Mit vereinten Kräften Kinder und Eltern stärken
Von psychischen Erkrankungen ihrer Eltern sind etwa 3,8 Millionen Kinder betroffen, darunter auch die suchtkranker Eltern. Diese Kinder sind vielfältigen Risiken und psychosozialen Belastungen ausgesetzt. Studien belegen beispielsweise eine hohe Gefährdung, selbst eine psychische Erkrankung oder Suchterkrankung zu entwickeln. Diese oftmals als Hochrisikogruppe betrachteten Kinder benötigen spezielle Förder- und Unterstützungsangebote. Neben dem Blick auf vorhandene Risikofaktoren stellt die Aktivierung von Ressourcen einen bedeutsamen Schutzfaktor dar. Können Kinder auf stabile familiäre oder soziale Ressourcen zurückgreifen, sind sie oftmals gestärkt und eher in der Lage, vorhandene Belastungen zu überstehen.1
Im 13. Kinder- und Jugendbericht wird konstatiert, dass eine flächendeckende und dem Problem angemessene Versorgung fehlt.2 Hier setzt das dreijährige durch eine Förderstiftung unterstützte Projekt "Chance for Kids" an. Vor Ort etablieren Erziehungs- und Suchtberatungsstellen innerhalb der Diözese Köln zahlreiche Hilfsangebote für betroffene Kinder und deren Eltern. Verortet sind diese unter anderem in Bonn, Euskirchen, Köln, Leverkusen und dem Rhein-Sieg-Kreis.
Interdisziplinäre Fachteams agieren an den Schnittstellen
Beratungsstellen eignen sich besonders für vorgenannte Entwicklungsaufgaben, da sie Betroffenen niedrigschwellige und unkomplizierte Zugangswege eröffnen. Hoch qualifizierte und interdisziplinär zusammengesetzte Fachteams agieren oft an den Schnittstellen zwischen der Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen, zwei maßgeblichen Versorgungssystemen innerhalb des Themenspektrums. Untersuchungen weisen darauf hin, dass Hilfeleistungen erst dann wirksam werden, wenn gute Kooperationen und Vernetzungen zwischen diesen beiden Systemen bestehen.3 Da diese in der Praxis jedoch nur bedingt vorhanden sind, verfolgt das Projekt als weitere wichtige Zielsetzung, verbindliche und verlässliche Kooperationsstrukturen zu etablieren.
Neue Wege durch neue Kooperationen
Bei der Gestaltung guter Kooperation und Vernetzung gehen die beteiligten Erziehungs- und Suchtberatungsstellen neue Wege, auch innerhalb der eigenen Strukturen. Beispielsweise entwickeln sich verbandsinterne Kooperationen innerhalb der Caritasverbände, so zwischen der Erziehungsberatungsstelle in Erftstadt und der Suchtberatungsstelle in Kerpen (Caritasverband Rhein-Erft-Kreis). In Düsseldorf intensivieren zwei Erziehungsberatungsstellen sowie die Fachstelle für Beratung, Therapie und Suchtprävention ihre Kooperation, zum Beispiel auf der Fallebene oder bei der gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit. Darüber hinaus werden in einzelnen Teilprojekten mit unterschiedlich gesetzten Schwerpunkten neue Angebote und Konzepte entwickelt (s. Kasten, unten).
Über diese internen Prozesse hinaus vernetzten sich die Dienste mit externen Einrichtungen der Jugendhilfe und Diensten des Gesundheitswesens. Diese systemübergreifende Kooperation umfasst: psychiatrische Dienste, Angebote Früher Hilfen, Selbsthilfe, Suchtberatung und den Bereich der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe.
In der praktischen Arbeit vor Ort entstehen unter anderem Kooperationen mit Kindergärten, Tageseinrichtungen, Schulen, Jugendämtern, Selbsthilfegruppen oder psychiatrischen Kliniken. Die Berater(innen) erweitern ihre Blickrichtung also zunehmend "nach außen", beziehen die sozialräumlichen Umgebungen mit ein oder bieten Fachkräftefortbildungen zum Kontext psychisch erkrankter Eltern an. In psychiatrischen Kliniken führen sie Elterngruppen durch, die sucht- oder psychisch erkrankte Eltern hinsichtlich der Auswirkungen der Erkrankung auf die Kinder sensibilisieren (s. Abb. 1, oben).
Das im September 2016 gestartete Projekt "Chance for Kids" möchte dazu beitragen, passgenaue, gut vernetzte und qualitativ hochwertige Hilfsangebote aufzubauen, wie dies in der Familienberatung der Christlichen Sozialhilfe in Köln-Mülheim praktiziert wird (s. Kasten, S. 20).
