Viel hilft nicht immer viel
Jens Spahn ist zweifelsohne einer der eifrigsten Bundesgesundheitsminister der letzten Jahrzehnte. 16 der von ihm im Jahr 2019 auf den Weg gebrachten Gesetze wurden 2019 im Bundestag verabschiedet, weitere sind bereits im Stadium des Referentenentwurfs und auch für 2020 steht eine reichliche Agenda ins Haus - Notfallversorgung, Qualität im Krankenhaus, die den ambulanten und stationären Sektor übergreifende Versorgung. Vor allem wird 2020 auch ein Jahr der Pflege. Die meisten der 2019 beschlossenen Gesetze betrafen die Arbeit der Caritas.
Nicht beteiligt hat sich der Verband an den Gesetzgebungsverfahren zum Implantatregistergesetz, Medizinproduktegesetz sowie zu den Berufsgesetzen zur Ausbildungsreform der Pharmazeutisch- technischen Assistent(inn)en sowie der Anästhesie- und Operationstechnischen Assistent(inn)en.
Zu Beginn des Jahres 2019 wurde das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) verabschiedet. Es zielte im Kern darauf ab, dass gesetzlich Krankenversicherte durch den Ausbau der Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen sowie durch eine Vergütungsreform der Ärztinnen und Ärzte schneller einen Termin erhalten. Das Gesetz trat im Mai und in einigen Teilen im Herbst 2019 in Kraft. Es zeichnet sich ab, dass chronisch kranke Menschen gegenüber Akutpatient(inn)en, für die jetzt Termin Kapazitäten in den Arztpraxen reserviert werden müssen, ins Hintertreffen geraten können. Davor hatte der DCV, aber auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung gewarnt.
Per Gesetz digital versorgt
Hauptziel des Deutschen Caritasverbandes im Digitalen Versorgungsgesetz (DVG) war die Anbindung der Pflege an die Telematikinfrastruktur (TI) und vor allem die vollständige Finanzierung der damit verbundenen Kosten. Beide Ziele konnten erreicht werden. Dadurch wird es den Pflegeeinrichtungen künftig möglich sein, zu zentralen Verordnungen - beispielsweise zur Verordnung für Häusliche Krankenpflege (HKP), zum Medikamentenmanagement durch das elektronische Rezept oder zur Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln - mit den entsprechenden Leistungserbringern und den Kostenträgern elektronisch zu kommunizieren.
Ein großer Erfolg der Wohlfahrtspflege war, die für die Pflegeeinrichtungen so hochrelevante HKP-Verordnung im Gesetz zu verankern sowie auch die Verordnungen von Soziotherapie, Spezialisierter ambulanter Palliativversorgung (SAPV) und Haushaltshilfe. Die Teilnahme der Pflegeeinrichtungen, der Hebammen und Physiotherapeut(inn)en an der TI ist freiwillig. Das ist gut so, denn die Arztpraxen und Krankenhäuser sowie Apotheken, die verpflichtend an die TI angeschlossen werden, werden sanktioniert, sollte der Anschluss nicht oder nicht rechtzeitig erfolgt sein. Der DCV appelliert an seine Pflegeeinrichtungen, das hohe Potenzial einer Anbindung an die TI zu erkennen und daran zu partizipieren.
Die Hürden für Videosprechstunden werden ebenfalls gesenkt, so dass Patient(inn)en leichter Ärzt(in n)e(n) finden können, die eine solche Sprechstunde anbieten. Das ist besonders für den ländlichen Raum sehr hilfreich.
Ein weiterer Schwerpunkt des Gesetzes ist die Verordnung von digitalen Anwendungen (DiGas) zulasten der Krankenkasse, zum Beispiel eine App für die Blutzuckermessung bei Diabetes. Bedauerlich ist, dass es trotz vereinter Anstrengungen vieler Akteure nicht gelungen ist, die ungebremste Zulassung und Erstattung von digitalen Anwendungen, deren medizinisches Erfordernis noch nicht belegt ist, durch die Krankenkassen zu verhindern. Erst binnen eines Jahres nach der Prüfung von Funktionstauglichkeit, Datensicherheit und Datenschutz durch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte muss der Nutzen für die Versorgung nachgewiesen werden. Allerdings konnte der DCV erreichen, dass für eine Genehmigung digitaler Anwendungen zumindest eine Indikation von Ärzt(inn)en oder Psychotherapeut(inn)en festgestellt werden muss. Der gemeinsamen Anstrengung der Behindertenverbände und der freien Wohlfahrtspflege ist es zu verdanken, dass bereits bei der Entwicklung und Bereitstellung der digitalen Angebote von Anfang an Barrierefreiheit zu beachten ist.
