Ökologie und Soziales zusammen denken
Die letztjährige Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes (DCV) begrüßte ein verstärktes Engagement der Caritas im Klimaschutz, 94 Prozent der Teilnehmenden sprachen sich hierfür aus. Die Bewahrung der Schöpfung sei originärer Auftrag der Kirche und damit auch ihrer Caritas, so die Grundaussage bei der Delegiertenversammlung.
In seiner 2015 erschienenen Sozialenzyklika "Laudato si’" hat Papst Franziskus ein integratives Verständnis des Klimaschutzes betont: Soziales und Klimaschutz sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille.1
Umweltschutz sollte - nicht zuletzt aufgrund des biblischen Schöpfungsauftrags - eine zentrale Rolle bei der Kirche und ihrer Caritas spielen. Die Botschaft des Evangeliums zeigt die Perspektive eines gelingenden Lebens auf, in dem es darum geht, gut zu leben statt viel zu haben. "Eine Beschränkung des Konsums muss kein Weniger an Lebensqualität bedeuten, sondern kann von einem Mehr an Zeit, Begegnung und erfüllender Tätigkeit begleitet sein."2
Diese Gedanken gilt es vor allem mit Blick auf Menschen, die den Diensten und Einrichtungen anvertraut sind, zu differenzieren - um nicht einer Sozialromantik das Wort zu reden, die einer real prekären Situation völlig unangemessen wäre. Hier muss der Ausgangspunkt bei der "Option für die Armen" genommen werden, damit die Auswirkungen der Klimapolitik nicht auf jene abgewälzt werden, die ohnehin schon am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden. Ergänzend zur biblischen Grundlegung braucht es eine menschenrechtliche Perspektive, um Positionen für eine nachhaltige Entwicklung zu formulieren. Konkretisierend kann dazu der Gemeinwohl-Gedanke kommen, der wesentlich mit der Aufforderung zur Solidarität auch künftigen Generationen gegenüber verbunden ist. Der Einsatz für Klimaschutz ist kein christliches "moralisches Sondergut", sondern ein Gebot der Gerechtigkeit für alle Menschen.3
Im Zentrum ökologisch-sozialen Bemühens
Die Bewahrung der Schöpfung wird in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft seit Jahrzehnten diskutiert. Immer stärker kristallisiert sich der Klimaschutz als drängendste Herausforderung heraus, obwohl auch Themen wie der Verlust an Biodiversität (Artenvielfalt), Bodenerosion (weltweit abnehmende Humusschicht) oder die Vermüllung mit Kunststoffen Probleme globalen Ausmaßes darstellen, die Antworten erfordern. Dennoch ist eine Fokussierung auf die deutliche Reduktion der Klimagas-Emissionen geboten, da die Auswirkungen einer ungebremsten Erderwärmung zum Ausgangspunkt weiterer katastrophaler Entwicklungen für Mensch und Umwelt werden: Es drohen Extremwetterereignisse sowie der Anstieg des Meeresspiegels.
Das Ausmaß an negativen Folgen des weiteren Verlusts an Artenvielfalt ist heute nur in Ansätzen prognostiziert und kaum diskutiert. Wenig vorhersagbar sind die aus Naturkatastrophen, dem Rückgang der Biodiversität und der fortschreitenden Desertifikation (Wüstenbildung) entstehenden Auswirkungen auf die Trinkwasser- und Nahrungsmittelversorgung. Weitere Gefahren für die menschliche Gesundheit drohen nicht nur durch Ernährungsunsicherheit - auch die Verbreitung von Krankheitserregern wird zunehmen. Soziale und militärische Konflikte um knappe Ressourcen sind ebenso zu erwarten wie globale Migrationsströme in folge der Vernichtung natürlicher Lebensgrundlagen.4
Die Staatengemeinschaft hat sich 2015 im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Paris völkerrechtlich verbindlich verpflichtet, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad, wenn möglich auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Geliefert hat sie bisher deutlich zu wenig. In der zurückliegenden Dekade stiegen die Emissionen um jährlich 1,5 Prozent - nötig wäre eine jährliche Reduktion um 7,6 Prozent. Wird nicht massiv interveniert, steuert die Menschheitsfamilie auf einen Temperaturanstieg von mehr als 3 Grad Celsius zu.5 Auch die Anstrengungen der Bundesrepublik bleiben weit hinter dem Notwendigen zurück.
