Caritas für gleiche Bildungschancen
Ein zentraler Schlüssel für umfassende soziale Teilhabe im Lebenslauf ist Bildung. Bildungsteilhabe ist in der digitalen Gesellschaft mehr denn je zur allgemeinen Voraussetzung gesellschaftlicher Teilhabe geworden. Seit Jahren kritisieren nicht nur die Wohlfahrtsverbände in Deutschland die unzureichenden Bemühungen in der Bildungs- und Sozialpolitik im Hinblick auf die Herstellung von Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen.1
Erst vor kurzem verwies der aktuelle Bildungsbericht "Bildung in Deutschland" erneut darauf, dass Kinder sehr unterschiedliche Bildungsteilhabechancen haben. In den Schulen werden sie nach sozialer Herkunft unterschiedlich bewertet und gefördert.2 Aktuelle Studien belegen, dass es für Jugendliche aus bildungsfernen Elternhäusern nur halb so wahrscheinlich ist, dass sie das Abitur erreichen (39 Prozent) wie für Jugendliche aus bildungsnahen Elternhäusern (81 Prozent).3 Auch Befunde der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verweisen darauf, dass Kinder aus ärmeren und/oder eingewanderten Familien in Deutschland einen Aufstieg durch Bildung nicht leicht schaffen.4
In den letzten Monaten ist durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie die Ungleichheit der Bildungsvoraussetzungen und -chancen zusätzlich verschärft worden. Während des Lockdowns wurde Unterricht an Schulen nicht mehr in Präsenzform angeboten, sondern es wurde nahezu unvorbereitet Fernunterricht eingeführt. Dabei sind die unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen der Schüler(innen) wie unter einem Brennglas sichtbar geworden. Eine differenzierte Förderung und Kompensation der Belastungen gelang nur in Einzelfällen beziehungsweise mit deutlicher Verzögerung.5
Von den ökonomischen Folgen der Krise drohen nun besonders jene Jugendliche am Übergang von der Schule in den Beruf betroffen zu sein, die mit dem Erreichen eines Schulabschlusses und dem Eintritt in eine Berufsausbildung schon in "normalen" Zeiten Schwierigkeiten haben und hierbei Unterstützung sowie Hilfen benötigen: Die Bereitschaft auszubilden ist im Zuge der Krise gesunken, schon zugesagte Ausbildungsstellen können zum Teil nicht angetreten werden. Mit der Ausbildungsprämie unternimmt die Politik Anstrengungen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.6
In Deutschland liegt die Verantwortung für das allgemeine Bildungswesen, auch für das Berufsschulwesen, bei den Bundesländern. Die politische Verantwortung für die betriebliche außerschulische Bildung liegt beim Bund und die Verantwortung für die Schaffung von Ausbildungsplätzen bei den Unternehmen. Die Träger der freien Wohlfahrtspflege wirken mit ihren sozialen Angeboten - etwa der Schulsozialarbeit - und mit ihren Ausbildungsangeboten darauf hin, Bildungsteilhabe zu gewährleisten.
Die Gestaltung einer zukunftsgerichteten Bildungsteilhabe muss von einer guten Kooperation der verschiedenen Akteure getragen sein.
Das vorliegende Papier will Erfahrungen der Caritas aus der Praxis sichtbar machen, viele davon gehen auf Interviews des Fachverbandes IN VIA mit Fachkräften aus der Jugendsozialarbeit zurück.
Gemeinsam fordern der Deutsche Caritasverband und die Fachverbände IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit Deutschland, Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen (BVkE), Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein (SkF), Katholischer Verband für soziale Dienste in Deutschland Bundesverband (SKM) und der Verband Katholische Jugendfürsorge (VKJF) politische Maßnahmen, die auf gleiche Bildungschancen für alle jungen Menschen hinwirken.
