Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts – was ist geplant?
"Selbstbestimmung und Qualität im Betreuungsrecht": Unter dieser Überschrift ist seit zwei Jahren im Bundesministerium der Justiz ein interdisziplinärer Diskussionsprozess gelaufen, mit dem Ziel, durch eine Reform die ursprünglichen Ziele des Betreuungsrechts von 1992 im Gesetz zu stärken und dadurch auch besser in die Praxis umzusetzen. Diese waren und sind: Abschaffung der Entmündigung, Stärkung der Personensorge, Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Betreuer(innen), rechtsstaatliche Verfahren. Vor allem sollen die durch die UN
Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hinzugekommenen Ziele (insbesondere Inklusion von Menschen mit Handicap) im Gesetz deutlich berücksichtigt werden. Ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts ist am 23. Juni 2020 veröffentlicht worden.
Die wesentlichen Inhalte
Es sind umfassende Änderungen geplant: eine Neuordnung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts im BGB und als neue Grundlage für die Strukturen des Betreuungswesens ein neues Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG), in dem Vorschriften aus dem BGB und dem Betreuungsbehördengesetz zusammengefasst werden sollen. Neu soll ein Registrierungsverfahren für berufliche Betreuer(innen) eingeführt werden.
Die Vorschläge zu Rechten der betreuten Person und Pflichten des Betreuers/der Betreuerin im BGB sollen die Ziele des Artikels 12 UN-BRK klar ausdrücken, nämlich, dass Willen und Präferenzen eines betroffenen Menschen und nicht ein etwa allgemein verstandenes Wohl Leitlinien allen betreuungsrechtlichen Handelns sind, und zwar nicht nur für Betreuer(innen), sondern für alle Beteiligten im Betreuungswesen einschließlich Richter(innen) und Rechtspfleger(innen). Deshalb wird auch klargestellt, dass der Kernbereich rechtlicher Betreuung nicht etwa die Vertretung von Menschen mit Handicap ist, sondern in erster Linie eine Unterstützung bei deren Entscheidung und ihrer Durchsetzung. Klar ist aber auch, dass es noch einen langen gesellschaftlichen Prozess erfordert, bis wir diesem Ziel näher kommen.
Sachkunde muss nachgewiesen werden
Die Vorschläge zur Neuordnung der Organisation des Betreuungswesens bringen insbesondere für die beruflichen Betreuer(innen), die Betreuungsvereine und die Betreuungsbehörden wesentliche Veränderungen. Berufliche Betreuung soll nicht mehr durch die Zahl von Betreuungen definiert werden, sondern einen Nachweis von Sachkunde und eine Registrierung bei einer örtlichen Betreuungsbehörde erfordern. Allerdings bedürfen die Voraussetzungen von Mindestqualifikationen noch der Konkretisierung. Dies soll über eine Verordnung zu späterer Zeit erfolgen.
Besonders lobend ist hervorzuheben, dass nunmehr im Gesetz klargestellt wird, dass die Leistungen der Betreuungsvereine öffentliche Aufgaben sind - die allerdings auch mit entsprechenden Rahmenbedingungen und Ressourcen unterlegt werden müssten. Und da liegt eines der Grundprobleme: Der Bund bestimmt mit Gesetzesänderungen höhere Anforderungen, die Länder und Kommunen müssen diese im gerichtlichen Verfahren, der Ausstattung der Betreuungsbehörden und bei der Finanzierung der Betreuungsvereine umsetzen.
Durch die Einführung eines gesetzlichen Vertretungsrechts für Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge in § 1358 BGB-E für einen Zeitraum bis zu drei Monaten soll einer weitverbreiteten Überzeugung in der Bevölkerung Rechnung getragen werden, dass bei Bewusstlosigkeit oder Entscheidungsunfähigkeit infolge von Krankheit der andere Ehegatte die gebotenen ärztlichen Behandlungen veranlassen darf. Damit erhoffen sich die Länder auch eine Einsparung von Betreuungsverfahren und damit von Kosten. Nicht überzeugend ist, dass Ehegatten sogar die Befugnis bekommen sollen, für sechs Wochen in freiheitsentziehende Maßnahmen, wie zum Beispiel Fixierungen, einzuwilligen.
Wie sind die Vorschläge zu bewerten?
Die Selbstbestimmung betroffener Menschen soll stärker durchgesetzt werden. Das erfordert natürlich auch Veränderungen in den Abläufen der gerichtlichen Verfahren. Die im Referentenentwurf enthaltenen Vorschläge für Ergänzungen im gerichtlichen Verfahren (FamFG) erscheinen mir aufgrund über 30-jähriger Erfahrung in der Justiz an einigen Stellen nicht genügend verbindlich: Überall, wo Richter(inne)n und Rechtspfleger(inne)n Spielräume gelassen werden, zum Beispiel bei der Bestellung von Verfahrenspfleger(inne)n, muss auch weiterhin regional mit sehr unterschiedlicher Rechtsanwendung gerechnet werden angesichts der Belastung mit sehr vielen Verfahren.