Handlungsfelder der Caritas
Aus den theologischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben sich für die verbandliche Caritas im Wesentlichen drei Handlungsfelder: politische Einflussnahme in Deutschland, Herstellung der eigenen CO2-Neutralität sowie internationaler Einsatz für Klimaschutz.
Klimapolitik forcieren und sozial ausgestalten
Die bisher eingeleiteten Maßnahmen werden nicht das Ende der klimapolitischen Debatte in Deutschland markieren. Vielmehr ist davon auszugehen, dass unter einer nächsten Bundesregierung die politischen Anstrengungen deutlich verschärft werden müssen, um die Pariser Klimaschutzziele noch erreichen zu können. Die künftigen Vorschläge sind so zu gestalten, dass einkommensschwächere Bevölkerungsschichten nicht unverhältnismäßig belastet werden. Hier sollte der DCV ansetzen und sich in die klimapolitische Debatte mit substanziellen Beiträgen einmischen, die eine soziale Balance und die für den Klimaschutz notwendigen Maßnahmen verbinden.
Sozialpolitisch ausgewogene und klimapolitisch ausreichend wirksame Maßnahmen zu identifizieren stellt sich schwierig dar, da Verbote klimaschädigenden Verhaltens im politischen Diskurs wenig Strahlkraft besitzen. Ökonomische Anreize fokussieren meist eher auf die Mittel- und Oberschicht, während die Verhaltenselastizität einer einkommensärmeren Bevölkerungsschicht sehr begrenzt ist, da sie beispielsweise als Mieter(innen) keinen Einfluss auf Gebäudedämmung besitzen. Bei preisinduzierten Regulierungen werden diese Bevölkerungsgruppen, deren bisheriger Beitrag zur Klimakrise unterproportional ist, überproportional belastet. Einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen hingegen können die momentan diskutierten Preisaufschläge finanzieren, ohne ihr klimaschädigendes Verhalten ändern zu müssen. Dieses individuelle Verhalten wird auf einer strukturellen Ebene durch Privilegien in Form von Subventionen zum Beispiel für fossile Energieträger, aber auch für die konventionelle Landwirtschaft gestützt. Daher sollte der DCV sich nicht nur auf preisregulierende Maßnahmen konzentrieren, sondern auch einen klimaschutzrelevanten Infrastrukturausbau in den Blick nehmen. Sinnvolle Forderungen aus unserer Sicht sind:
1. Ein Investitionsprogramm zur Stärkung der öffentlichen Infrastruktur, damit einkommensärmere Bevölkerungsgruppen klimaneutrale Handlungsalternativen erhalten.
2. CO2-Bepreisung in Kombination mit einer Klimaprämie, mittels derer die Einnahmen durch einen einheitlichen Pro-Kopf-Betrag an die Bevölkerung zurückfließen. Aufgrund ihres geringeren CO2-Ausstoßes profitieren dabei einkommensärmere Haushalte.6 Besonderes Augenmerk gilt hier der Anrechenbarkeit bei Transferleistungsbezieher(inne)n.
3. Deutliche Reduktion der CO2-Zertifikatemenge im Emissionsrechte-Handel auf europäischer Ebene, damit die Emissionsrechte spürbar teurer werden und so eine klimaschädigende Produktionsweise ökonomisch an Attraktivität verliert.
4. Ausrichtung der Subventionen an klimagerechtem Wirtschaften.
5. Gebäudesanierungsprogramm mit sozialer Komponente: Zuschüsse steigen mit abnehmender Miethöhe oder festgelegter Mietobergrenze.
6. Einführung von Klimakomponenten in den Sicherungssystemen, damit steigende Energiepreise abgedeckt sind
7. Kostenlose Tickets des öffentlichen Nahverkehrs für einkommensteuerbefreite Bevölkerungsgruppen.
Diese Forderungen gilt es weiter auszuarbeiten, in den Diskurs einzubringen und dafür zu werben. Hier ist der DCV mit all seinen Gliederungen gefordert und darüber hinaus auf den Zusammenschluss mit starken Bündnispartnern angewiesen.
Caritas wird CO2-neutral – eine gesamtverbandliche Herausforderung
Aus Gründen der Glaubwürdigkeit ist das Ziel der eigenen CO2-Neutralität ein wichtiges Standbein. Ein strategischer Ansatz sollte neben Bewusstseinsarbeit auch eine Selbstverpflichtung, daraus abgeleitete Klimaschutzleitlinien sowie konkret formulierte Maßnahmen samt Wirkungsmessung einschließen.