1. Schulische Bildung - eine weitere Spaltung verhindern
Teils schnell und engagiert haben sich allgemeinbildende und berufliche Schulen, Lehrkräfte, Schüler(innen) und Eltern während der flächendeckenden Schulschließungen auf den Fernunterricht ein- und umgestellt. Hierbei wurden jedoch große Unterschiede bei der digitalen Ausstattung, der Infrastruktur sowie bei Konzepten und Inhalten deutlich, dies über Schulen, Schularten und Bundesländer hinweg. Dabei war es oft vom Engagement der einzelnen Schule und des Lehrpersonals abhängig, inwieweit auch Kinder aus benachteiligten Familien in die Lage versetzt wurden, dem "Homeschooling" zu folgen. Ihre Lernvoraussetzungen waren deutlich schlechter als die der Kinder aus bildungsnahen Haushalten. Erfahrungen, etwa aus der Jugendberufshilfe und der Schulsozialarbeit/schulbezogenen Jugendsozialarbeit, belegen, wie schwer es für viele Kinder aus sozial benachteiligten Familien war, sich zurechtzufinden. Ihr Alltag war häufig geprägt von beengten Wohnverhältnissen ohne eigenen Schreibtisch sowie von wenig oder keiner digitalen Infrastruktur und/oder Eltern, die nicht hinreichend in der Lage sind, sie schulisch zu unterstützen.
Auch der jüngst veröffentlichte Bildungsbericht 2020 vermerkt, dass im Kontext der Corona-Krise die große Bedeutung des familialen Bereichs deutlich sichtbar wurde. Die Autor(inn)en kommen zu dem Schluss, dass eine Verschärfung sozialer Disparitäten zuungunsten der Kinder und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien zu befürchten steht.⁷ Zu einer sozialen Spaltung im Bildungssystem droht gleichzeitig eine verschärfte digitale Spaltung hinzuzukommen. Mehr digitales Lernen verbunden mit analogem Unterricht wird jedoch auch nach der Zeit der Corona-Einschränkungen zu einem zeitgemäßen Unterricht dazugehören.
Sowohl während als auch nach den coronabedingten Einschränkungen im Schulbetrieb ist deshalb der Lebenslage bildungsbenachteiligter junger Menschen mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
- Politik sowie Entscheidungsträger müssen zügig an Lösungen und Unterstützungsmöglichkeiten für junge Menschen arbeiten, um Ausgrenzung und weiter wachsenden ungleichen Bildungschancen auch unabhängig von der Corona-Krise entgegenzuwirken. Diese Maßnahmen müssen in koordinierter Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern erfolgen.
- Bei der Konzipierung und Umsetzung digitaler und analoger Unterstützungsmöglichkeiten für junge Menschen müssen sozialpädagogische Fachkräfte aus der Jugendsozialarbeit umfassend einbezogen werden. Als stärkende Bezugspersonen unterstützen, begleiten und beraten sie beim Lernen und Leben im Schulalltag.
- Die Corona-Krise hat nochmals deutlich gemacht, dass die Einführung offener Ganztagsangebote so gestaltet sein muss, dass sie die Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen unterstützen. Die Ganztagsangebote in systemübergreifender Zusammenarbeit von Schule und Kinder- und Jugendhilfe zeigen sich in besonderer Weise geeignet, benachteiligte Kinder und Jugendliche - auch unter den Rahmenbedingungen der Corona-Pandemie - zu erreichen.
- Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund leben im Durchschnitt öfter in sozial benachteiligten Familien und waren schon vor Corona besonders von Bildungsbenachteiligung betroffen. Erste Befunde zeigen, dass Migrant(inn)en von den wirtschaftlichen Folgen der Krise besonders betroffen sind. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund verfügen überproportional häufig nicht über ausreichende Rückzugsmöglichkeiten, und es mangelt an den erforderlichen digitalen Geräten sowie an einem Internetzugang. Das trifft nicht nur, aber in besonderem Ausmaß auf diejenigen zu, die in Unterkünften für Geflüchtete wohnen. Als weiterer belastender Faktor kommt insbesondere bei neu Eingewanderten hinzu, dass Eltern wegen geringer Kenntnisse des deutschen Schulsystems und/oder der deutschen Sprache beim Lernen und Homeschooling kaum Unterstützung leisten können. Auch bei den Kindern können unzureichende Deutschkenntnisse beim digitalen Lernen ein Hindernis darstellen. Um die sowieso schon schlechteren Bildungschancen nicht noch weiter zu verringern, müssen diese Kinder und Jugendlichen die notwendige Unterstützung erhalten und zum Präsenzunterricht zugelassen werden. Es müssen die erforderlichen digitalen Geräte, Schulungsmaßnahmen bei der Nutzung dieser Geräte und ein Zugang zum Internet unabhängig vom Aufenthaltsstatus zur Verfügung gestellt werden. Das gilt auch und insbesondere für Kinder, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beziehen.⁸
2. "Digitalpakt Schule" nutzen
Die Bundesregierung hat die mangelnde Ausstattung von Schulen und vielen Schüler(inne)n mit digitalen Geräten als Problem erkannt und den "Digitalpakt Schule" während der Corona-Krise um ein Sofortausstattungsprogramm ergänzt. 500 Millionen Euro stehen für die Sofortausstattung von Schüler(inne)n zur Verfügung. Die Mittel werden von den Ländern aufgestockt. Mit diesen Mitteln werden die Länder Beschaffungsprogramme für digitale Endgeräte sowie des für den Einsatz erforderlichen Zubehörs einschließlich der Inbetriebnahme auflegen. Darüber hinaus können die Mittel auch für die Ausstattung der Schulen verwendet werden, die für die Erstellung professioneller Online-Lehrangebote erforderlich ist. Die digitalen Endgeräte werden entweder von den Ländern, den Schulträgern oder in deren Auftrag beschafft (Landesregelungen). Die Geräte selbst sollen von den Schulträgern oder in deren Auftrag durch Schulen oder sonstige beauftragte Stellen an die entsprechenden Schüler(innen) ausgeliehen werden. Über die Kriterien, aber auch über die pädagogischen Erfordernisse entscheiden die Schulen. Dieser Beschluss muss zügig umgesetzt werden, damit die Gelder abgerufen und Geräte schnell an die Schüler(innen) verliehen werden können.
den akquiriert, um möglichst schnell und unbürokratisch Endgeräte für Jugendliche mit Bedarf zur Verfügung stellen zu können. Die Caritas bewertet das Sofortausstattungsprogramm als wichtigen Baustein, um die wachsende digitale Spaltung im Bildungsbereich aufzuhalten.⁹
- Die Ausstattung mit digitalen Endgeräten muss während des coronabedingt eingeschränkten Schulbetriebs unverzüglich für alle bedürftigen Kinder sichergestellt werden. Sofern das nicht zeitnah über die Schulen oder Schulträger geschieht, muss ein unabweisbarer Mehrbedarf über die Jobcenter zur Anschaffung von notwendigen Endgeräten unkompliziert anerkannt werden.10 Es darf hier nicht zu pauschalen Ablehnungen unter Verweis auf das Sofortausstattungsprogramm kommen, wenn diese Geräte nicht (mehr) zur Verfügung stehen, so dass Schüler(innen) am Ende leer ausgehen.
- In der Zusatzvereinbarung, die das Sofortausstattungsprogramm regelt, ist formuliert, dass Geräte für einen digitalen Unterricht zu Hause für möglichst viele Schüler(innen) in der Zeit des coronabedingt eingeschränkten Schulbetriebs zur Verfügung gestellt werden. Sollten die Leihgeräte bei Wiederaufnahme des Regelschulbetriebs nicht mehr verliehen werden, steht die Frage im Raum, wie Schüler(innen) aus einkommensschwachen Familien ohne entsprechende Endgeräte digitale Arbeiten umsetzen sollen. Eine umfängliche Integration digitaler Medien in den pädagogischen Alltag ist notwendig, dies hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie verdeutlicht.11 Vor diesem Hintergrund fordert der DCV, die im Rahmen des Sofortausstattungsprogramms angeschafften digitalen Endgeräte auch weiterhin zu verleihen, weil dadurch die Wartung und der Support über die Schule gesichert wären. Darüber hinaus entspricht das Gerät den schulischen Anforderungen. Für die Fälle, in denen digitale Endgeräte über die Schulen kurzfristig nicht (mehr) zur Verfügung gestellt werden können, muss für Kinder im Transferleistungsbezug zukünftig eine rechtssichere Anspruchsgrundlage geschaffen werden. Vorzugswürdig erscheint eine Regelung im Rahmen der Bildungs- und Teilhabeleistungen des § 28 SGB II, weil neben Kindern im SGB II/ XII auch Kinder im Kinderzuschlags- (KiZ), Wohngeld- und AsylbLG-Bezug erreicht werden. Denkbar ist aber auch eine gesetzliche Klarstellung dieses Bedarfs als unabweisbarer Mehrbedarf. Neben der Hardware müssen auch die notwendigen Programme und ein gegebenenfalls notwendiger Support anerkannt werden.
