Wirtschaftliche und digitale Strategien in der Covid-19-Pandemie
Bereits im vergangenen Jahr hat die Bank für Sozialwirtschaft (BfS) in Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) eine Erhebung zur digitalen Strategie der freien Wohlfahrtspflege durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie zum "Erfolgsfaktor Digitalisierung" haben die hohe Bedeutung von differenzierten Kooperationsstrategien und die damit verbundene verbandliche Innovationsbereitschaft in der Caritas und der freien Wohlfahrtspflege insgesamt aufgezeigt.1
Im Mai und Juni 2020 hat die BfS in Abstimmung mit der BAGFW, dem Deutschen Verein und dem Bundesverband privater Anbieter Dienste und Einrichtungen freigemeinnütziger, öffentlicher und privatgewerblicher Träger im Sozial- und Gesundheitswesen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie befragt2; an dieser Erhebung haben sich insgesamt 954 Dienste und Einrichtungen beteiligt. Auf Wunsch des Deutschen Caritasverbandes (DCV) hat die BfS eine Sonderauswertung zu den Daten aus der freien Wohlfahrtspflege (FW) zur Verfügung gestellt.
Wirtschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie
Die Pandemie hat erhebliche Auswirkungen auf die Auslastung der Dienste und Einrichtungen, je nach Arbeitsfeld und Einrichtungsart jedoch in sehr unterschiedlichem Umfang: So geben zwei Drittel der Befragten einen Rückgang der Auslastung für die Tagespflege an, für die Einrichtungen des Betreuten Wohnens für Senior(inn)en sind dies nur knapp acht Prozent. Als vorwiegende Gründe für die Auslastungsprobleme werden von circa 71 Prozent rechtliche Rahmenbedingungen wie behördlicher Belegungsstopp, Quarantänemaßnahmen und das Freihalten von Belegungskapazitäten für die Notfallversorgung benannt. Die freie Wohlfahrtspflege war von diesen Maßnahmen in höherem Maße betroffen (79,1 Prozent). Der Rückgang der Nachfrage wird von knapp 40 Prozent der Befragten als Auslöser für die geringere Auslastung (FW nur 36 Prozent) angeführt. Fehlendes Personal wird von knapp 22 Prozent der Teilnehmer(innen) als Grund benannt.
Für viele Dienste und Einrichtungen gehört die Sicherung der Liquidität zu den zentralen wirtschaftlichen Herausforderungen in der Corona-Krise; circa zwei Drittel der Teilnehmer(innen) gehen davon aus, dass sich ihre Liquidität durch die Pandemie verringern wird. Die freie Wohlfahrtspflege wird voraussichtlich in höherem Maße von Liquiditätsengpässen betroffen sein (FW 71,23 Prozent).
Online-Beratung ist besonders relevant
Vor dem Hintergrund der bereits eingetretenen und der erwarteten Belastungen durch die Pandemie rechnen rund 58 Prozent der Befragten mit Umsatzeinbußen von mehr als zehn Prozent; gleichzeitig gehen mehr als 53 Prozent davon aus, dass bedeutende Mehrinvestitionen auf sie zukommen werden, zum Beispiel in den Bereichen bauliche Maßnahmen, Ausstattung, Personal und Digitalisierungsangebote. Von dieser Kluft zwischen reduzierten Umsätzen bei gleichzeitig höherem Investitionsbedarf sieht sich die freie Wohlfahrtspflege in noch etwas höherem Maße betroffen (2,8 und 1,1 Prozentpunkte höher).
Die Inanspruchnahme der Corona-Schutzmaßnahmen konzentriert sich vor allem auf das Kurzarbeitergeld, die Unterstützungsleistungen aus dem Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz und den Sozialschutz-Paketen sowie auf die Programme der Landesregierungen. Zwischen 40 bis 50 Prozent der Befragten geben an, bereits entsprechende Anträge gestellt zu haben oder dies zu planen. Die Sozialschutzpakete und das Kurzarbeitergeld haben für die freie Wohlfahrtspflege besondere Bedeutung, deren Inanspruchnahme liegt jeweils um circa acht Prozentpunkte höher als im Gesamtsample. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass zahlreiche freigemeinnützige Träger darauf verwiesen worden sind, vor der Inanspruchnahme der Schutzschirme Anträge auf Kurzarbeitergeld zu stellen.
