Nur gesicherter Aufenthalt bietet Chance zur Integration
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF) stehen seit einiger Zeit im Fokus des öffentlichen Interesses. Bei Betreuer(inne)n bestehen häufig Fragen und Unklarheiten über die Voraussetzungen für ihren Schutz. Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und Erwachsenen in Bezug auf das Verfahren? In den Medien wird häufig suggeriert, dass unbegleitete Minderjährige nicht abgeschoben werden können, sie also quasi einen gesicherten Aufenthalt erhalten. Die Zeitung "Die Welt" titelte beispielsweise in einem Zeitungsartikel über umF: "Minderjährig und unbegleitet? Abschiebung unmöglich."1
Wie sieht es tatsächlich aus mit dieser Personengruppe? Das Asylverfahren für unbegleitete Minderjährige unterscheidet sich grundsätzlich nicht vom Verfahren anderer Personen. Ebenso haben diese Jugendlichen nur dann einen Anspruch auf erleichterten Familiennachzug, wenn sie als Flüchtlinge anerkannt werden. Allerdings bezieht sich der Anspruch nur auf Mutter und Vater. Geschwister sind davon ausgeschlossen, so dass die Eltern oftmals vor der schrecklichen Wahl stehen, mindestens ein Kind alleinzulassen.
Wenn allerdings das Asylverfahren erfolglos war, sind umF - grundsätzlich genauso wie Erwachsene - verpflichtet, Deutschland zu verlassen. Sie werden zunächst zur Ausreise aufgefordert und dann abgeschoben, wenn für sie kein Abschiebungshindernis besteht.
Das Kindeswohl steht im Vordergrund
Gemäß § 58 Abs. 1a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) hat sich die Behörde vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers jedoch zu vergewissern, "dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird". Mit anderen Worten: Die Ausländerbehörde muss sich im Einzelfall sicher sein, dass nicht nur eine Einrichtung vorhanden ist, die den Minderjährigen nach Abschiebung in seinem Heimatland aufnehmen könnte, sondern dass eine Übergabe an eine solche Institution tatsächlich stattfindet. Die abstrakte Möglichkeit, eine(n) unbegleitete(n) Minderjährige(n) zum Beispiel an Verwandte zu übergeben, die sich im Herkunftsland aufhalten und deren Aufenthaltsort noch ermittelt werden muss, reicht nicht aus. Zusätzlich steht bei der Prüfung das Kindeswohl im Vordergrund. Das bedeutet, dass eine Einrichtung, in der der oder die Minderjährige untergebracht werden soll, kindgerecht ist und sich dafür eignet. Wenn sich die Ausländerbehörde von der konkreten Möglichkeit der Übergabe überzeugt hat, muss sie dies dem/der gesetzlichen Vertreter(in) in Deutschland mitteilen, damit der/die Minderjährige noch die Möglichkeit hat, eine solche Entscheidung vor Gericht anzufechten.
In vielen Herkunftsstaaten fehlen Einrichtungen, in denen die Minderjährigen einen ausreichenden Schutz erhalten. So ließ der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Abschiebung eines unbegleiteten Minderjährigen aus dem Kosovo scheitern, weil es im Kosovo keine Einrichtungen außerhalb der eigenen Familie oder Verwandtschaft gibt, die Minderjährige aufnehmen. Nach diesen Maßstäben dürfte es in vielen Ländern ebenso schwierig sein, geeignete Institutionen zu finden. Ebenso kompliziert dürfte es für eine Ausländerbehörde sein, überhaupt Kontakt zu den Familienangehörigen des unbegleiteten Minderjährigen im Herkunftsland herzustellen.
Diese hohen praktischen und rechtlichen Hindernisse erscheinen allerdings auch angemessen, wenn man bedenkt, wie verletzlich und schutzbedürftig Minderjährige oftmals sind. Die Erlebnisse, die sie häufig auf der Flucht hatten, führen weniger dazu, dass sie als erfahren und fast erwachsen einzuschätzen sind. Im Gegenteil wirkt die Fluchtsituation für junge Menschen sogar traumatisierend, da sie oft lebensgefährliche Erlebnisse hinter sich haben.
In der Praxis scheitert die Abschiebung eines unbegleiteten Minderjährigen in den meisten Fällen daran, dass die Ausländerbehörde nicht sicherstellen kann, dass der/die Minderjährige in seinem/ihrem Herkunftsland eine angemessene Aufnahme findet.
Geduldet, aber nicht geschützt
Heißt das jedoch, dass Unbegleitete einen gesicherten Aufenthalt haben? Bei der Regelung des § 58 Abs. 1a AufenthG handelt es sich um ein Abschiebungshindernis, das lediglich dazu führt, dass eine Duldung erteilt wird. Eine Duldung ist jedoch keine Aufenthaltserlaubnis.
Das Abschiebungshindernis gilt nur bis zum Erreichen der Volljährigkeit. Dann gilt die Schutzvorschrift nicht mehr und eine Abschiebung ohne besondere Bedingungen ist möglich. Ob der junge Mensch dann Kontakt zu seiner Familie im Herkunftsstaat hat oder ob er dort allein sein wird, ist dann für die Abschiebung unbedeutend. Die Vorschrift des § 58 Abs. 1a schützt Minderjährige daher vor Abschiebung, gewährt darüber hinaus jedoch keinen Schutzstatus.
Nachteilig in dieser Situation ist oft auch, dass neben dem Abschiebungshindernis gemäß § 58 Abs. 1a AufenthG ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG nicht festgestellt werden darf. Das bedeutet, dass durch das Abschiebungshindernis nach § 58 Abs. 1a AufenthG die Behörde rechtlich gehindert ist, ein sichereres Abschiebungsverbot festzustellen.
Denkbar ist zwar, dass ein(e) Minderjährige(r), der/die eine Duldung wegen § 58 Abs. 1a AufenthG hat, eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 erhält. Dies scheitert in der Praxis jedoch meist daran, dass die Minderjährigen dazu einen gültigen Pass vorweisen müssen. Dies ist in der Praxis gerade bei umF selten.
Praktisch gesehen ist es daher sehr unwahrscheinlich, dass ein(e) unbegleitete(r) Minderjährige(r) abgeschoben wird. Es ist jedoch oftmals nur eine Warteposition, die keine Sicherheit bietet, um sich besser integrieren zu können. Daher sollte der Schutz von unbegleiteten Minderjährigen verbessert werden, indem sie als Minderjährige einen sicheren Aufenthalt erhalten. Dies ist oftmals eine ideale Ausgangsposition für eine schnelle Integration.
Anmerkung
1. "Die Welt" vom 16. November 2015: http://bit.ly/1kGGzes
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