- Studien belegen, dass Schüler(inne)n teilweise das Know-how fehlt, die Geräte und die Software anzuwenden.12 Hier braucht es weitere Anstrengungen an den Schulen, um die Medienkompetenz der Schüler(innen) zu erhöhen.
- Es fehlen konsistente medienpädagogische Konzepte und Strategien zur digitalen Bildung an Schulen. Die Vorlage solcher Konzepte ist Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Mitteln aus dem Digitalpakt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Die Jugendsozialarbeit, insbesondere die Schulsozialarbeit und weitere außerschulische Partner(innen), sind in die Erarbeitung dieser Konzepte einzubeziehen. Ihre Themen, unter anderem Prävention, Kinder- und Jugendschutz, Gesundheit und ihre Expertise zur Vermeidung von Bildungsbenachteiligung, müssen darin Beachtung finden.
3. Lernförderung im Bildungs- und Teilhabepaket großzügig ermöglichen
Die Caritas fordert: Die im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets vorgesehene außerschulische Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II muss großzügig angewendet werden. Grundsätzlich ist das schulische Bildungssystem vorrangig in der Pflicht, bei allen Schüler(inne)n auf einen Bildungserfolg hinzuwirken. Die coronabedingten Lücken, die bei einigen Kindern und Jugendlichen entstanden sind, sind allerdings in den nächsten Wochen und Monaten durch die Schule allein nicht zu schließen. Damit auch Kinder im Transferleistungsbezug die Lernförderung bekommen, die sie benötigen, müssen die Leistungsträger die Deckung des Bedarfs an Bildung durch angemessene Lernförderung sicherstellen. Das ist durch eine großzügige Anwendung der Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II möglich, die sich nicht mit einem "ausreichenden Lernniveau" begnügt. Dies gilt in Zeiten von Schulschließungen in ganz besonderer Weise.13
4. Schulsozialarbeit ausbauen und nachhaltig fördern
Im Handlungsfeld der Schulsozialarbeit konnten die meisten Einrichtungen der Caritas ihre Angebote während der Schulschließungen aufrechterhalten. Schüler(innen) und deren Familien nahmen und nehmen das Beratungsangebot weiterhin auf unterschiedlichen Wegen in Anspruch. Zahlreiche neue Formate zur (Online-)Beratung und Begleitung junger Menschen sind seit Mitte März geschaffen und erprobt worden.14
Fachkräfte berichten, dass die Einzelbegleitung und -beratung aufwendiger geworden ist. Es bestehen teilweise große Ängste bezüglich der Pandemie. Zudem treten vermehrt Überforderungssituationen und Konflikte im häuslichen Umfeld bis hin zu häuslicher Gewalt und Fällen von Kindeswohlgefährdung auf. Die Fachkräfte suchen kontinuierlich den Kontakt zu Schüler(inne)n, hören zu, unterstützen sie beim eigenständigen Lernen und beraten sie in Krisensituationen. Sie motivieren sie, nicht aufzugeben, durchzuhalten und zuversichtlich zu bleiben. Kreative Beratungssettings sind hier gefragt. Träger der Caritas-Schulsozialarbeit berichten von Beratungsspaziergängen, Fenstergesprächen, Briefen an die Jugendlichen und regelmäßigen Chatkontakten. Wichtig für Jugendliche ist das Signal: "Wir sind für dich da!" Schulsozialarbeiter(innen) sind gleichzeitig in Sorge um die Jugendlichen, die dennoch untertauchen beziehungsweise nicht mehr zu erreichen sind, und bemühen sich um Kontaktaufnahmen. Festzustellen ist, dass das Problem des Schulabsentismus vor diesem Hintergrund gesellschafts- und bildungspolitisch stärker in den Blick genommen werden muss.
