So will Bonn die Wohnungslosigkeit überwinden
Wohnungslosigkeit überwinden und menschenwürdiges Wohnen für alle Menschen sicherstellen - das ist das Ziel der Bonner Offensive. Der Rat der Stadt Bonn beauftragte im Dezember 2022 den Caritasverband für die Stadt Bonn mit der Trägerschaft der Geschäftsstelle. Der Auftrag der Offensive orientiert sich an der EU-Resolution zur Beseitigung der Obdachlosigkeit bis 2030.
Die Zahl wohnungsloser Menschen steigt seit Jahren drastisch an, seit 2011 hat sie sich in Bonn verzehnfacht. Gleichzeitig sinkt die Zahl preisgebundener Wohneinheiten kontinuierlich. Hiervon besonders betroffen sind Menschen mit Exklusionsrisiken, mit physischen oder psychischen Erkrankungen, von Armut Betroffene, Alleinerziehende, Alte, Junge sowie Menschen mit Migrationshintergrund.
Die Grundlagen für die Überwindung der Wohnungslosigkeit zu schaffen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und setzt die Entscheidung für eine inklusive Stadtgesellschaft voraus, die nicht auf Segregation und Verdrängung setzt. Zu erreichen ist dieses Ziel nur, wenn Verwaltung, Wohlfahrtsverbände, Immobilienwirtschaft, Justiz, Gesundheitswesen und Politik eng zusammenarbeiten.
Zu den Aufgaben der Bonner Offensive gehören die Prävention von Wohnungsverlusten, die Akquise von neuem Wohnraum und die engere Vernetzung vorhandener Akteur:innen sowie eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit. Es sollen auch jene aktiviert und sensibilisiert werden, die sich in ihrer Funktion noch gar nicht als Schnittstelle zur Wohnungslosenhilfe verstehen, wie zum Beispiel Verwaltungsmitarbeitende, Lehrkräfte oder Gerichtsvollzieher:innen. Die Bonner Offensive will Prozesse optimieren und Schnittstellenarbeit verstärken, um wohnungslosen oder von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen bestmögliche Unterstützung anzubieten.
Die Geschäftsstelle der Bonner Offensive ist im Umfang eines Vollzeitäquivalents interdisziplinär besetzt. Im März 2023 hat sie ihre Arbeit aufgenommen. Das Büro befindet sich im Prälat-Schleich-Haus des Bonner Caritasverbandes, einer Einrichtung der Wohnungslosenhilfe zur ambulanten und stationären Unterbringung wohnungsloser Männer. Ihre Tätigkeit wird regelmäßig von einer Steuerungsgruppe supervidiert.
Der Kontakt zu den Vermietern ist zentral
Eine der ersten Aktivitäten der Bonner Offensive war es, Kontakte zu den größeren gewerblichen Vermieter:innen auf dem Bonner Wohnungsmarkt aufzunehmen und pragmatische Unterstützung anzubieten, etwa wenn Mietverhältnisse in Schieflage zu geraten drohen. Vermieter können von der Vermittlung durch die Bonner Offensive profitieren, denn Hilfe greift schneller und ist vor allem kostengünstiger als ein Räumungsprozess. Deren Kosten muss der:die Mieter:in möglicherweise tragen, kann sie aber oft finanziell gar nicht übernehmen. Ohne Einschaltung der Bonner Offensive wären Abmahnungen und fristlose Kündigungen ausgesprochen worden. Es ergibt sich also häufig eine Win-win-Situation für beide Seiten, für Vermietende und Mietende: In einem der Fälle wurde eine Unterbringung im betreuten Wohnen vermittelt und ein gesetzlicher Betreuer bestellt, in anderen Fällen konnten durch sozialarbeiterische und juristische Unterstützung die Mietverhältnisse gerettet werden.
Mit der gleichen Stoßrichtung hat die Bonner Offensive Kontakt zum Interessenverband der privaten Vermieter:innen, dem Verein Haus und Grund Bonn/Rhein-Sieg, aufgenommen. Nach wie vor liegen 80 Prozent des Bonner Mietmarkts in privater Hand, rund 6000 Mitglieder sind verbandlich organisiert. In ausführlichen Gesprächen mit der Geschäftsführung und den angeschlossenen Vertrauensanwält:innen konnten die Vorteile der Bonner Offensive auch für private Vermieter:innen erläutert werden. Inzwischen wurde Haus und Grund als Kooperationspartner gewonnen und hat selbst schon zweimal in der verbandseigenen Zeitschrift über die Bonner Offensive berichtet.
Präventionsarbeit beginnt jedoch nicht erst, wenn ein Mietverhältnis bedroht ist. Die potenzielle Gefahr von Wohnungsverlust ist vielmehr in jedem Beratungssetting mitzudenken. Egal ob eine ratsuchende Person sich zur Mieter:innen-, Schuldner:innen-, Familien-, Sucht- oder Erwerbslosenberatung begibt: Die drohende Wohnungslosigkeit sollte als Querschnittsthema mitgedacht werden. Dabei ist die Frage relevant, ob die Person jetzt und zukünftig in der Lage sein wird, ihren mietvertraglichen Pflichten nachzukommen, oder ob sie weitere Unterstützung braucht. Hilfreich ist es, wenn die Erstberatungsstelle an weiterführende, idealerweise persönlich bekannte Hilfen verweisen kann. In diesem Sinne hat die Bonner Offensive Kolleginnen anderer Fachrichtungen der sozialen Arbeit in verschiedenen Vernetzungsveranstaltungen Unterstützung im Beratungsprozess angeboten. Ebenso hat sie Kontakt zum Amtsgericht aufgenommen, um die dortigen Gerichtsvollzieher:innen und die Rechtsantragsstelle mit ausreichendem Material zu den Angeboten der Bonner Offensive zu versorgen. Zwar gehört soziale Arbeit nicht zum Kerngeschäft der Vollstreckungsorgane. Dies bedeutet aber nicht, dass sie gleichgültig gegenüber den menschlichen Schicksalen wären, die sie bei ihrer Arbeit antreffen.