Zu fragen ist: Warum wird nach den Erfahrungen mit Mediation in anderen gerichtlichen Verfahren nicht auch hier ein informelles "Beschwerdeverfahren" zur Beilegung von Konflikten zwischen betroffenen Menschen, ihren Angehörigen und nahestehenden Personen und Betreuer(inne)n eingeführt?
Auch sollten die Betreuungsbehörden mehr Möglichkeiten bekommen, das örtliche Betreuungswesen durch eine zweckmäßige Arbeitsteilung mit leistungsfähigen Betreuungsvereinen je nach regionalen Erfordernissen zu gestalten: Seit 1992 ist die Zahl der Behördenbetreuer sehr stark gesunken. Damit ist aber auch Know-how in den Betreuungsbehörden verloren gegangen, so dass es am Beginn eines gerichtlichen Verfahrens zur Betreuerbestellung - wie im bekannten "Bochumer Modell" - in Zukunft durchaus sinnvoll sein kann, den Sozialbericht durch besonders erfahrene Vereinsbetreuer vornehmen zu lassen.
Auch fehlen im Verfahrensrecht Lösungen, die den betroffenen Menschen insbesondere im Sozialleistungsverfahren eine stärkere eigene Position verschaffen. Es muss sichergestellt werden, dass das Auftreten rechtlicher Betreuer(innen) nicht zu einem faktischen Ausschluss der Betroffenen führt, was heute im Verwaltungsverfahrensrecht durch eine Verweisung auf § 53 der Zivilprozessordnung geschieht. Betroffene sind in diesen Verfahren zu unterstützen und nicht zu entmündigen!
Am 23. September 2020 hat das Bundeskabinett einen Regierungsentwurf beschlossen, nachdem bis Mitte August Verbände, Institutionen und auch Einzelpersonen gegenüber dem Justizministerium zu dem Referentenentwurf ihre Meinung äußern konnten. Im Gesetzgebungsverfahren hat nun der Bundesrat Gelegenheit, binnen sechs Wochen Stellung zu nehmen laut Art.. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes. In der Sitzung am 6. November 2020 soll über etwa 50 Änderungsanträge entschieden werden.
Das Gesetzgebungsverfahren
Danach hat die Bundesregierung zu den Vorschlägen des Bundesrates eine Gegenäußerung abzugeben und das Ganze dem Deutschen Bundestag zuzuleiten. In einer ersten Lesung - etwa Ende November 2020 - wird von allen Fraktionen des Bundestags über den Entwurf debattiert und er wird zur weiteren Diskussion an Ausschüsse des Bundestags überwiesen. Federführend wird der Rechtsausschuss sein, der voraussichtlich eine Anhörung von Sachverständigen zu dem Gesetzentwurf und den weiteren Stellungnahmen von Bundesrat und Bundesregierung durchführen wird, vielleicht noch vor Weihnachten.
Da in der Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien geplant ist, dass die Reform noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll und spätestens im September 2021 Bundestagswahlen und vorher Wahlkampf sein werden, ist damit zu rechnen, dass der Bundestag im Februar/März 2021 die endgültige Fassung des Gesetzes beschließen wird. Anschließend findet eine erneute Befassung im Bundesrat statt, der wegen Mehrkosten, die in der Justiz und in den Kommunen entstehen können, unter Umständen sogar noch den Vermittlungsausschuss anrufen könnte.
Im Sommer 2021 soll die endgültige Fassung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Das Inkrafttreten wird nicht schon kurz nach der Verkündung sein können, sondern deutlich später. Es sollten eher drei bis vier Jahre Zeit sein, Vorbereitungen für die Umsetzung in der Praxis zutreffen. Das liegt daran, dass nicht nur einige Vorschriften im Betreuungsrecht, das bisher in den §§ 1896 bis 1908 i BGB geregelt ist, neu geregelt werden, sondern dass in diesem Gesetzgebungsvorhaben auch das Vormundschaftsrecht mit verändert wird. Das hat nicht nur umfangreiche Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch zur Folge, sondern auch im SGB VIII. - Kinder- und Jugendhilfe.
Wenn wirklich die Praxis verändert und nicht nur eine "papierene Hilfe" mit schönen Worten geschaffen werden soll, müssen umfangreiche Vorbereitungen bis zum Inkrafttreten stattfinden: Personal muss ausgebildet werden, Behörden müssen ihre Organisation umstellen, Betreuungsvereine müssen deutlich mehr ehrenamtliche Betreuer(innen) unterstützen.
Die Gesetzesvorschläge setzen die Diskussionen der letzten Jahre weitgehend um. Es wäre schön, wenn sie auch nach dem üblichen politischen Gerangel tatsächlich den Weg in das Bundesgesetzblatt fänden und Länder und Kommunen die notwendigen Mittel für die Umsetzung in der Praxis zur Verfügung stellten.
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