- Schulsozialarbeiter(innen), die eng an und mit Schulen arbeiten, sind auf eine angemessene digitale Ausstattung angewiesen. Sowohl in digitaler als auch in analoger Form unterstützen sie Schüler(innen) bei der Entwicklung einer Tages- und Lernstruktur, bei der Bewältigung des Lernstoffs, mit Krisenintervention und bei der beruflichen Orientierung und dem Einstieg. Zu prüfen ist, ob auch für dieses Handlungsfeld die (absehbar nicht vollumfänglich genutzten) Mittel über den Digitalpakt abgerufen werden können.
- Die Caritas fordert einen flächendeckenden, systematischen Ausbau und eine nachhaltige Absicherung des Angebots der Schulsozialarbeit. Eine klare rechtliche Verankerung der Schulsozialarbeit im Kinder- und Jugendhilfegesetz im Zuge der SGB-III-Reform ist dafür notwendig.
- Möglichkeiten der gemeinsamen Finanzierung sowohl aus dem Jugendhilfeetat als auch, je nach Bundesland, aus dem Schuletat sind auszuloten, zum Beispiel durch eine Aufteilung der Finanzierungsverantwortung über korrespondierende Regelungen in den Schulgesetzen.
5. Sprach- und Integrationskurse gewährleisten
Die Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen ist für neu Eingewanderte eine wesentliche Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe, sie erleichtert den Zugang zu weiteren Bildungsangeboten und ist teilweise nach dem AufenthG oder dem SGB II verpflichtend. In den letzten Monaten mussten diese Kurse coronabedingt teilweise ausfallen. Damit ergaben sich gravierende Verschlechterungen für die Zielgruppe, die durch Online-Angebote der Sprachvermittlung nicht ausgeglichen werden konnten, wo die technischen Voraussetzungen und die digitale Kompetenz für diese Lernformen fehlten. Dies hat die Caritas nicht zuletzt bei Angeboten für Geflüchtete beobachtet.
- Sprach- und Integrationskurse müssen so weit wie möglich unter Gewährleistung adäquater Hygienemaßnahmen im Präsenzformat weitergeführt werden. Bestehende Teilnahmeansprüche dürfen nicht durch Ausfälle und durch verschiebungsbedingten Fristablauf verloren gehen. Es muss sichergestellt werden, dass die coronabedingten Einschränkungen bei Sprach- und Integrationskursen nicht zu ausländer- oder sozialrechtlichen Nachteilen bei den Betroffenen führen.
6. Angebote der Berufsvorbereitung stärken
Durch die Corona-Pandemie ist die Berufseinstiegsbegleitung, welche Schüler(innen) weiterführender Schulen bereits in den Vorabgangsklassen bis zur Ausbildung sozialpädagogisch begleitet, völlig in den Hintergrund gerückt. Dieses Angebot war seit Schuljahresbeginn 2019/20 aufgrund fehlender Kofinanzierung durch die Länder nicht bundesweit abgesichert. Mit Blick auf die prognostizierte Ausbildungsmarktsituation 2020 entsteht vor allem für bildungsschwache junge Menschen eine Lücke beim Übergang von der Schule in Ausbildung.
Problematisch ist auch, dass Angebote der Berufsorientierung vielerorts nicht durchgeführt werden können, da die hierfür benötigten Räume (an Schulen) aufgrund der aktuell geltenden Abstandsregelungen begrenzt sind. Dies trifft wiederum vor allem Schüler(innen) mit fehlender Unterstützung in der eigenen Familie.
- Der DCV spricht sich dafür aus, Angebote der Berufsorientierung und Berufseinstiegsbegleitung verbindlich umzusetzen, um rechtzeitig die Weichen für einen gelingenden Übergang junger Menschen in Ausbildung zu stellen. Sowohl Bund als auch Länder müssen hier Verantwortung übernehmen. Nicht zu wissen, ob die Voraussetzungen für einen Ausbildungseintritt ausreichen oder etwa Abschlussprüfungen zum geplanten Zeitpunkt stattfinden und aufgrund fehlender Vorbereitung leistbar sind, ist belastend und kann neue Krisen bei den jungen Menschen auslösen. In der Jugendberufshilfe war in den letzten Monaten deutlich mehr psychosoziale Betreuung, auch mit aufsuchender Arbeit, notwendig. Persönliche Betreuung fand über Telefonate, Videotelefonie und Chatangebote statt. Bei manchen Jugendlichen besteht jedoch die Gefahr, dass sie ohne Face-toFace-Angebote abtauchen und nicht mehr erreicht werden können.
