Der Verband wird digitaler und die Spitzengremien werden geschlechtergerecht
Den Schlusspunkt unter eine jahrelange Diskussion zur gendergerechten Satzung setzten die Delegierten des Deutschen Caritasverbandes bei ihrer Versammlung im Oktober in Osnabrück. Mit lediglich drei Gegenstimmen beschlossen die rund 160 Stimmberechtigten eine Satzungsänderung, nach der bis 2022 die obersten Gremien, also Delegiertenversammlung, Caritasrat und Vorstand geschlechtergerecht besetzt werden müssen. Als ausgewogen im Sinne der Satzung gilt eine Zusammensetzung, die bei der Delegiertenversammlung um weniger als fünf Prozent und im Caritasrat um maximal zehn Prozent von der Parität abweicht. Nochmals drohte dazu eine Debatte aufzukommen, verbirgt sich dahinter doch eine relativ komplizierte Zusammensetzung. "Es ist ein Kompromiss, aber ein wichtiges Signal zum jetzigen Zeitpunkt", versuchte Caritas-Präsident Peter Neher daher zu vermitteln. Sämtliche Satzungsänderungen müssen auch noch von der Bischofskonferenz genehmigt werden.
Missbrauchsstudie erfordert einen Wandel
In welchen Zeiten wir uns befinden, war in den Diskussionen zu den Themen aus der aktuellen Stunde des Präsidenten zu Versammlungsbeginn deutlich geworden. Die Ergebnisse der jüngsten MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch durch Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige und die Frage, wie ein Wandel tatsächlich eingeläutet werden könne, bewegten die Gemüter. Breit waren die Vorschläge von einer "Es-reicht-mir"-Aktion, der Solidarisierung mit allen veränderungswilligen Akteuren in der Kirche, einer Rente für die Opfer, Geschlossenheit gegenüber zentralistischen Tendenzen aus Rom bis hin zur deutlichen Solidarisierung mit dem derzeit vom Vatikan infrage gestellten bisherigen Rektor der katholischen Hochschule St. Georgen.
Ab welcher Ebene müssen Mitarbeitende zwingend katholisch sein? Diese Frage bewegt seit den Urteilen des EuGH zum Fall Egenberger und zum Düsseldorfer Chefarztfall unsere Kirche und ihre Caritas. Die Verbände bewegen sich momentan auf unbekanntem Terrain. Bislang hat noch kein Arbeitsgericht dazu geurteilt, wie sehr Leitungspersonen das Profil einer Einrichtung prägen und wie Werte und Ziele bei Personalentscheidungen einzuordnen sind.
Mit Flipchart-Party in die digitale Agenda
Das am intensivsten diskutierte Thema der Delegiertenversammlung war die verbandliche Weichenstellung für die digitale Transformation. In seinem Impulsvortrag zur Zukunftsfähigkeit der Caritas machte der Freiburger Erzbischof Stephan Burger, Vorsitzender der DBK-Kommission XIII für caritative Fragen, die Spannbreite des Rahmens deutlich: von verheißungsvoller Vision bis zu angstbehafteter Zurückhaltung. Den ersten Schritt auf dem Weg zur Digitalisierung habe die Caritas längst getan. Nun gelte es, auf dem Weg weiterzugehen.
