Digitalisierung: „Groß denken und klein anfangen“
Das politisch heißeste Thema auf der dreitägigen Bundeskonferenz der Vorstände und Geschäftsführungen der Orts-Caritasverbände (OCV) Mitte Mai in Berlin war, wie sich die Caritas zu § 219?a und dem Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche stellt. Caritas-Präsident Peter Neher betonte im Gespräch, dass eine Änderung oder Abschaffung nicht im Sinne der Caritas sei. DCV-Vorstand Eva M. Welskop-Deffaa stellte klar, dass es der Caritas und dem Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) wichtig sei, dass betroffene Frauen auch an die Adressen von Ärztinnen und Ärzten kommen müssen und dafür in der Politik über Informationswege nachgedacht werden müsse.
AfD: die Gäste aussuchen
Auch der Umgang mit der AfD ist ein Thema, das viele Ortsverbände umtreibt - ist doch neben dem Bundestag die AfD inzwischen in 13 Landtagen vertreten. "Wir unterscheiden zwischen Parlamentariern als gewählten Volksvertretern und der AfD als Partei", so Neher zur Haltung im DCV. "Auf Fragen im parlamentarischen Verfahren antworten wir, aber zum Feiern suche ich mir meine Gäste selbst aus." Wer sich rassistisch oder antisemitisch äußere, werde als Person nicht eingeladen. Der DCV erarbeitet derzeit auch ein Eckpunktepapier zum Umgang mit populistischen Parteien, das den Caritasverbänden dann zur Verfügung stehen wird.
Erste Kontakte mit der endlich arbeitsfähigen Bundesregierung, insbesondere mit der Familienministerin Franziska Giffey und Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, seien hoffnungsvoll verlaufen, wusste die Leiterin des Berliner Caritas-Büros, Kathrin Gerdsmeier, auf der Bundeskonferenz zu berichten. Eine Erhöhung des Kinderzuschlags sowie Mittel für Maßnahmen zur Integration von Langzeitarbeitslosen seien zu erwarten. Hingegen habe das Innenministerium auf absehbare Zeit keinen Termin zum Gespräch angeboten. Die geplanten Ankerzentren und die begrenzte Familienzusammenführung für Geflüchtete stellten jedoch keine guten Vorzeichen für die künftige Migrationspolitik dar.
Von der Tagespolitik Richtung Zukunft wandte die Bundeskonferenz ihren Blick, als es um Alternativen zur Ausgestaltung der Pflegeversicherung ging. Ein Experte der Universität Bremen stellte dazu mögliche Szenarien vor (die neue caritas wird darüber noch gesondert berichten). Wenig Raum nahm in der Runde im Gegensatz zum vorigen Jahr die anstehende Satzungsänderung des DCV ein. Sie soll voraussichtlich auf der DCV-Delegiertenversammlung in diesem Oktober beschlossen werden. "Die Ortsverbände sehen ihr Ziel erreicht, dass sie für die Geschlechtergerechtigkeit in den Verbandsgremien nicht den Diözesanverbänden zum Ausgleich verhelfen müssen", so die Sprecherin der Ortsebene, Regina Hertlein aus Mannheim.
Gespannte Aufmerksamkeit herrschte unter den Konferenzteilnehmenden, als die DCV-Studie zur Vergütung von Vorständen und Geschäftsführungen vorgestellt wurde. Immerhin 327 Verbände und Rechtsträger hatten daran teilgenommen. Auch dazu wird die neue caritas gesondert berichten, doch so viel sei verraten: Wenn außertariflich, also außerhalb der AVR, vergütet wird, sind auch bei der Caritas die Gehälter der Männer höher als die der Frauen. Die Spitze bilden die Geschäftsführungen von Krankenhäusern.
Appell zu mehr Transparenz
DCV-Vorstand Hans Jörg Millies stellte in Aussicht, dass schon zum Jahresende die gemeinsamen Transparenzstandards von Caritas und Diakonie überarbeitet werden würden und dann besser nachzuvollziehen seien. Er warb eindringlich bei den Ortsspitzen um die Anwendung der - noch - freiwilligen Transparenzstandards. Über kurz oder lang sei zu erwarten, dass die Empfänger von öffentlichen Mitteln zu einer gewissen Basistransparenz verpflichtet werden. Nicht alle Anwesenden waren überzeugt, dass die Veröffentlichung ihrer Geschäftszahlen samt Gewinn- und Verlustrechnung in jedem Fall hilfreich sei. Nicht für jeden sei nachvollziehbar, warum Risikozuschläge wichtig seien und warum auch Verbände Gewinne machen müssten. Auch hierzu wird die neue caritas auf der Unternehmensseite in einer der nächsten Ausgaben berichten.
Das am breitesten behandelte und am leidenschaftlichsten diskutierte Thema unter den OCV-Vorständen und -Geschäftsführenden war die Digitalisierung. Dazu hatte eine beauftragte Arbeitsgruppe ein vorläufiges Arbeitspapier erstellt, in dem Szenarien, "Knackpunkte" und Erwartungen festgehalten sind und an dem im Nachgang zur Bundeskonferenz weitergearbeitet wird.
Die Digitalexpertin Karin Zimmermann von der Agentur TLGG verdeutlichte in ihrem Input anschaulich, dass die neuen technologischen Möglichkeiten enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft und die bestehenden Geschäftsmodelle im Sozialen haben und weiterhin verstärkt haben werden. Sie ermunterte die OCV dazu, "groß zu denken und klein anzufangen". So sollten sie beispielsweise selbst lokale Innovationslabs starten und darin entwickelte Ideen vor Ort angehen. Damit war der Auftakt gegeben für eine kontroverse Diskussion, bei der viele Fragen aufgeworfen wurden. Ist es zielführend in einer hierarchischen Verbandsstruktur, lokal ein digitales Projekt anzugehen? Steht wiederum nicht gerade diese Verbandsstruktur dem Ziel im Weg, schneller zu werden, um Veränderungen herbeizuführen? Wie können alle regionalen Ebenen mit ihren personellen oder finanziellen oder technischen Ressourcen eingebunden werden, um ein neues Projekt gemeinsam zu stemmen?
Verbandsstruktur versus digitale Überregionalität
Anlass zur Hoffnung bieten die guten Erfahrungen zum überregionalen Zusammenarbeiten während der Aktion "Wählt Menschlichkeit" im vergangenen Jahr vor der Bundestagswahl (die neue caritas berichtete dazu in Heft 21/2017, S. 7). Vorstand Eva M. Welskop-Deffaa kündigte an, dass man derzeit am Beispiel der gemeinsamen, bundesweiten Online-Beratung und deren Fortentwicklung über neue Organisations- und Finanzierungsmodelle nachdenke. Auch werde die digitale Agenda einen Prozess der Rollenklärung sowie eine Priorisierung der anstehenden Aufgaben mit sich bringen müssen.
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