Mit dem Grünen Gockel7 gibt es ein kirchliches Umweltzertifikat. Für die eigene CO2-Neutralität sind die Sektoren Gebäude, Beschaffungswesen, Mobilität sowie Finanzanlagen zuvorderst zu beachten.8
Refinanzierungsbedingungen decken heute häufig klimapolitische Notwendigkeiten nicht ab. Diese Lücken gilt es zu identifizieren und im politischen Gespräch zu thematisieren.
Wie Klimaneutralität erreicht werden kann, ist bisher in den Verbänden und Einrichtungen der Caritas kaum systematisch untersucht und in Angriff genommen worden. Fundierte Leitfäden mit umsetzbaren Schritten, Beratung, Möglichkeiten der Drittmittelakquise und Kooperationen mit
Expert(inn)enorganisationen erleichtern die systematische Umsetzung der angezielten Klimaschutzmaßnahmen.
Internationaler Einsatz für Klimaschutz
Caritas international (Ci) setzt sich seit vielen Jahren weltweit für klimasensible Projekte ein, da in den Ländern des Südens die Auswirkungen des Klimawandels in Form einer enorm gestiegenen Zahl an Naturkatastrophen noch deutlicher erkennbar sind als im europäischen Norden. Auch der Fokus der humanitären Hilfe ändert sich. Wo früher beispielsweise Wasserspeicher reichten, müssen heute große Leitungssysteme angelegt werden. Zudem steigt die Bedeutung der Katastrophenvorsorge.9 Mit ihrem weltweiten Netzwerk wird Ci auch weiterhin in der entwicklungspolitischen Debatte den Fokus auf Klimarettung lenken.
Höchste Zeit zu handeln
Wirksamer Klimaschutz wird immer noch nicht von allen gleichermaßen unterstützt. Trotz der mittlerweile 30 Jahre währenden Debatte ist zu wenig passiert, gleichzeitig ist die Schnittstelle zwischen klimapolitischen Notwendigkeiten und sozialer Ausgewogenheit deutlich zu wenig beachtet. Für den DCV ist aus seinem christlichen Selbstverständnis heraus eine Einmischung geboten. Es braucht die vielen kleinen Schritte im Alltag, die zur Bewusstseinsbildung beitragen. Doch das reicht nach Stand der Klimaforschung heute nicht mehr - die Zeit für wirksames Handeln ist bereits sehr knapp. Nötig sind einerseits eine übergreifende Strategie und Konzepte, um den Verband am Klimaschutz auszurichten, und andererseits nachhaltig wirksame Forderungen, um einer Politik zum Durchbruch zu verhelfen, die die Schöpfung bewahrt.
Anmerkungen
1. Vgl. Papst Franziskus: Enzyklika Laudato si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). 4., korrigierte Auflage 2018, S. 49.
2. Papier der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der DBK (Hrsg.): Raus aus der Wachstumsgesellschaft? Eine sozialethische Analyse und Bewertung von Postwachstumsstrategien; Studien der Sachverständigengruppe "Weltwirtschaft und Sozialethik", Bd. 21, Bonn, 2018, S. 44.
3. Vgl. hier: DBK: Raus aus der Wachstumsgesellschaft, a. a. O.
4. www.scientists4future.org/stellungnahme/fakten
5. www.unenvironment.org/news-and-stories/press-release/cut-global-emissions-76-percent-every-year-next-decade-meet-15degc sowie www.unenvironment.org/resources/emissions-gap-report-2019
6. www.boeckler.de/121679_121687.htm; vgl. auch Edenhofer, O.: Gerechte Klimapolitik ist möglich. In: neue caritas Heft 11/2019, S. 10.
8. Mit der EMAS-Zertifizierung hat die Zentrale des DCV bereits einen Schritt vollzogen.
9. Caritas international: Klimawandel und Humanitäre Hilfe. Freiburg, 2019 (Download: www.caritas-international.de, Suchwort: Klimawandel).
Die Lebensleistung honorieren
Ökologie und Soziales zusammen denken
Viel hilft nicht immer viel
Wettbewerbsneutralität vor Lenkungszweck
Ausbildungsbilanz 2019
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