Den Pflegemarkt kann man auch anders steuern
Wie viel Geld kann man mit Altenpflege verdienen? "Zu wenig!", werden viele Pflegende antworten. "Denn an meinem Arbeitsplatz entspricht der Verdienst nicht der Verantwortlichkeit und den Belastungen." "Gutes Geld kann man mit Pflege verdienen", werden viele Investoren antworten, "denn wenn man die Auswahl der Immobilie und des Betreibers richtig getroffen hat, lassen sich langfristig attraktive Renditen in der Pflegebranche erwirtschaften." Weit auseinanderliegende Antworten, die in diesem Jahr eine heftige Debatte entfacht haben. Viele Beobachter und Betroffene sehen einen Zusammenhang zwischen diesen diametral entgegengesetzten Reaktionen. In einer personalintensiven Dienstleistung wie der Altenpflege könnten gute Renditen nur durch hohe Arbeitsverdichtung und möglichst niedrige Bezahlung erwirtschaftet werden, so die zunehmend kritischen Stimmen. Eine Folge dieses Zustandes sei die niedrige Attraktivität des Pflegeberufs, dessen Arbeitsbedingungen auf viele junge Menschen abschreckend wirken. Von einer "Flucht aus der Altenpflege" reden andere, weil langjährige Mitarbeiter(innen) sich den Arbeitsbedingungen nicht mehr gewachsen fühlen.
Renditen begrenzen?
Zu den kritischen Stimmen gehören nicht nur Pflegekritiker wie Claus Fussek oder der wortgewandte und medienwirksame Pflegeschüler Alexander Jorde. Auch aus den Pflegeverbänden kommen ähnliche Anfragen, wie zum Beispiel vom Präsidenten des Deutschen Pflegerates, Franz Wagner, der die Politik auffordert, Vorsorge zu treffen, um "überschießende Renditeerwartungen" der Investoren zu verhindern.1
Für große Aufregung sorgte im Frühjahr der Vorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Gernot Kiefer, mit seiner Aufforderung an die privaten Heimbetreiber, sich zugunsten der tariflichen Bezahlung der Mitarbeitenden in ihren Renditeerwartungen zu beschränken: "Jeder Pflegeheimträger, der halbwegs normal wirtschaftet, erzielt auf das eingesetzte Kapital eine Rendite von bis zu zehn Prozent. Wenn man in der Pflege etwas bewegen will und das gesellschaftlich gewollt ist, sollten auch geringere Renditen akzeptiert werden."?2
Schließlich stießen sogar die Bundesseniorenministerin und der Bundesgesundheitsminister ins gleiche Horn: Verzicht auf Renditen zugunsten einer besseren Bezahlung des Pflegepersonals, Begrenzung der Gewinnentnahmen aus Pflegeeinrichtungen, die über Versicherungsbeiträge und Steuern finanziert werden. Gesundheitsminister Jens Spahn kündigte an: "Wenn sich das vernünftig regulieren lässt, kann ich mir das vorstellen … Man könnte versuchen, die Rendite zu begrenzen. Aber wie gesagt: Einfach ist das nicht." 3
Auf internationales Kapital verzichten?
Dass dies nicht einfach wird, zeigt sich an den Gegenstimmen. Herbert Mauel, Geschäftsführer des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), spricht von einer "vagen Hoffnung", wenn man meine, mit einer deutlichen Anhebung der Personalkosten die Zahl der Pflegekräfte zu erhöhen.4
Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, fragt: "Was würde passieren, wenn die Politik eine maximale Kapitalrendite im Pflegebereich vorschriebe? Ganz einfach: Kapitalanleger würden schauen, ob sie in anderen Branchen oder Ländern eine höhere Rendite erreichen könnten. Wenn ja, würde das Kapital dorthin wandern. Im Ergebnis gäbe es weniger neue Pflegeplätze und es entstünden längere Wartelisten für Pflegebedürftige. In Zeiten wachsenden Pflegebedarfs kann das keine Lösung sein."5
Die Rede von dem volatilen, flatterhaften internationalen Kapital ist so etwas wie das Totschlagargument in jeder Diskussion um die Begrenzung von Renditen - denn es ist wahr. Natürlich wandert das internationale Kapital dorthin, wo das Verhältnis von Rendite und Sicherheit am günstigsten ist. Und das muss nicht im deutschen Pflegemarkt sein.
Sind internationale Investoren überhaupt nötig?
