Das Smartphone als Werkzeug einsetzen
Bei einer internen Umfrage in der Jugendhilfeeinrichtung Stiftung St. Konradihaus in Schelklingen haben 87 Prozent der befragten Jugendlichen und Mitarbeiter(innen) angegeben, das Smartphone täglich zu benutzen. Zu einem Laptop oder Computer greifen nur 16 Prozent jeden Tag. Bei der Befragung der Smartphone-Nutzer(innen) gaben 90 Prozent an, täglich Nachrichten zu verschicken und 89 Prozent, im Internet zu surfen. Nur 19 Prozent der Befragten schicken täglich E-Mails.
Bei den rund 100 Jungen und Mädchen im Alter von 13 bis knapp über 20 Jahre, die in der Einrichtung schulisch begleitet werden und auch eine Ausbildung absolvieren können, ist das Smartphone wie überall das dominant sichtbar genutzte Medium der Digitalisierung. Es ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und beeinflusst zunehmend das gesellschaftliche Leben. Ohne Smartphone ist man aus vielen Bereichen ausgegrenzt.
Bei der hohen Akzeptanz der Smartphone-Nutzung bei unseren Jugendlichen darf hinterfragt werden, ob dieses Medium auch bei der Begleitung und Erziehung Jugendlicher hilfreich sein kann. Diese Fragestellung steht im Gegensatz zu vielen kritischen Stimmen, die in der Digitalisierung eher ein Hindernis gelingender Jugendhilfe sehen. Auch Themen wie Verletzung des Datenschutzes, Anschauen verbotener Inhalte im Internet, Gefahren der Spielsucht oder das Darknet werden als Argument gegen eine Förderung des Umgangs mit digitalen Medien angeführt. Nach den Alltagserfahrungen wird das Smartphone überwiegend zum Spielen und zum Abrufen von Unterhaltungs- und Spaßvideos genutzt. Das stört oft die Kommunikation in der Wohngruppe, den Schulbetrieb oder bei der Ausbildung.
Wenn der Einfluss von Smartphone-Anwendungen als Risiko für Jugendliche gesehen wird, muss auch ein in § 14 SGB VIII formulierter Jugendschutzauftrag berücksichtigt werden. Danach sollen Maßnahmen angeboten werden, die die Jugendlichen "befähigen, sich vor gefährdenden Einflüssen zu schützen und sie zu Kritikfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit sowie zur Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen führen".
So wurde die Idee des Projekts "digi.KON 1.0" geboren und dafür eine zusätzliche, mit Stiftungsmitteln finanzierte IT-Stelle geschaffen.
Den persönlichen Kontakt nicht vernachlässigen
Jugendliche tragen ihr Smartphone immer bei sich und haben es ständig im Blick. Damit ist gesichert, dass digital versandte Informationen der Betreuer(innen) an die Jugendlichen auch tatsächlich - sogar nachweisbar - in deren Wirkungskreis ankommen. Damit ersetzen Mails oder digitale Termine Erinnerungszettel, die vermeintlich oft nicht ihre Adressaten erreichen. Somit bekommt die Digitalisierung schon hier eine Chance zu wirken. Wichtig ist dabei, dass die Jugendlichen weiterhin auch persönlich kontaktiert und informiert werden.
In dem Projekt wurden folgende Ziele definiert:
- Teilhabe ermöglichen: Die Jugendlichen müssen befähigt werden, auch ausbildungs- und berufsbezogene Angelegenheiten mit digitalen Medien zu bewerkstelligen, zum Beispiel Bewerbungen und E-Mails schreiben, Recherche im Internet;
- Erlernen von sozialer Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien: die eigene Intimsphäre wahren und auch die der Mitmenschen schützen. Beleidigende, erniedrigende oder abwertende Kommentare in sozialen Medien unterlassen;
- Umgang mit Digitalisierung im Alltag: eine seriöse E-Mail-Adresse einrichten, das Kalendarium und andere Grundfunktionen nutzen;
- Integration von innovativen Techniken: die Hardware und klassische Anwendungen kennenlernen und in den Alltag einbringen;
- Partizipation sowie Beschwerdemanagement: mit dem im Alltag verwendeten Tablet oder Smartphone mit den Schutzbeauftragten kommunizieren;
- Lernunterstützung: Lernsoftware nutzen, in Medienprojekte eingebunden sein, Hausaufgaben online abrufen;
- Transparenz und Kommunikation in der Einrichtung: auf ein Informationssystem zugreifen und selbst Informationen hochladen können.
Die Bedürfnisse der Jugendlichen
Zusammen mit den Jugendlichen wurde eine Projektgruppe eingerichtet, die definieren sollte, was Jugendliche mit einem Laptop oder Tablet machen wollen. Unter den Funktionen, die ein Tablet aufweisen sollte, wurde am häufigsten Internetzugang/WLAN genannt, gefolgt von den Anwendungen Facebook, gute Kamera, Musik hören, Apps herunterladen, Youtube, Spiele herunterladen.