Deutlicher Schub für die Digitalisierung durch die Pandemie
Fast zwei Drittel der Teilnehmer(innen) erwarten infolge der Corona-Pandemie insgesamt einen hohen beziehungsweise sehr hohen Schub für die Digitalisierung; in der freien Wohlfahrtspflege liegt dieser Wert deutlich höher (71,1 Prozent). Dabei wird auf ein breites Spektrum an digitalen Anwendungen verwiesen, in dessen Mittelpunkt webbasierte Anwendungsformate stehen: Knapp 87 Prozent sehen digitale Bildungsplattformen als Unterstützung für die Bewältigung der Krise, fast ebenso viele den Ausbau der Hard- und Software. Knapp 76 Prozent bewerten die Online-Beratung als besonders relevant (FW 78,05 Prozent). Dies entspricht den Erfahrungen der Caritas, die seit der Pandemie einen enormen Zuwachs an Aufrufen und an Berater(inne)n in ihrer Online-Beratung erfahren hat.
Viele Dienste und Einrichtungen haben während der Pandemie mit Hilfe digitaler Tools versucht, ihre Arbeit aufrechtzuerhalten oder zu erweitern. Neben dem Ausbau von Hard- und Software wurde dies insbesondere mit dem Informationsaustausch über die Einführung und Gestaltung neuer Formate geleistet. Die Ergebnisse der freien Wohlfahrtspflege liegen hier bei 75,23 Prozent und damit um 8,8 Prozentpunkte höher als das Gesamtsample der Teilnehmer(innen). Auch das Intranet der eigenen Organisation wird als ein wesentliches Instrument zur Bewältigung bewertet (66,7 Prozent des Gesamtsamples; 70,68 Prozent der FW). Dies bestätigt die hohe Inanspruchnahme der Caritas-Infobörse und die Bedeutung der vielfältigen Austauschrunden, die auf allen verbandlichen Ebenen etabliert beziehungsweise ausgebaut worden sind. Allerdings werden erforderliche Investitionen in den Ausbau der Hard- und Software in der freien Wohlfahrtspflege ebenfalls mit über 73 Prozent noch höher eingeschätzt als vom Gesamtsample der Teilnehmer(innen) (68,0 Prozent).
Unterstützung für Ausbau und Nutzung digitaler Tools ist nötig
Der hohen Bedeutung der Digitalisierung und des Ausbaus digitaler Tools stehen allerdings zahlreiche Hürden entgegen: die unzureichende Finanzierungsbasis über Hilfsprogramme, zu wenig Personalkapazitäten für die Umsetzung sowie der Mangel an Ausstattung mit Hardund Software. Die Befragten der freien Wohlfahrtspflege bewerten diese Faktoren in höherem Maße als Hemmnisse für ihre digitale Transformation (fünf bis sieben Prozentpunkte höher). Da die freie Wohlfahrtspflege nicht auf Gewinnrücklagen zurückgreifen kann, ist sie in höherem Maße auf eine Refinanzierung durch die öffentliche Hand angewiesen ist, um die Herausforderungen der Digitalisierung bewältigen zu können. Auch juristische Fragen stellen für mehr als die Hälfte der Befragten eine wesentliche Herausforderung (zum Beispiel zu Datenschutzfragen) dar. Eine vergleichsweise geringe Hürde wird dagegen in der Akzeptanz bei Mitarbeitenden, Kunden und Angehörigen gesehen.
Das Personal als hohe Ressource für die Bewältigung der Pandemie
Das außergewöhnliche Engagement der Mitarbeiter(innen) ist für den Großteil der Befragten eine wesentliche Stütze in der Bewältigung der aus der Pandemie resultierenden Mehrbelastungen: 86 Prozent der Teilnehmer(innen) der freien Wohlfahrtspflege geben dies an (79,3 Prozent im Gesamtsample).