Perspektivisch sollen weitere Beratungsstellen innerhalb der Diözese eingebunden werden, um langfristig eine flächendeckende Etablierung zu erreichen. Unterstützung erfahren derartige (Kooperations-)Prozesse durch die beim Kölner Diözesan-Caritasverband angegliederte Koordinationsstelle. In explizit vereinbarten Leistungs- und Fördervereinbarungen sind wesentliche Zielsetzungen von "Chance for Kids" festgeschrieben, wozu auch Formen der Zusammenarbeit gehören. So findet regelmäßig der diözesane Arbeitskreis statt. Im Sinne eines Lernnetzwerks erfolgt dort ein intensiver Austausch zwischen Projektkoordination und Standorten, insbesondere jedoch unter
den beteiligten Beratungsstellen. Gemeinsam wird das Projekt prozesshaft (weiter-)entwickelt. Ausgestattet mit einer halben Fachkraftstelle sowie einem Sachkostenbudget pro Standort werden die mitunter recht unterschiedlichen Bedingungen vor Ort beleuchtet, vorgehaltene Angebote vorgestellt oder Entwicklungspotenziale abgeklopft. Schwer umsetzbare Vorhaben werden gezielt betrachtet. So erfordern insbesondere Gruppenangebote für betroffene Kinder im ländlichen Raum spezifische Konzepte und Energien. Weite Wege in die Beratungseinrichtungen, aber auch Ängste vor Stigmatisierungen erschweren es manchen Eltern, ihren Kindern den Weg in ein solches Angebot zu ermöglichen. Hier werden niedrigschwellige Zugänge eröffnet, praktische Unterstützungen geboten (etwa Fahrdienste) und es wird "ein langer Atem" hinsichtlich der Realisierung der Maßnahmen einkalkuliert.
Im Projektkontext bietet der Diözesan-Caritasverband themenspezifische Fortbildungen an und führt Fachforen durch, um die Qualifikation der involvierten Fachkräfte zu erweitern. Ebenso gilt es, auch Kolleg(inn)en den eingebundenen Beratungseinrichtungen für die Problematik zu sensibilisieren und damit das gesamte Team in die Arbeit für Kinder psychisch kranker und suchtkranker Eltern stärker miteinzubeziehen.
Angebote über den Projektzeitraum hinaus verstetigen
Letztlich benötigen die Kinder eine flächendeckende problemangemessene Versorgung.4 Eine große Herausforderung liegt darin, die geschaffenen Unterstützungsangebote über den Projektzeitraum hinaus zu verstetigen, zum Beispiel über Regelfinanzierungen vor Ort. Etliche Faktoren ermutigen uns, dieses Ziel erreichen zu können:
- Die Entwicklungsrisiken für betroffene Kinder sind empirisch eindeutig belegt. Gleichzeitig ist nachgewiesen, dass frühzeitige und nachhaltige Hilfen wirksame Schutzfaktoren darstellen.5
- Eine renommierte Fachöffentlichkeit positioniert sich, das heißt, zahlreiche Expert(inn)en fordern mit Nachdruck die Verbesserung der Versorgungslage ein.6
- (Über-)Örtliche Projekte und Initiativen bieten vermehrt Plattformen für Betroffene und Fachkräfte.7
- Medial ist die Thematik zunehmend verortet. Damit wird eine breite Öffentlichkeit erreicht, der Tabuisierung beziehungsweise Stigmatisierung betroffener Kinder und deren Familien wird entgegengewirkt.8
- Auch in der Politik ist inzwischen angekommen, dass gehandelt werden muss!9
Anmerkungen
1. Lenz, A.; Brockmann, E.: Kinder psychisch kranker Eltern stärken. Göttingen: Hogrefe, 2013.
2. 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung. Deutscher Bundestag Drs. 16/12860. Berlin, 2009, S. 235
3. Lenz, A.: Ressourcen fördern. Göttingen: Hogrefe, 2010, S. 42 ff.
4. 13. Kinder- und Jugendbericht a.a.0.
5. Mattejat, F.; Lenz, A.; Wiegand-Grefe, S. (Hrsg.): Kinder psychisch kranker Eltern - Eine Einführung in die Thematik. Göttingen: 2012, S. 13 ff.
6. Vgl. Fachtagungen wie: Interdisziplinäre Versorgung von Kindern psychisch kranker Eltern aus Sicht der Frühen Hilfen. Berlin, Januar 2017: http://bit.ly/2w52hyU; Psychisch belastete und kranke Eltern und die Risiken für ihre Kinder. Mainz, März 2017: www.kinderschutz-zentren.org/index.php?t=e&a=d&i=51828
7. Z.?B. NACOA: www.nacoa.de; KIDKIT: www.kidkit.de; Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder psychisch erkrankter Eltern: http://bag-kipe.de
8. Bergemann, G.: "Allein - trotz Eltern". In: Psychologie heute 12/2016; Homeier, S.: Sonnige Traurigtage. Kinderfachbuch für Kinder psychisch kranker Eltern und deren Bezugspersonen. Frankfurt a.M.: Mabuse, 2014.; Radiobeitrag: http://bit.ly/2wt98GE; Film: "Ein bisschen Normalität" - http://michaelschaff.de/de/film/ein-bisschen-normalitaet; simpleshow-Filme: Kinder aus suchtbelasteten Familien: www.youtube.com/watch?v=wMNRdhghLD4; Hilfen für Kinder mit psychisch kranker Eltern: www.youtube.com/watch?v=QY6OB81iodc
9. S. Fraktionsübergreifender Antrag "Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern: Deutscher Bundestag, Drucksache 18/12780.
Arbeiten mit traumatisierten Menschen
Geschlechterreflektierte Arbeit macht Mädchen stark
Klimaschutz als soziale Aufgabe
Das Entfesselungspaket ist auf dem Weg
Streitfall Scheinselbstständigkeit
Unsere Bringschuld
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}