Dankenswerterweise hat der Lions Club Munderkingen-Ehingen die ersten Tablets gespendet, damit das Projekt im Frühjahr 2018 beginnen konnte. Zunächst wurde das frei verfügbare Programm Open Office installiert und für jeden Jugendlichen eine E-Mail-Adresse eines gängigen kostenfreien Anbieters eingerichtet. Die Jugendlichen nutzen die Tablets als Privatanwender und bekommen diese nach einem erfolgreich abgelegten Medienkurs für den Privatgebrauch. Auch aus datenschutzrechtlichen Gründen bleibt das Tablet nach der Jugendhilfemaßnahme den Jugendlichen überlassen und damit deren Privatsache. So können alle Risiken, die durch die Nutzung von Einrichtungseigentum entstehen könnten, vermieden werden. Auf den Tablets wurde noch auf sinnvolle Unterhaltungsprogramme wie Quiz und Mathematikrätsel verlinkt.
Weiterbildung ist ein wichtiger Baustein
Während der Projektphase erhalten die Mitarbeiter(innen) eine medienpädagogische Fort- und Weiterbildung. Dabei werden die Eckdaten zur Einführung von "digi.KON 1.0" in den Bereichen Schule und Ausbildung definiert. Zum Schluss soll das Konzept in der gesamten Einrichtung implementiert werden. Angedacht ist, dass jede(r) Jugendliche, die/der den Medienkurs erfolgreich absolviert, mit einem Tablet/Notebook ausgestattet wird. Danach folgt eine zweijährige Evaluation der Ergebnisse und in der Folge sollen Jugendliche und Mitarbeiter(innen) zu Medienbeauftragten fortgebildet werden.
Da beim Projekt "digi.KON 1.0" auch andere Jugendhilfeeinrichtungen partizipieren sollen, hat die Stiftung St. Konradihaus bei der Bundestagung des Bundesverbandes katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen (BVkE) den Workshop "Die Digitalisierung: Freund oder Feind in der Jugendhilfe" abgehalten. Dabei wurden von den Teilnehmer(inne)n folgende Punkte angesprochen:
- Wichtig ist eine umfassende motivierende Information an die Mitarbeitenden. Bei der Aufklärungsarbeit müssen bestehende Vorbehalte abgebaut werden.
- Freies WLAN für die Jugendlichen ist in vielen Einrichtungen noch in der Diskussion. Neben der grundsätzlichen Frage ist oft schon die Leitungskapazität fraglich (ländlicher Bereich, Außenbereich).
- Datenschutz: Die Unsicherheiten und Ängste wegen rechtlicher Konsequenzen werden als Hemmschuh gesehen.
- Bei der Digitalisierung darf körperliche Bewegung nicht in den Hintergrund gedrängt werden darf. Viele Jugendliche können zum Beispiel nicht schwimmen. Parallel muss gegen die fehlende Naturverbundenheit angegangen und das Bewusstsein für die Schöpfung gefördert werden.
- Digitalisierung hat bei den unbegleiteten minderjährigen Ausländern das Überleben gesichert. In diesem Bereich ist Digitalisierung Pflichtthema.
- Die Jugendlichen müssen beim digitalen Lernen begleitet werden. Ziel muss sein, die Kinder gegen störende Inhalte stark zu machen.
- Die Erfahrung zeigt, dass angebotene Fortbildungen immer der Lebenswirklichkeit hinterherhinken.
- Die Haltung ist wichtig: großer Respekt und Empathie, dass das Smartphone für die Jugendlichen wichtig ist. Regeln müssen da sein, zum Beispiel "Handy weg beim Abendessen". Die Internetsucht muss immer bedacht werden.
- Die positive Haltung der Träger- und Leitungsebene ist notwendig. Der Gewinn aus der Digitalisierung muss gesehen werden. Wichtig ist, die Jugendlichen aktiv in die Digitalisierungsthematik einzubinden.
- Als Ziel wurde festgehalten: Das Smartphone soll Werkzeug sein. Das soll den Jugendlichen nahegebracht werden.
Die Digitalisierung wird verstärkt unsere Gesellschaft prägen. Noch ist nicht bekannt, welches Produkt dem Smartphone folgen wird. Gelingende Jugendhilfe braucht ein Bewusstsein für die und eine klare positive Haltung zur Digitalisierung, diesem aus dem Leben nicht mehr wegzudenkenden Thema. Gleichzeitig müssen Risiken klar benannt werden. Nur dann können Jugendliche in Einrichtungen der Jugendhilfe befähigt werden, sich vor "gefährdenden Einflüssen" zu schützen.
Ein Kinderdorf setzt auf „Neue Autorität“
Der Verband wird digitaler und die Spitzengremien werden geschlechtergerecht
Wie ein kultureller Wandel gelingen kann
An die Strukturen gehen
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}