Vom MDK-Reformgesetz erhoffte sich der Deutsche Caritasverband die Unabhängigkeit des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) von den gesetzlichen Krankenversicherungen. Dies sollte sich vor allem im Bereich der Prüfungen positiv auswirken. Der Referentenentwurf sah verheißungsvoll vor, dass die Kassen im Verwaltungsrat des Medizinischen Dienstes nur noch ein Drittel der Sitze innehaben würden. Leider ist es den Krankenkassen gelungen, diesen Reformansatz zunichte zu machen. Künftig wird der Medizinische Dienst jedoch eine eigenständige Körperschaft öffentlichen Rechts sein. Dadurch wird eine gewisse Unabhängigkeit von den Krankenkassen erreicht.
Patientenrechte werden gestärkt
Die Bundesvereinigung der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) hat mit ihrer Stellungnahme zu einer Stärkung der Patientenrechte beitragen können. Sie hatte vorgeschlagen, eine Ombudsperson einzuführen, um ein Beschwerdemanagement zu institutionalisieren. Außerdem hatte die BAGFW empfohlen, die Krankenkasse im Falle eines negativen Leistungsbescheids wegen fehlender medizinischer Erforderlichkeit zu verpflichten, ein Gutachten des Medizinischen Dienstes einzuholen. Die Kasse sollte die/den Versicherte(n) in laienverständlicher Form über dessen Ergebnisse informieren. Beide Vorschläge wurden nun Gesetz.
Die Krankenhäuser bewerten das Gesetz, mit dem die Hoffnung auf Entbürokratisierung bei MDK-Prüfungen verbunden war, zu Recht als Sanktions- Datendokumentations- und Behandlungsregulierungsgesetz. Gemeinsam mit dem Katholischen Krankenhausverband Deutschlands (KKVD) hatte sich die Caritas vehement dafür eingesetzt, dass die Krankenhäuser nicht durch Rückforderungen der Krankenkassen bestraft werden, wenn sie Patient(inn)en weiter versorgen, die nach Krankenhausaufenthalt wegen fehlender Plätze nicht in die Kurzzeitpflege entlassen werden können (sogenannte "sekundäre Fehlbelegung"). Ein ähnliches Problem, das die beiden Verbände gemeinsam benannt hatten, tritt auf, wenn Patient(inn)en bei einer Indikation für eine ambulante OP stationär behandelt werden, weil sie zum Beispiel dement sind oder weil zu Hause niemand ist, der im Notfall in der Nacht den Arzt rufen könnte. Beide Anliegen wurden von den zuständigen Abgeordneten unterstützt, aber letztlich konnten die gewünschten Gesetzesänderungen nicht durchgesetzt werden und bleiben auf der Agenda für die Gesetzgebung 2020.
Gemeinsam haben KKVD und DCV auch zur Personaluntergrenzenverordnung (PpUGV) Stellung genommen. Sie forderten, statt starrer, stationsbezogener Pflegepersonaluntergrenzen ein modernes Pflegebemessungsinstrument zu schaffen, das den Pflegepersonalbedarf für das gesamte Krankenhaus abbildet. Bei der Verordnung konnte erreicht werden, dass die Anästhesie- und Operationstechnischen Assistent(inn)en und Notfallsanitäter(innen) als pflegeunterstützende Kräfte bei der Personaluntergrenze berücksichtigt werden.
Impfpflicht für Kinder und Personal
Das Masernschutzgesetz, das zum 1. März 2020 in Kraft treten wird, hat die Verbandsgemüter stark beschäftigt. Die vom Bundesgesundheitsminister angestrebte Masernimpfpflicht für Kinder sollte mittels Nachweispflichten der Eltern gegenüber den Leitungen von Kindertagesstätten durchgesetzt werden. Hier konnte schon im Vorfeld der Anhörung eine Öffnungsklausel der Länder erwirkt werden. Nach dieser Klausel können die Eltern, wie von der Wohlfahrtspflege gefordert, auch gegenüber dem Gesundheitsamt oder anderen zuständigen Stellen, wie dem Träger der Einrichtung, die Impfung nachweisen. Die Impfpflicht gilt für Kinder, die in Horten, von Tagesmüttern, in Schulen oder Kinderheimen betreut werden sowie für alle, die in Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber(innen) und Flüchtlinge untergebracht sind. Auch sämtliches Personal muss einen Immunitätsnachweis erbringen. Dieser erstreckt sich auch auf alle Beschäftigten, die in Gesundheitseinrichtungen arbeiten, wie in Krankenhäusern, Vorsorge- und Rehaeinrichtungen, Arztpraxen, Rettungsdiensten oder Intensivpflegediensten.
