Mehr Selbstbestimmung und Qualität in der rechtlichen Betreuung
Nach fast 30 Jahren soll das Betreuungsrecht reformiert werden. Wichtige Ziele sind dabei mehr Selbstbestimmung und Autonomie für die betreuten Menschen und eine deutliche Qualitätsverbesserung der Anwenderpraxis in allen Bereichen.
Das Image der rechtlichen Betreuung ist nicht das beste. Die breite Öffentlichkeit verbindet mit diesem Instrument leider keine Unterstützung und Hilfe, sondern befürchtet Entmündigung und Entrechtung. Über die Gründe kann man viel mutmaßen.
Tatsächlich wird eine rechtliche Betreuung dann erforderlich, wenn sich der betroffene Mensch in einer Situation befindet, in der er nicht mehr alles alleine regeln kann. Die Auslöser sind vielfältig, aber oft mit Einschränkungen verbunden, die mit einer Erkrankung, einer Behinderung oder schlicht dem Alter einhergehen. Die Situation ist für die Betroffenen schwierig, kann angstbesetzt und mit einem Gefühl von "Ausgeliefertsein" verbunden sein. Die Menschen sind auf Unterstützung und Hilfe angewiesen und haben scheinbar nicht mehr durchgehend die alleinige Kontrolle über ihr Leben. So fühlt es sich für manche an. Die Sorge, dass andere das ausnutzen könnten, ist verständlich und leider - in einigen, sehr wenigen Fällen - auch berechtigt.
Eine ganz andere Frage ist, ob Menschen, die helfen und unterstützen, dies immer im wirklichen Sinne der Betroffenen tun. Das ist zumindest überprüfenswert. Menschen neigen dazu, in der Unterstützung anderer ihre eigenen Maßstäbe zugrunde zu legen, und die Gefahr ist groß, zu wissen zu glauben, was für den anderen gut und richtig ist. Bei den beruflichen Betreuer(inne)n gibt es zwar, meist im Gegensatz zu den ehrenamtlichen Betreuer(inne)n, einen anderen fachlichen Hintergrund der Selbstreflexion, aber die verständliche Sorge bleibt, dass diese schlicht nicht ausreichend Zeit haben, sich tatsächlich individuell ihren Betreuten zu widmen.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat solche Fragestellungen zur Qualität der rechtlichen Betreuung in zwei Studien 2016/2017 überprüfen lassen. Anlass war auch die Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die in Deutschland seit 2009 geltendes Bundesrecht ist. Darin hat sich Deutschland verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu schaffen, um Menschen mit Behinderung Zugang zu der Unterstützung zu verschaffen, die sie bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit benötigen. Es ist lange darum gerungen worden, ob das aktuelle Betreuungsrecht das wirklich gewährleistet. Auch diese Fragestellung wurde in die Forschungsvorhaben übernommen.
Die beiden Studien befassten sich daher zum einen mit der Qualität und Selbstbestimmung in der rechtlichen Betreuung und zum anderen mit dem Erforderlichkeits-Grundsatz und der Schnittstelle zwischen rechtlicher Betreuung und Sozialrecht. Kritische Stimmen mutmaßten, dass eine Betreuung viel zu schnell eingerichtet wird, obwohl andere Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Im Ergebnis der Studien wurde deutlich: Die Qualität ist insgesamt besser als ihr öffentlicher Ruf, aber es gibt Verbesserungspotenzial: bei der Beteiligung und Einbindung von Betroffenen, bei der Rollenklarheit von Betreuerinnen und Betreuern - insbesondere den ehrenamtlichen Betreuer(inne)n -, bei der Umsetzung der unterstützten Entscheidungsfindung. An der Schnittstelle zum Sozialrecht werden vorgelagerte Hilfen zu wenig angeboten oder nicht genutzt.
Rechtliche Betreuung soll aber unterstützend und fördernd sein. Sie soll Menschen ihre Selbstbestimmtheit und Autonomie lassen beziehungsweise sie dabei unterstützen, sie wiederzuerlangen.
Diskussionsprozess im BMJV
Von Juni 2018 bis November 2019 diskutierten circa 100 Expert(inn)en aus verschiedenen Fachgebieten und Organisationen die Erfordernisse einer Reform in vier Facharbeitsgruppen: Selbstbestimmung, berufliche Betreuung, Ehrenamt/Betreuungsvereine, Schnittstelle Sozialrecht. Ein Workshop für Selbstvertreter(innen) gab den Betroffenen Gelegenheit, sich einzubringen und ihre Wünsche zu formulieren. Ein beeindruckender Prozess der Beteiligung und Mitwirkung.
Gesetzentwurf
Der Referentenentwurf, der im Juni 2020 veröffentlicht wurde, griff die Diskussionserkenntnisse in vielfacher Weise auf und baute bereits Brücken zu den erwartbaren Kritikern. Der Gesetzentwurf ist übersichtlich gestaltet und sprachlich einfach aufgesetzt, so dass er auch von den Anwendern (oft keine Juristen) gut verstanden werden dürfte. Mit dem neuen Gesetz soll die Stärkung der Selbstbestimmung und Autonomie unterstützungsbedürftiger Menschen ermöglicht werden, eine bessere Qualität in der Praxis erreicht werden und die Umsetzung des Erforderlichkeits-Grundsatzes klarer gelingen. Am 23. September 2020 hat das Bundeskabinett einen Regierungsentwurf verabschiedet, der leichte Änderungen aufweist. Bei Redaktionsschluss war dieser noch nicht veröffentlicht.
Was soll sich ändern?