Um den Delegierten zumindest den Weg in die Diskussion zu erleichtern, hatten alle vier Kommissionen der Delegiertenversammlung im Vorfeld bereits intensiv zum Thema gearbeitet und die großen Herausforderungen und Knackpunkte anhand von zwölf Flipchart-Tafeln zur Diskussion in Kleingruppen vorbereitet, so beispielsweise die Themen
- Wachsamkeit bei der Gesetzesgestaltung
- Befähigung von Klienten und Mitarbeitenden
- agilere Strukturen und neue Vernetzungen, serviceorientierte Plattformen
- finanzielle und personelle Ressourcen, Förderprogramme, Start-ups
- Sicherung einer christlichen, werteorientierten Unternehmenskultur
Die Diskussion in Kleingruppen wie auch im Plenum verdeutlichte, was auch Vorstand Eva M. Welskop-Deffaa mit dem Bild vom Schwarm anstelle des Tankers in den Blickpunkt gerückt hatte. "Wir haben eine große Gemeinschaftsaufgabe vor uns und müssen nun öfter über den eigenen Schatten springen und raus aus dem hierarchischen Denken", forderte ein Diözesandirektor. "Wir müssen unsere narzisstischen Egoismen aufgeben", bestätigte ein Vorstand aus einem anderen Bistum. "Wir müssen uns gegenseitig unsere Ideen zur Verfügung stellen", forderte eine weitere Stimme.
Wie die Gesamtarchitektur der digitalen Caritas aussehen könnte und wer bei der Bauleitung den Hut aufhat, war schon nicht mehr so deutlich umreißbar. Klar war aber allen: Das digitale Gesamtpaket der Caritas ist nur zu schnüren, wenn alle ihr Scherflein beitragen. Ob die Mittel dazu aber durch eine Nutzerbeteiligung, eine Erhöhung der verbandlichen Umlagen oder möglichst aus Fördertöpfen kommen sollen, bleibt die Frage. Deutlich formuliert wurde, dass die Zeit dränge und man an einer neuen, vernetzenden Verbandsstrategie arbeiten müsse. Doch zugleich müsse man parallel schon nächste praktische Schritte gehen. Mit der kompletten Neugestaltung der Online-Beratung ist ein Bereich schon auf dem Weg. Die verbandsweite Jobbörse - die es zwar gibt, die aber längst nicht von allen gemeinsam getragen oder gar von allen genutzt wird - wurde in Zeiten des Fachkräftemangels auch als wichtiges To-do genannt.
In ihrem Beschluss beauftragten die Delegierten die vier DV-Kommissionen, weiter an der digitalen Agenda zu arbeiten. Der DCV-Vorstand wurde ebenso damit beauftragt. Er soll dazu eine verbandliche Expert(inn)engruppe einrichten, die unter anderem eine Konzeption für Plattformlösungen für Klientenerstkontakte erstellen soll. Sie soll aber auch Finanzierungsmodelle entwickeln und verbandliche Organisationsformen für eine neue Governance-Struktur vorschlagen.
Verabschiedet wurden von den Delegierten auch das endgültige Budget für die Arbeitsrechtliche Kommission (AK) bis zum Jahr 2020 sowie ein Verfahrensvorschlag, wie künftig die Ordnung der AK geändert werden soll. Souverän soll dabei zwar die Delegiertenversammlung bleiben. Sie soll jedoch von einer Arbeitsgruppe von AK-Dienstgebern und -nehmern sowie DV-Mitgliedern eine abgestimmte Vorlage erhalten. Diese kann inhaltlich nicht von der DV geändert, sondern nur als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden.
Armutserfahrene kommen selbst zu Wort
Ein historisches Novum war, dass in der Delegiertenversammlung Menschen mit Armutserfahrung von ihrer Situation berichten und ihre Erwartungen an die Gesellschaft formulieren konnten. So machte Karin Wilke deutlich, dass neben der finanziellen Absicherung auch der Umgang mit Transferbeziehern alles andere als gut sei. "Wir wollen in Würde behandelt werden", kritisierte sie den Umgang von Anlaufstellen und Behörden mit den Betroffenen. Robert Trettin bekundete seine Solidarität mit obdachlosen Menschen mit Migrationshintergrund: "Auch für sie gelten die Menschenrechte." Große Sorge bereite ihm, dass Ungarn seit neuestem Obdachlosigkeit als Straftat behandle.
Ein Kinderdorf setzt auf „Neue Autorität“
Das Smartphone als Werkzeug einsetzen
Wie ein kultureller Wandel gelingen kann
An die Strukturen gehen
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}