2019 war auch das Jahr der Ausbildungsreform in den Gesundheitsberufen. Der DCV hat sich zusammen mit dem KKVD insbesondere bei der Reform der Hebammenausbildung engagiert. Die Akademisierung der Hebammenausbildung ab dem Jahr 2022 wurde positiv bewertet - insbesondere, dass die Geburtshilfe als Vorbehaltsaufgabe von Hebammen definiert wird. Ein Teilerfolg der Lobbyarbeit war, dass der Anteil der berufspraktischen Ausbildung, der im Gesetzentwurf von gegenwärtig 2500 auf 2100 Stunden reduziert werden sollte, nun wieder um 100 Stunden auf 2200 Stunden erhöht wird. DCVund KKVD hatten gefordert, die 400 den Hochschulen frei zur Verfügung stehenden Stunden vollständig dem berufspraktischen Teil zuzuschlagen, um die so wichtige praktische Ausbildung zu stärken.
Ausbildung in den Gesundheitsberufen wurde reformiert
Ein weiterer Erfolg war, dass die Kinderkrankenpfleger(innen), die wegen einer EU-Richtlinie vom Zugang zur Ausbildung ausgeschlossen waren, nun doch die Ausbildung zur Hebamme beziehungsweise zum Entbindungspfleger absolvieren und damit ihr Potenzial einbringen können. Ein Wermutstropfen ist, dass der Gesetzentwurf den Krankenhäusern, die heute für die Hebammenausbildung zuständig sind, die eigenständige Finanzierungsgrundlage entzieht und sie somit von der Subventionierung durch die Hochschulen abhängig macht.
Zum Psychotherapeutengesetz hat die freie Wohlfahrtspflege nur kurz Stellung genommen und sich dafür eingesetzt, dass die Studieninhalte der Sozialpädagogik und Sozialarbeit ebenfalls Gegenstand der Ausbildung sind. Mit Bedauern nimmt die Caritas zur Kenntnis, dass der Zugang der Sozialarbeiter(innen) zur Kinder- und Jugendpsychotherapie der Akademisierung der Ausbildung geopfert wird. Sie konnte jedoch erreichen, dass es lange Übergangsfristen gibt, in denen der Zugang noch möglich ist.
Zur Arzneimittelgesetzgebung im Speziellen äußert sich der Deutsche Caritasverband gewöhnlich nur dann, wenn unmittelbar Patienteninteressen betroffen sind. In diesem Bereich gab es mit dem Gesetz zur Arzneimittelsicherheit (GSAV) in dieser Legislatur bisher nur wenig Gesetzgebung. Durch intensive Lobbyarbeit konnte erreicht werden, dass an dieses Gesetz die dringend benötigte Regelung zu einer Streitwertbegrenzung bei Klagen gegen Schiedsstellenbeschlüsse nach dem Pflegeberufegesetz angehängt wurde.
Preiswettbewerb unter den Kassen wird einseitig gestärkt
Kurz vor dem parlamentarischen Verfahren befindet sich das Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG), dessen Hauptziel die Reform des Risikostrukturausgleichs ist. Das Gesetz zeigt die Zentralisierungstendenzen, die Beschränkung der Selbstverwaltung und die Stärkung des Preiswettbewerbs als Handschrift des Bundesgesundheitsministers, die sich wie ein roter Faden durch seine Strukturreformbestrebungen webt: Durch den Abbau der Finanzreserven der Krankenkassen, der mit dem GKV-Versichertenentlastungsgesetz (VEG) begonnen wurde und mit dem GKV-FKG fortgesetzt wird, wird einseitig der Preiswettbewerb unter den Kassen gestärkt - statt der Wettbewerb um die beste Versorgungsqualität. Das geht jedoch zulasten gerade der vulnerablen Gruppen, für die sich die Wohlfahrtspflege einsetzt. Der Gesetzentwurf enthält jedoch auch positive Reformelemente und zwar bei der Neugestaltung des Risikostrukturausgleichs, der als Vollmodell mit einem Hochrisikopool ausgestaltet wird und auch Prävention und die Abbildung der Kosten chronischer Krankheiten stärkt, wie vom DCV gefordert. Nachbesserungsbedarf sieht die Caritas jedoch bei der Streichung der Erwerbsminderungsgruppen. Auch die hausärztliche Primärversorgung darf nicht geschwächt werden.
Unmittelbar in den Startlöchern der parlamentarischen Beratung steht das Intensiv- und Rehagesetz (IPREG), dessen Kabinettsfassung bei Redaktionsschluss für diesen Artikel noch nicht vorlag. Daher: Fortsetzung folgt.
Die Lebensleistung honorieren
Ökologie und Soziales zusammen denken
Viel hilft nicht immer viel
Wettbewerbsneutralität vor Lenkungszweck
Ausbildungsbilanz 2019
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