Aber gibt es keine Alternative? Braucht die Pflege in Deutschland das Kapital internationaler Finanzinvestoren? Wenn nach der Prognose des Statistischen Bundesamtes bis zum Jahr 2038 die Zahl der Pflegebedürftigen auf rund 4,2 Millionen (ein Plus von 45 Prozent), steigen würde und sich die Pflegequoten in den Altersklassen dabei nicht ändern würden, würden in den kommenden 20 Jahren mehr als 400.000 zusätzliche stationäre Pflegeplätze benötigt werden.6 Bei angenommenen Gesamtinvestitionskosten von durchschnittlich 120.000 Euro je Pflegeplatz wären in den kommenden zwei Jahrzehnten Investitionen von insgesamt rund 48 Milliarden Euro aufzubringen.
Altersreichtum für die Pflegeinfrastruktur nutzen
Zum Ende des ersten Quartals 2018 betrug das Geldvermögen (ohne Immobilienvermögen) der privaten Haushalte in Deutschland 5875 Milliarden Euro.7 Ein großer Teil dieses Vermögens befindet sich im Besitz der Generation 55 plus. Die Zukunft wird also nicht allein vom Thema Altersarmut geprägt sein.
Babyboomer haben erhebliche Vermögen geerbt
Die in den demografischen Szenarien der Altersforschung so "bedrohliche" Babyboomer-Generation hat zum Teil schon erhebliche Vermögen aus den Gründerjahren der Bundesrepublik geerbt. Sie konnte über Jahrzehnte weiteres Vermögen aus gut bezahlten Arbeitsplätzen ansammeln. Die Babyboomer-Generation ist zugleich Transporteur eines Wertewandels. Sie zeigt sich offen für zivilgesellschaftliche und gemeinwohlorientierte Projekte. Schließlich ist das Anlageverhalten der Deutschen auf Sicherheit und Nachhaltigkeit ausgerichtet. Es bestehen also ideale Voraussetzungen dafür, Pflege lokal aus dem Vermögen von Bürger(inne)n vor Ort zu finanzieren.
Wenn die Altenpflege in Deutschland nicht dem Renditediktat des internationalen Kapitalmarktes ausgeliefert werden soll, sind Kommunen, Wohlfahrtsverbände, Pfarreien, Bistümer, gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen und private Akteure gefragt. Einzelne sind bereits sehr kreativ und innovativ in diesem Bereich unterwegs. Seniorengenossenschaften wie die süddeutsche MARO mobilisieren privates, lokales Kapital für den Bau von Wohngemeinschaften für Pflegebedürftige und Demenzkranke in Dörfern und in städtischen Quartieren. Kirchengemeinden investieren eigenes Kapital und Grundstücke in "ihre" Altenheime. Kommunale Wohnbaugenossenschaften stellen Raum für Demenzwohngruppen zur Verfügung, die von gemeinnützigen Pflegeanbietern betrieben werden.
Nur wer diese alternativen, lokalen Akteure in den Blick nimmt und fördert, kann die Altenpflege von den Renditeerwartungen der Investoren entkoppeln. Eine Kommune, die ihre Pflegeinfrastruktur nachhaltig sichern will, kann selbst als Investor oder auch als Initiator genossenschaftlicher und gemeinnütziger Investitionen aktiv werden. Einer kommunalen Rolle als (Co-)Investor kommt die derzeitige Steuersituation entgegen. Nach der jüngsten Steuerschätzung erwarten die Kommunen in den nächsten fünf Jahren deutliche Einnahmesteigerungen von circa 111 Milliarden Euro im Jahr 2018 auf 137 Milliarden Euro im Jahr 2023.8
Der entscheidende Faktor wird sein, wie es vor Ort gelingt, die Bürgerinnen und Bürger in die Finanzierung ihrer Pflegeimmobilien und -unternehmen einzubinden. Die "Private Haushalte und Finanzen (PHF)-Studie" der Bundesbank hat das Vermögen intensiv analysiert, das die Haushalte privat zur Altersvorsorge zurücklegen. Die Abgrenzung zwischen diesem Vermögen und anderen Anlagen wird als "nicht immer ganz einfach" beschrieben. Aber, so stellt die Studie resümierend fest: "Im Zweifel würden die Haushalte vermutlich ihr gesamtes Vermögen für die Absicherung im Alter einsetzen, wenn dies nötig würde." 9 An dieser Bereitschaft gilt es mit lokalen, nachhaltigen Lösungen anzuknüpfen.
Nachhaltige Altenpflege - wie könnte das aussehen?
