Zukunft wird vor Ort gemacht
Die verbandliche Caritas im Jahr 2014: Damals (wie heute) waren die Fragen von Politik, Gesellschaft, Kirche, aber auch von den Mitarbeitenden selbst an die Caritas sehr grundsätzlicher Natur. Es ging darum, wie Kirche und ihre Caritas auch in Zukunft die Gesellschaft wirksam mitgestalten können. Eine manifeste Entkirchlichung der Gesellschaft ging und geht einher mit einem Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche, insbesondere bei jungen Menschen und in sozial benachteiligten Milieus, sowie mit Kirchenaustritten. Die abnehmende Relevanz der Kirche sowie der Missbrauchsskandal geben ausreichend Anlass, über die eigene gesellschaftliche Rolle und Bedeutung nachzudenken. Es lässt sich aber auch gesamtgesellschaftlich feststellen, dass Großorganisationen einem Bedeutungswandel unterliegen; ihre Bindungskraft nimmt ab, gleichzeitig wächst die ihnen entgegengebrachte Skepsis. Wohlfahrtsverbände sind nicht mehr Exklusivpartner für die Politik in der Hilfegestaltung. Zunehmend werden soziale Dienstleistungen durch die öffentliche Hand oder andere Anbieter erbracht. Neue Akteure und Wettbewerb im "Sozialmarkt" sowie eine Professionalisierung der sozialen Arbeit werfen die Frage auf, was die Kirchlichkeit caritativer Organisationen ausmacht, worin sie sich von nichtkonfessionellen Unternehmen oder Organisationen unterscheiden. Und durch den Rückgang an Pastoral ist vielerorts unklar, wo Kirche im Lebensraum der Menschen noch erlebbar ist.
Zukunftsdialog 2020 als Antwort auf gesellschaftlichen Wandel
Diese existenziellen Themen sollten innerhalb des Deutschen Caritasverbandes (DCV) in einem breiten Beteiligungsprozess aufgegriffen und grundsätzlich diskutiert werden. Die ergebnisoffene und partizipative Gestaltung des Projekts war neu. Nicht der Vorstand des DCV entwickelte strategische Ziele bis 2020, sondern die unterschiedlichen Ebenen des Verbandes sollten in diesen Prozess einbezogen werden, um die Caritas-Identität zu stärken, richtige und wichtige Zukunftsthemen zu identifizieren und Interesse am Gesamtverband zu wecken.
Gestartet wurde die Debatte auf sechs regionalen Zukunftsworkshops. Aus ihnen gingen die "Wegmarken" als wichtige Zukunftsthemen hervor, die auf Empfehlung der Delegiertenversammlung die Grundlage für die verbandliche Weiterentwicklung bis zum Jahr 2020 bilden sollten. In einigen Diözesen wurden diese diskutiert, adaptiert, in Führungsleitlinien oder Verbandsentwicklungsprozesse übernommen und bestenfalls auch umgesetzt. Entwicklerworkshops vertieften die groben Linien der einzelnen Wegmarken. Anhand von sogenannten Dialogboxen, wurden einzelne Aspekte in Gesprächsangebote für die Alltagsarbeit übersetzt. Die regionale Verortung des Prozesses wurde aufgrund der großen Diversität im Verband wertgeschätzt. Ebenso geschätzt wurde die intensive Beteiligung des Vorstandes. Regelmäßige Rückkoppelungen in die Organe des Verbandes sorgten für gute Kommunikationsflüsse und eine Eingebundenheit im Gesamtverband. Ein Nerv wurde getroffen, Bedarfe wurden bedient.
Die "Feuer-und-Flammen-Tour" bot Raum für Austausch
Strategische Weiterentwicklung braucht Plattformen für Austausch, Konzeption und Planung in den jeweiligen Verbänden vor Ort wie auch bundesweit. Dafür stellte sich die "Feuer-und-Flammen-Tour" als ein weiterführendes Angebot im Rahmen des Zukunftsdialogs Caritas 2020 heraus.