- Den Trägern der Jugendberufshilfe müssen Ressourcen bereitgestellt werden, damit sie mit niedrigschwelligen aufsuchenden Angeboten vor allem diejenigen jungen Menschen erreichen können, die ansonsten Gefahr laufen, verloren zu gehen. Projekte für schwer erreichbare junge Menschen im Rahmen des § 16h SGB II müssen hierfür ausgebaut werden und rasch zur Verfügung stehen. Derzeit können auch in der Jugendberufshilfe digitale Kommunikations- und Lernformen zur beruflichen Integration wegen unzureichender Ausstattung der Einrichtungen und der Teilnehmenden selbst nicht ausgeschöpft werden.
- Der DCV fordert, dass die Einrichtungen der Jugendberufshilfe eine verlässliche Finanzierung zur digitalen Ausstattung erhalten, die je nach Leistungsträger über das SGB II, III oder VIII geregelt wird. Nur so kann die Medienkompetenz junger Menschen in Maßnahmen der Jugendberufshilfe erweitert werden.
7. Betriebliche Ausbildung absichern und außerbetriebliche Ausbildung ausbauen
Laut einer Umfrage des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks plant ein Viertel der Unternehmen und Betriebe angesichts der aktuellen Situation, weniger neue Auszubildende einzustellen.15 Prognosen des Bundesinstituts für Berufsbildung zufolge wird die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge deutlich weniger als 500.000 und damit mindestens 25.000 weniger als im Jahr 2019 betragen. Je nach konjunktureller Entwicklung könnte diese Zahl auch auf unter 460.000 Ausbildungsabschlüsse sinken.16 Alle Branchen, die sozialen Einrichtungen ebenso wie das Handwerk, sind aufgefordert, Ausbildungsplätze zu sichern und damit zu verhindern, dass aufgrund der Pandemie auf breiter Front Lehrstellen wegbrechen.
Der DCV begrüßt daher die Appelle der Bundesregierung sowie der Allianz für Aus- und Weiterbildung zur Sicherung von Ausbildungsplätzen. Die von der Bundesregierung bereitgestellte Ausbildungsprämie zur Unterstützung vor allem kleiner und mittelständischer Unternehmen bei der Aufrechterhaltung beziehungsweise dem Ausbau ihres bisherigen Ausbildungsplatzangebotes befürwortet der DCV ausdrücklich.
Von Ausbildungsplatzverlusten sind insbesondere die Branchen betroffen, die starke coronabedingte wirtschaftliche Einbrüche und einen hohen Stand an Kurzarbeit zu verzeichnen haben wie das Hotel- und Gastgewerbe, der Einzelhandel, aber auch die Kfz-Branche. Betroffen sind damit Branchen, die in den letzten Jahren besonders vielen jungen Menschen mit Hauptschulabschluss einen Ausbildungsplatz anbieten konnten.17 Im Gegensatz zu Schulabgänger(inne)n mit höherem Bildungsabschluss mangelt es Absolvent(inn)en von Hauptschulen an Alternativen wie zum Beispiel einem Studium. Diese Entwicklung wird also die Jugendlichen am härtesten treffen, die ohnehin geringe Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben.
- Es gilt, für alle ausbildungssuchenden jungen Menschen ein auswahlfähiges, ausreichendes Ausbildungsangebot bereitzustellen. Das Potenzial des in den letzten Jahren stetig rückläufigen Angebotes der außerbetrieblichen Berufsausbildung18 gemäß § 76 SGB III muss nach Auffassung des DCV angesichts der prognostizierten Perspektiven auf dem Ausbildungsmarkt wieder ausgeweitet werden. Ebenso muss das Angebot der Assistierten Ausbildung nach § 74ff. ausgebaut werden, um Auszubildende mit Unterstützungsbedarf gezielt zu begleiten. Besonders belastend ist die Situation auch für Auszubildende, wenn sie ihre Abschlussprüfung nicht bestanden haben und der Ausbildungsbetrieb keine Verlängerung des Ausbildungsvertrages in Aussicht stellt. Diese jungen Menschen sind bei der Bewältigung der kommenden sechs Monate bis zur Wiederholung der Abschlussprüfung auf sich allein gestellt. Hier gilt es, praktikable Lösungen im Sinne der Jugendlichen zu finden.