Nachhaltig sind Altenpflegeeinrichtungen nur, wenn sie konsequent auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind. Hierzu sind nach dem Grundgesetz und den Länderverfassungen alle Eigentümer(innen) und wirtschaftlichen Subjekte verpflichtet. Das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie, entwickelt von einer Gruppe um den österreichischen Autor Christian Felber, versucht diese Vorgaben umzusetzen.10 Methodisches Instrument der Gemeinwohl-Ökonomie ist die Gemeinwohl-Matrix. Sie untergliedert den Wert des Gemeinwohls auf der X-Achse in vier zentrale Werte: Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung. Auf der Y-Achse setzt sie diese vier Werte in das Verhältnis zu fünf Berührungsgruppen: Lieferant(inn)en, Geldgeber(innen), Mitarbeiter(innen), Kund(inn)en, gesellschaftliches Umfeld. So entstehen 20 Themenfelder, in denen die Umsetzung der zentralen Werte gegenüber den Berührungsgruppen mit spezifischen Fragen an das Unternehmen geprüft werden kann. Die Antworten werden mit Punkten bewertet, die einen Gesamtpunktwert ergeben. Somit kann die Erreichung des Ziels Gemeinwohlorientierung auch vergleichend gemessen werden.
Dass sich auf diese Weise Unternehmen - auch im Bereich der Altenhilfe - auf neue Weise steuern lassen, zeigen Pionierunternehmen, die sich nach der Gemeinwohl-Matrix auditieren und zertifizieren lassen. Im Bereich der Sozialwirtschaft sind dies bisher nur Unternehmen der Wohlfahrtsverbände. In anderen Branchen zeigen sich auch Privatunternehmen aufgeschlossen für diese neue Form der betrieblichen Steuerung. Was spräche dagegen, privaten Anbietern in der Altenpflege, sofern sie einen bestimmten Punktwert in der Gemeinwohlorientierung erreichen, seitens der Politik ähnliche Vergünstigungen anzubieten, wie sie heute für gemeinnützige Pflegeunternehmen bestehen? Noch ist das Zukunftsmusik. Aber wenn die Politik mit der Rede von der Begrenzung der Renditen nicht nur kurzfristig eine Diskussion beschwichtigen will, sondern eine neue Steuerung der Altenpflege entwickeln möchte, tut sie gut daran, dieses Modell einer nachhaltigen Werteorientierung von Altenhilfeeinrichtungen zu fördern. Die Frage der Renditebegrenzung ist dann nicht mehr eine Frage des staatlichen Eingriffs, sondern des gelingenden Austarierens von verschiedenen Interessen unterschiedlicher Berührungsgruppen vor einem gemeinsamen verfassungsrechtlich aufgespannten Wertehorizont. Also eine im besten Sinne soziale Marktwirtschaft!
Anmerkungen
1. Burkhardt, M.: Rendite mit Senioren. ZDF, Heute, 6.4.2018.
2. Ennulat, O. S.: Branche vor den Kopf gestoßen? Gernot Kiefer, Vorstand des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), hat mit seiner Aussage zu Heim-Renditen eine hitzige Diskussion ausgelöst. In: Care Konkret, 18.5.2018 (20), S. 2.
3. Lobenstein, C.; Stuff, B.: Wir brauchen Hilfe, Herr Spahn! In: Die Zeit, 19.7.2018 (30/2018).
4. Ennulat, O. S.: a. a. O., 2018. S. 2.
5. Ennulat, O. S.: a. a. O., 2018, S. 2.
6. Ströder, C.; Stachen, J.; Loyal, S.: Pflegeheime in Deutschland. Zukunftsinvestment mit Renditevorteil. Frankfurt, 2018. S. 21. Online verfügbar unter www.jll.de/content/dam/jll-com/documents/pdf/research/emea/germany/de/pflegeheime-in-deutschland.pdf, zuletzt geprüft am 18.11.2018.
7. Deutsche Bundesbank (Hrsg.): Geldvermögensbildung und Außenfinanzierung in Deutschland im ersten Quartal 2018. Sektorale Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsrechnung, 2018.
8. Bundesministerium für Finanzen: Ergebnis der Steuerschätzung November 2018. Ergebnis der 154. Sitzung des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" vom 23. bis 25. Oktober 2018 in Hamburg. Online verfügbar unter www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerschaetzungen_und_Steuereinnahmen/Steuerschaetzung/2018-10-26-ergebnisse-154-sitzung-steuerschaetzung-dl.pdf?__blob=publicationFile&v=2
9. Deutsche Bundesbank (Hrsg.): Studie zur wirtschaftlichen Lage privater Haushalte (PHF). Frankfurt a. M, 2017, S. 47.
10. Felber, C.: Gemeinwohl-Ökonomie. Komplett aktualisierte und erweiterte Ausgabe. München: Piper, 2018.
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