nach diesem Prinzip gekauft werden. Vor allem jüngere Konsument:innen sind dafür empfänglich, in frühen Jahren Zahlungsverpflichtungen einzugehen, die sie später in die Schuldenfalle führen können - etwa wenn Unvorhergesehenes passiert wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Aus vorhersehbar kontrollierter Verschuldung wird schnell Überschuldung.
Info
Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatungsstellen der Verbände
Die Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatungsstellen der Verbände (AG SBV) vertritt etwa 1400 gemeinnützige Schuldnerberatungsstellen in Deutschland. Diese sind in Trägerschaft der Verbraucher- und Wohlfahrtsverbände oder der Kommunen beziehungsweise Mitglied in einem der Verbände (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Deutscher Caritasverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Deutschland, Verbraucherzentralen). Seit 2021 führt die AG SBV regelmäßige Umfragen unter den Schuldnerberatungsstellen durch, um Entwicklungen bei der Nachfrage, dem Profil der Ratsuchenden und den Beratungsanliegen zu erfassen. Detaillierte Ergebnisse der Erhebung unter: www.agsbv.de
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