Für die Betroffenen
Damit Selbstbestimmung und Autonomie gestärkt werden, sind Betroffene deutlicher im Verfahren beteiligt (Beispiel: Ermittlung und Berücksichtigung von Wunsch und Wille, Ermöglichung eines Gesprächs zum Kennenlernen zwischen Betreuer(in) und Betreutem). Das Unterstützungsprinzip im Sinne von Artikel 12 UN-BRK ist in § 1821 BGB_E zentral verankert. Die Vertretungsbefugnis des Betreuers bleibt zwar im Außenverhältnis grundsätzlich bestehen (Kann-Vorschrift), es muss aber bei jeder einzelnen Willenserklärung geprüft werden, ob nicht eine unterstützende Begleitung des Betroffenen bei seiner eigenen Entscheidung ausreicht.
Für die Vereine
Neben der Beschreibung von Anerkennungsvoraussetzungen werden die Aufgaben der Betreuungsvereine gesetzlich beschrieben. Sie sind damit eindeutig eine öffentliche Aufgabe, die entsprechend zu finanzieren ist. Die ehrenamtlichen Fremdbetreuer sollen verbindlich an einen Betreuungsverein gebunden werden. Das gilt leider nicht für familiäre Betreuer. Das Vergütungsverbot für Vereine wird aufgehoben. Gleichzeitig wird die Verhinderungsbetreuung gestärkt. Das bietet den Vereinen die Möglichkeit, in jedem Einzelfall den Verein als Verhinderungsbetreuer vorzuschlagen. Diese Tätigkeit ist vergütungsfähig und sichert eine größere Kontinuität der Arbeit im Krankheitsfalle oder bei Mitarbeiterwechsel. Die erweiterte Unterstützung, die durch die Betreuungsbehörden angeboten beziehungsweise vermittelt werden kann, kann an Vereine delegiert werden.
Betreuungsvereine: Was ist kritisch zu sehen?
Berufliche Betreuer müssen sich zukünftig registrieren und eine persönliche Eignung und ausreichende Sachkunde nachweisen. Das gilt auch für Vereinsbetreuer(innen). Näheres wird in einer Verordnung beschrieben werden, die noch zu erstellen ist. Daran werden wir vermutlich mitwirken können. Die damit verbundene Sicherung einer grundsätzlichen Qualität in der rechtlichen Betreuung unterstützen wir. Problematisch bleibt die mögliche Ausführung. Es sollte ein zusätzliches Verfahren zur Registrierung einzelner Vereinsbetreuer(innen) neben der Anerkennung des Betreuungsvereins, der bereits entsprechende Verpflichtungen zur Qualitätssicherung eingeht, vermieden werden.
Die Finanzierung der Betreuungsvereine wird trotz des Anspruchs auf eine bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung nach § 17 BtOG_E eine Herausforderung bleiben. Es ist zu erwarten, dass die Bundesländer die in § 15 BtOG_E genannten Aufgaben der Vereine unterschiedlich ausgestalten und somit auch finanzieren. Es müssen mit jedem einzelnen Bundesland entsprechende Verhandlungen geführt werden. Besser wäre ein klarer bundeseinheitlicher Rahmen mit einer einheitlichen Bemessungsgröße.
Kritisch sehen wir auch die fehlenden Delegationsmöglichkeiten der Behörde an Vereine. Da gab es in der Vergangenheit gute Modelle, die nun einfach ausgeblendet wurden. Ein weiteres Problem tut sich auf mit dem neuen § 1816 BGB_E, der in Absatz 6 bestimmt, dass eine Person, die zu einem Träger von Einrichtungen oder Diensten gehört, die in der Versorgung des Betreuten tätig ist, nicht zum Betreuer bestellt werden kann. Das ist eine Verschärfung des aktuellen § 1897 BGB und schafft Probleme insbesondere in den Regionen, die sich nicht durch Trägervielfalt auszeichnen.
Für die Träger von Betreuungsvereinen stehen demnächst als Hausaufgaben an:
- die Erarbeitung einer Vereinbarung mit Ehrenamtlichen: Was ist Bestandteil, was wird angeboten, wie kann eine Verhinderungsbetreuung sichergestellt werden, was kann und sollte vom Ehrenamtlichen erwartet werden?
- die Schulung Ehrenamtlicher - insbesondere zu unterstützter Entscheidungsfindung;
- die Überprüfung und Nachschulung der Kenntnisse der beruflichen Vereinsbetreuer(innen) (unterstützte Entscheidungsfindung, Selbstbestimmung Betreuter usw.);
- eventuell die Aktualisierung der Eignungsvoraussetzungen der Vereinsbetreuer(innen);
- die Mitwirkung an der Verordnung zur Registrierung der Berufs-/Vereinsbetreuer(innen).
Sicher gibt es immer Verbesserungspotenzial.Der vorliegende Entwurf greift allerdings die wichtigsten Eckpunkte des Diskussionsprozesses auf und nimmt damit die breite Beteiligung von Ländern, Verbänden, Experten und Betroffenen ernst. Er enthält schon jetzt einige Kompromissvorschläge, um angedrohte Einwände der Länder und Kommunen aufzufangen. Es wird in nächster Zeit vermutlich eher darum gehen, diesen Gesetzentwurf zu verteidigen, als ihn zu zerpflücken. Auf Länder und Kommunen kommen in der Tat weitere Aufgaben und Kosten zu. Auch die Vereine werden sich gerade in der Querschnittsarbeit neu aufstellen müssen, auch wenn sie deutlich gestärkt wurden. Insgesamt ist der Referentenentwurf gelungen! Bleibt zu hoffen, dass das am Ende auch für den Regierungsentwurf gilt.
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