Eine Lücke im Projekt klaffte aus Sicht der Zentrale noch bei den örtlichen Verbänden. Die Idee war geboren: Projektmitarbeiter(innen) sollten mit den Wegmarken, erweitert um die Themen Digitalisierung und Integration, auf Tour gehen und sie dort diskutieren, wo die soziale Arbeit täglich stattfindet, und mit denen, die sie erbringen. Ziel war, die Mitarbeitenden über die von ihnen als relevant identifizierten Themen miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Themen, die Auswahl der Teilnehmer(innen) und der inhaltliche Zuschnitt wurden vor Ort entschieden. Das Projektteam gestaltete die Veranstaltung konzeptionell. Motivierende, partizipative und abwechslungsreiche Veranstaltungen sollten es werden. Dazu eine inhaltliche Einführung, vertiefende Stimmen auch von Externen sowie eine filmische Zusammenfassung.
So unterschiedlich die Verbände aufgestellt und strukturiert sind, so unterschiedlich verliefen auch die Veranstaltungen. Sie fanden in einer Turnhalle statt oder in einer Stadthalle, in Gemeindezentren, Hotels oder einem Soldatenfreizeitheim. Mal waren spezifisch ausgewählte Zielgruppen eingeladen (Führungskräfte oder junge Mitarbeitende oder gezielt Personen der Pastoral), mal luden Verbände breit Mitarbeitende, aber auch Ehrenamtliche ein. An vielen Standorten begleiteten Mitglieder des Vorstands des DCV oder des jeweiligen Diözesan-Caritasverbandes die Veranstaltung.
Vielfältige Settings vor Ort
Inputs von externen Stakeholdern (beispielsweise Arbeitsagentur oder Landtagsabgeordnete) bereicherten mit ihrem frischen und unverblümten Blick die Erkenntnisse deutlich. Je nach Zielsetzung unterschied sich auch die Teilnehmerzahl beträchtlich. In manchen Orten kamen knapp 20 gezielt Eingeladene, in anderen Verbänden 150 Personen. Die Anzahl korrelierte in keiner Weise mit der Wirksamkeit. So bot ein überschaubarer Rahmen eher die Möglichkeit, Hindernisse anzusprechen, Beweggründe zu thematisieren und konkrete Absprachen für die Zukunft zu treffen.
Thematischer Spitzenreiter war mit 14 Veranstaltungen die Arbeitgeberattraktivität, ein relevantes Thema für Diözesan-Caritasverbände wie für Ortsverbände gleichermaßen. Jeweils sieben Veranstaltungen fanden zu den Themen "Caritas als sozial- und gesellschaftspolitischer Akteur" sowie "Caritas als verortete und sichtbare Kirche" statt, Letztere vor allem in der Diözese Münster. Zum Thema "Caritas in der digitalen Welt" gab es vier Veranstaltungen.
Die Tour kam hervorragend an
Die Resonanz war trotz anfänglicher interner Skepsis überwältigend. Innerhalb von drei Wochen waren alle angebotenen Tourtermine ausgebucht, eine Verlängerung um drei Monate wurde beschlossen. Kolleg(inn)en vor Ort fanden insbesondere den Anstoß durch die Zentrale hilfreich. Die angebotene Unterstützung durch Werbematerialien und Moderation wurde ebenso geschätzt wie die (Mit-)Gestaltungsmöglichkeiten bei den Inhalten, der Raumgestaltung und der Auswahl der Zielgruppe. Die Veranstaltung schuf einen außergewöhnlichen Rahmen, um strategische Überlegungen vorantreiben zu können - eine Aufgabe, die sonst leicht im Alltagsgeschehen unterzugehen droht.