- Der DCV fordert die Absicherung von Ausbildungsabschlüssen. Ausbildungsverlängerungen müssen ohne bürokratische Hürden möglich sein, damit Ausbildungsabschlüsse nachgeholt werden können. Ebenso müssen hierfür verlässliche Beratungs- und Unterstützungsangebote für die jungen Menschen bereitgestellt werden.
Die Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem existiert nicht erst seit der Corona-Pandemie. Die hier dargestellten Erfahrungen bestärken die Caritas in der Forderung nach gezielten Maßnahmen gegen strukturelle Benachteiligungen. Die Forderungen an Politik sowie Entscheidungsträger sind als Beitrag zur Verbesserung der Unterstützungsstrukturen und der Chancengleichheit im Bildungsbereich zu verstehen und zu nutzen.
Freiburg, 31. Juli 2020 Deutscher Caritasverband e.V. Eva M. Welskop-Deffaa Vorstand Sozial- und Fachpolitik
DCV-Referat Lebensläufe und Grundsatzfragen, IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit Deutschland e.V., Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen e.V. (BVkE), Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein e.V. (SkF), Katholischer Verband für soziale Dienste in Deutschland Bundesverband (statt Sozialdienst katholischer Männer) e.V. (SKM), Verband Katholische Jugendfürsorge e.V. (VKJF)
Kontakt: Karin Kramer, Leiterin des Referats Lebensläufe und Grundsatzfragen, E-Mail: karin.kramer@caritas.de Elise Bohlen, Referentin IN VIA Deutschland, E-Mail: elise.bohlen@caritas.de
Anmerkungen
1. Der Deutsche Caritasverband hat in den vergangenen Jahren immer wieder auf die Situation von Schulabgänger(inne)n ohne Hauptschulabschluss aufmerksam gemacht: www.caritas.de/bildungschancen
2. Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2020. Siehe dazu www.bildungsbericht.de/static_pdfs/bildungsbericht-2020.pdf
3. Vgl. Albert, M.; Hurrelmann, K.; Quenzel, G.: 18. Shell Jugendstudie. Jugend 2019. Eine Generation meldet sich zu Wort. Weinheim: Beltz, 2019
4. Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung: Bildung auf einen Blick 2018. OECD-Indikatoren. Paris, 2018. Siehe Kurzlink: https://bit.ly/3hzPg7n
5. Siehe dazu https://bit.ly/32xJA9y
6. Vgl. Punkt 7 dieses Papiers.
7. Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2020, a. a.O.
8. Zudem gilt dies für Kinder, die aus SGB II und/oder SGB XII ausgeschlossen sind.
9. Die Caritas hat sich in ihrer Stellungnahme zum Sozialschutzpaket II ausdrücklich für die Schließung des Digital Gap bei den Schüler(inne)n ausgesprochen, vgl. Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie - Sozialschutzpaket II vom 6. Mai 2020. Siehe dazu Kurzlink: https://bit.ly/2ZHtJUi
10. Vgl. LSG NRW, Beschluss vom 22. Mai 2020 - L 7 AS 719/20 B ER; L 7 AS 720/20 B.
11. Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, a. a.O.
12. ICILS 2018, Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking, https://bit.ly/2E92Alw
13. So bereits in der Stellungnahme des DCV zum Entwurf eines Gesetzes zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie - Sozialschutz-Paket II (BT-Drucksache 19/18966) vom 6. Mai 2020, a. a.O.
14. Die Online-Beratung der Caritas bietet Beratung und Hilfestellung in einer Vielzahl von Fragen. Während des Lockdowns sind die Nutzer(innen)zahlen exponentiell gestiegen. Siehe www.caritas.de/hilfeundberatung/onlineberatung/onlineberatung
15. Vgl. https://bit.ly/3c16U2
16. Vgl. Maier, T.: Auswirkungen der "Corona-Krise" auf die duale Berufsausbildung. Bundesinstitut für Berufsbildung: Bonn, 2020.
17. Vgl. ebd.
18. Vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung: Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2020. Bonn, 2020, S. 244.
Corona-Prämie ist ein erster Schritt
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