Ebenso präventiv gibt es Kontakte zu den Entlassmanagements der Justizvollzugsanstalten und verschiedenen Kliniken. Neue ambulante Angebote zu schaffen sowohl für die Versorgung als auch für die Unterbringung insbesondere psychisch kranker Menschen, die gehäuft in städtische Unterkünfte exkludiert werden, ist ebenfalls ein Ziel der Bonner Offensive. Die Einladungen zu Arbeitskreisen und Fachtagungen sollen dazu beitragen.
Grundlage ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit
Mit zunehmendem Bekanntheitsgrad und wiederholter Presseberichterstattung häufen sich die Anfragen von Wohnraumsuchenden. Es gibt aber auch Angebote von Eigentümern zur Übergabe leerstehender Immobilien, so dass die Akquise neuen Wohnraums eng mit den Präventionsangeboten verknüpft ist. Die Vermittlung von Menschen, die verschiedene Exklusionsrisiken vereinen, gelingt auf Grundlage einer vertrauensvollen Zusammenarbeit. Weiß die vermietende Partei, dass der:die Mieter:in mit Schwierigkeiten engmaschig sozialarbeiterisch begleitet wird, ist sie eher bereit, selbst über Ausschlusskriterien wie eine negative Schufa-Auskunft hinwegzusehen. Innerhalb eines Jahres wurden so schon an 29 Personen Wohnungen vermittelt, die zuvor insgesamt 35 Jahre wohnungslos waren.
Leerstände müssen der Stadt bekannt sein
Um Wohnraum erschließen zu können, muss auch geklärt werden, wo Wohnungsleerstände sind, welche ungenutzten Gewerbeflächen umgewandelt, welche bereits versiegelten Flächen nachverdichtet oder aufgestockt werden können. Die Bonner Offensive hat auf die Kommunalpolitik eingewirkt, ein Leerstandskataster zu erstellen. Darüber hinaus wird die E-Mail-Adresse der Wohnungsaufsicht der Stadt Bonn zur Meldung von Leerständen über großflächige Info-Screens und Postkarten in gastronomischen Betrieben neu beworben.
Am Ende des Tages wird Wohnungslosigkeit aber nicht ohne Neubauprojekte zu beseitigen sein. Es ist daher wichtig, an einer Kultur mitzuwirken, die Neubauvorhaben ermöglicht. Aus diesem Grund hat die Bonner Offensive Vertreter:innen der Immobilienwirtschaft, Träger der Wohlfahrtsverbände und die Verwaltung zu einem runden Tisch "Wohnen und Wohnungsnot" eingeladen, um innerhalb der Grenzen der Machbarkeit alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Dazu gehört auch eine Öffentlichkeitsarbeit, die in die Stadtgesellschaft hineinwirkt und das Bewusstsein für Wohnungsnot und ihre Konsequenzen schärft. Denn auch das ist Teil der Wahrheit: Alle fordern Wohnungsbau, aber sobald ein Projekt - womöglich auch noch öffentlich gefördert - im eigenen Quartier auch nur angedacht wird, stemmt sich eine Bürgerbewegung kraftvoll dagegen. Da hilft nur Aufklärung über die demokratiegefährdenden Konsequenzen von Segregation. Die Bonner Offensive ist zu erreichen per E-Mail: eu2030@caritas-bonn.de
Wohnungsnot in Zahlen
Eine wachsende Stadt braucht mehr Wohnungen
Die Wohnungslosigkeit in Europa hat im letzten Jahrzehnt dramatisch zugenommen. Auch die Großstädte in Deutschland sind betroffen. In Bonn hat sich die Zahl wohnungsloser Menschen seit 2011 verzehnfacht - und Bonn ist weiterhin eine wachsende Stadt. Das Statistische Landesamt Nordrhein-Westfalen rechnet hier mit einem Bevölkerungszuwachs von 8,8 Prozent bis zum Jahr 2050. Das bedeutet einen Anstieg um rund 1000 Einwohner:innen pro Jahr. 2050 leben also voraussichtlich rund 30.000 mehr Menschen in der Stadt. Legt man die aktuelle Haushaltsgröße von 1,9 Personen pro Haushalt zugrunde, ergeben sich rund 15.000 zusätzliche Haushalte. Dazu kommen diejenigen, die bereits jetzt auf Wohnungssuche sind, die jetzt schon viel zu lange in Sammelunterkünften leben sowie die Mieter:innen, deren Wohnungen aus der Preisbindung fallen. Nach dem jüngsten Wohnungsmarktbericht der Stadt Bonn für das Jahr 2022 beträgt der Anteil des geförderten Wohnungsbestandes nur noch 6,16 Prozent. Wohnungswirtschaftlich sinnvoll ist jedoch ein Bestand von etwa zwölf Prozent. Gleichzeitig steigen die Mieten: Schon jetzt haben 45 Prozent aller Bonner:innen eine Mietbelastungsquote von mehr als 35 Prozent ihres Haushaltseinkommens. Danach hat etwa jeder zweite Haushalt einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein und ist einem Armutsrisiko ausgesetzt.