Auf die nach der Tour in einer Umfrage gestellte Frage, was die Teilnehmer(innen) bewogen hat, sich an der "Feuer-und-Flammen-Tour" zu beteiligen, nannten 41 Prozent der Organisator(inn)en vor Ort die Partizipation an einem verbandsweiten Diskurs. Vor allem Orts-Caritasverbände im ländlichen Raum schätzten dies. Mehrere der Befragten fanden die Veranstaltung hilfreich zur Unterstützung eigener Prozesse vor Ort (diakonische Kirchenentwicklung, Organisations-/Personalentwicklungsprozess, strategische Ziele). Rund 90 Prozent der Befragten waren mit der Themenauswahl zufrieden. Befragt nach einzelnen Veranstaltungselementen fanden 76 Prozent die Arbeit in Kleingruppen besonders anregend. Sehr geschätzt wurde auch die Methodenvielfalt, der thematische Input und das Interview. Im persönlichen Feedback wurden "die Plenen und Rückmeldungen" sowie der Austausch zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen besonders positiv hervorgehoben. Mehr als zwei Drittel der Befragten bestätigten, dass ihre mit der Veranstaltung verbundenen Ziele erreicht wurden.
Die Möglichkeit des direkten Gesprächs zwischen OCVs und DCV wurde besonders positiv hervorgehoben. In mehreren Rückmeldungen wurde betont, dass der Kontakt zur Ortsebene für den DCV wichtig sein müsse, denn "da spielt die Musik". Umgekehrt wurde das Gefühl, gesehen zu werden und Mitglied der Caritas-Familie zu sein, gerade von kleineren Verbänden sehr geschätzt.1
Zusammenhalt hat Zukunft
Der Zukunftsdialog Caritas 2020 war der Versuch einer Antwort darauf, wie in Zeiten mit stark wirkenden Zentrifugalkräften ein heterogener Verband zusammengehalten werden kann. Der Wunsch, Teil eines größeren Ganzen zu sein, ist spürbar, dennoch sind auch Erosionsprozesse zu erkennen. Der Wandel einer stark hierarchisch ausgerichteten Organisation hin zu einer noch nicht ausgebildeten Netzwerkformation ist unumkehrbar. Verbindlichkeit schwindet, die Nutzenorientierung wächst. Je weniger Selbstverständlichkeiten vorhanden sind, desto mehr muss Zusammenhalt gelebt, der Verband erlebbar werden. Themenzentrierte, partizipative Veranstaltungen, Mitbestimmungsmöglichkeiten, gemeinsame Erlebnisse, projektorientierte Aktivitäten in begrenzten Zeiträumen werden immer wichtiger.
Zahlen und Reichweite der "Feuer-und-Flammen-Tour"
- 35 Tour-Standorte
- vier Veranstaltungsthemen
- vier Filme auf youtube
- Teilnehmer(innen)zahl pro Veranstaltung: 18 bis 150
- Teilnehmer(innen)zahl ingesamt: circa 1500
- 23 Veranstaltungen bei Diözesan-Caritasverbänden
- neun Veranstaltungen bei Orts-Caritasverbänden
- zwei Veranstaltungen in der DCV-Zentrale
- ein Input bei der Delegiertenversammlung
- 15 Veranstaltungen mit Vorstandsbeteiligung
- 35.000 zurückgelegte Kilometer (fast ausschließlich im Zug, ohne Einrechnung der Vorstandsbeteiligung)
Anmerkung
1. Mehr Ergebnisse der "Feuer-und-Flammen-Tour" gibt es bei der digitalen Projektabschlussveranstaltung am 16. September 2020. Unter dem Titel "Unser wewewe in der Zukunft: Von Wesen, Wegmarken und Werten der Caritas" eröffnen Ulrich Weinberg, Professor am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam und Leiter der HPI School of Design Thinking, sowie Prälat Peter Neher, Präsident des DCV, einen Blick in die Zukunft. Hier weitere Informationen und Anmeldung.
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