Aufenthalt und Vertreibung im öffentlichen Raum
Der öffentliche Raum gehört allen. Seine Nutzung unterliegt einer Vielzahl von rechtlichen Regelungen und politischen Einflussnahmen. Dies betrifft vor allem auch obdachlose und wohnungslose Menschen sowie Menschen in sonstigen besonderen Lebenslagen. Bei Fragen der Zulässigkeit eines Lebens auf der Straße, der Zulässigkeit des Bettelns und des Konsums von Alkohol werden die hier angesiedelten Probleme deutlich.
◆ Aufenthalt im öffentlichen Raum/Leben auf der Straße
Der zulässige Aufenthalt auf öffentlichen Straßen und in Grünanlagen umfasst nach herrschender Meinung kein allgemeines Recht zum Leben auf der Straße (Aufschlagen eines Lagers zum Daueraufenthalt/Übernachten). Verwiesen wird darauf, dass im Sozialstaat ein verbürgtes Recht auf die Bereitstellung einer Unterkunft besteht. Allerdings löst dieses nicht alle Probleme. Und nicht alle Menschen haben Anspruch auf soziale Leistungen (etwa EU-Bürger:innen). Ferner werden Notunterkünfte teilweise aufgrund der Herausforderungen durch das Zusammenleben auf engem Raum und mangelhafter Ausstattung nicht in Anspruch genommen.
Das im Sozialstaat verbürgte Recht auf Bereitstellung einer Unterkunft umfasst gemäß Art. 20 I in Verbindung mit Art. I Grundgesetz die Gewährleistung einer menschenwürdigen Ausstattung von Notunterkünften sowie einen weitergehenden Anspruch auf die Vermittlung von Wohnraum. Auch wenn ein allgemeines Recht zum Leben auf der Straße nicht anerkannt wird, ist ein selbstgewähltes Leben auf der Straße zumindest zu dulden. Zwar sind gewisse Beschränkungen beim Leben im öffentlichen Raum möglich etwa den Ort betreffend, in Aushandlungsprozessen mit den kommunalen Behörden können dazu aber sachgerechte Lösungen gefunden werden.
◆ Betteln
Grundsätzlich ist Betteln im öffentlichen Raum zulässig. Das war nicht immer so. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik existierten Strafrechtsbestimmungen, auf deren Grundlage bestimmte Formen des Bettelns verfolgt wurden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat 2021 die grundsätzliche Zulässigkeit des Bettelns ausdrücklich unterstrichen. Die Praxis in den Kommunen stimmt allerdings nicht immer mit dieser Rechtslage überein. Oft sollen nicht nur das Bedrängen und Verfolgen oder körperliche Attacken gegenüber Passanten verboten sein ("aggressives Betteln"), sondern bereits jegliche über das "stille" Betteln hinausgehende Ansprache von Passant:innen. Fragwürdig sind auch die in den letzten Jahren verstärkt ergangenen Verbote "organisierten Bettelns". Hier wird davon ausgegangen, dass kriminelle Bettelbanden aktiv sind. Pauschale Bewertungen dieser Art sind nicht haltbar. Dies wird auch aus Stellungnahmen sozialer Dienste und der Polizei deutlich. Zwar existieren Einzelfälle einer strafbaren Ausbeutung von Menschen durch "Hintermänner". Eine pauschale Zuordnung von zum Betteln anreisenden Menschen als Teil einer "Bettelmafia" verfehlt aber die Sachlage. Vielmehr geht es beim organisierten Betteln in erster Linie um eine Anreise von Menschen, die von der Freizügigkeit innerhalb der EU Gebrauch machen, um durch Betteln ihre schwierige soziale Lebenslage in den Heimatländern zu verbessern.
◆ Alkoholkonsum im öffentlichen Raum
Grundsätzlich ist in der Rechtsprechung geklärt, dass vom Konsum von Alkohol an sich keine Gefahr ausgeht und Alkohol im öffentlichen Raum konsumiert werden darf. Bei unzulässigen Verhaltensweisen können Polizei- und Ordnungsbehörden eingreifen. Allerdings wird seit vielen Jahren versucht, eine erweiterte Verbotspraxis durchzusetzen.
In mehreren Bundesländern haben die Landesgesetzgeber in den letzten Jahren spezielle Regelungen erlassen, um Verbote des Alkoholkonsums zu ermöglichen. Kommunen können damit zum Zweck der Gefahrenvorsorge für bestimmte Teile des innerstädtischen Raums Verbote des Alkoholkonsums erlassen. Voraussetzung ist, dass es an bestimmten Orten nachweislich zu einer besonderen Verdichtung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gekommen ist. Diese neue Entwicklung wirft rechtliche Grundsatzfragen auf. Vor allem stellt sich die Frage, ob nicht Alternativen zu einem Verbot bestehen (Entschärfung durch Maßnahmen der Polizei und Konzepte der Sozialarbeit). Häufig wird daher eine Doppelstrategie verfolgt: Alkoholkonsumverbote verbunden mit dem Aufbau alkoholakzeptierender Aufenthaltsräume und einer Verstärkung der sozialen Beratung.
Zu beachten ist, dass Verbote häufig nur eine bloße Verlagerung bewirken und friedlichen alkoholabhängigen Menschen das Recht auf soziale Treffpunkte im innerstädtischen Raum genommen wird.