Dabei haben sich die Anforderungen an das Personal durch die Pandemie in verschiedenen Bereichen deutlich erhöht: Fast 80 Prozent der Teilnehmer(innen) der freien Wohlfahrtspflege sehen vorrangig den Ausbau digitaler Kompetenzen als wesentlichen Faktor (Gesamtsample 73,2 Prozent). Auch einer größeren Flexibilität bezüglich der Einsatzfelder, Arbeitszeiten und technischen Anwendungen wird hohe Bedeutung beigemessen (77 Prozent der freien Wohlfahrtspflege, Gesamtsample 75,1 Prozent). Die Personalentwicklung wird daher - neben dem Ausbau digitaler Tools - einer der zentralen Entwicklungsbereiche sein, um für die Herausforderungen der Pandemie gewappnet zu sein.
Durch die Pandemie werden nachhaltige Veränderungen erwartet
Durch die Pandemie werden auch Impulse für weitreichende strukturelle Veränderungen und eine veränderte Diskussionskultur erwartet: So rechnen mehr als die Hälfte der Teilnehmer(innen) mit einer steigenden Akzeptanz für (vermeintliche) Überkapazitäten im Krankenhaussektor; diese Erwartung liegt in der freien Wohlfahrtspflege noch um 2,8 Prozentpunkte höher. Ein Großteil der Teilnehmer(innen) schätzt zudem, dass sich Strukturveränderungen insbesondere durch die Forcierung der digitalen Vernetzung ergeben werden: in Form zunehmender digitaler Antragsbearbeitung, zum Beispiel in Behörden digitaler Informationsbereitstellung und der Zunahme öffentlicher Plattformen. In allen drei Entwicklungsbereichen liegen die Werte der freien Wohlfahrtspflege etwas höher. Knapp 60 Prozent der Befragten sehen in der Pandemie zudem einen mäßigen bis starken Impuls für den Zusammenschluss zu größeren Unternehmenseinheiten durch Übernahmen.
Wirtschaftliche Unsicherheiten durch Schutzschirm auffangen
Die Erhebung der BfS macht deutlich, dass die Pandemie für die Dienste und Einrichtungen im Sozialund Gesundheitswesen mit erheblichen Belastungen verbunden ist, deren Tragweite sich erst in den nächsten Monaten in vollem Umfang darstellen lassen wird. Die damit verbundenen wirtschaftlichen Unsicherheiten und die zu erwartenden langfristigen Auswirkungen der Pandemie müssen mit den Schutzschirmen und zusätzlichen Überbrückungsmaßnahmen längerfristig aufgefangen werden. Die Verlängerung des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes (SodEG) und die aktuellen Gesetzgebungsverfahren zur modifizierten Fortführung der Regelungen aus dem Krankenhausentlastungsgesetz sind wichtige Maßnahmen und Signale für die Sicherung der sozialen Infrastruktur, die sich in der Pandemie in besonderer Weise bewährt haben; die freie Wohlfahrtspflege muss auch weiterhin darin unterstützt werden, ihren unverzichtbaren Beitrag für die Bewältigung der längerfristigen sozialen Folgen der Pandemie leisten zu können. Dafür sind zusätzliche Investitionen in den digitalen Ausbau, in bauliche Anpassungen und nicht zuletzt in die Unterstützung und Qualifizierung der Mitarbeiter(innen) dringend erforderlich.
Anmerkungen
1. Welskop-Deffaa, E.: Erfolgsfaktor Kooperation. In: neue caritas Heft 9/2020, S. 17 ff.
2. Klemm, B: Befragung zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Sozial- und Gesundheitswesen und die Freie Wohlfahrtspflege. Köln: Bank für Sozialwirtschaft, Kompetenzzentrum Sozialwirtschaft, BFS Service GmbH, 29. Juni 2020
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