Hilfe – so beweglich wie das Leben
Stationäre Hilfeformen werden immer häufiger infrage gestellt. Angesichts des Ziels der Personenzentrierung in der sozialen Arbeit erscheinen sie als zu starr und nicht mehr zeitgemäß. Häufig wird argumentiert, stationäre Hilfe blockiere Verselbstständigung und produziere Hilfebedarfe. Deshalb sind Anbieter gezwungen, Konzepte auf ihre Zukunftsfähigkeit hin zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Die Franzfreunde Düsseldorf haben diese Anpassung in den vergangenen Jahren erfolgreich gemeistert. Das bekannte Sozialwerk - genauer gesagt: dessen Campus im Stadtteil Rath - hat sich den veränderten Rahmenbedingungen mutig gestellt und sein Angebot stationärer Hilfe gemäß § 67 SGB XII angepasst. Was genau verändert wurde, das wird im Folgenden entlang der Versorgungsdimensionen aus dem Positionspapier stationärer Hilfen im Wohnungsnotfall der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe von 2019 dargestellt.1
Die Franzfreunde folgen seit jeher dem Grundsatz, dass Lebenslage und Bedarfe der Leistungsberechtigten der Ausgangspunkt ihrer Hilfen sind. Aus diesem Selbstverständnis heraus betreiben sie einen differenzierten, vernetzt arbeitenden Hilfeverbund mit ambulanten, teilstationären und stationären Diensten und Einrichtungen für wohnungslose Menschen. Am Campus Rath gibt es seit 2023 eine stationäre Hilfeform, die diesen eine individuelle Gesamtversorgung ihrer komplexen Hilfebedarfe durch die flexible Kombination von Ausstattung, Dienstleistungen und Infrastruktur bietet.2
Für wohnungslose Frauen, Männer und Menschen anderer Geschlechtsidentität sowie für Paare stehen je nach individuellem Bedarf in verschiedenen Gebäuden 122 Plätze zur Verfügung. Es gibt Wohngruppen mit Einzel- und Paarzimmern sowie Gemeinschaftsräumen, Einzel-/Paarappartements oder Einzelzimmer mit WC/Dusche. Der Zugang ist niedrigschwellig: Abstinenz ist keine Aufnahmevoraussetzung, außerdem dürfen Leistungsberechtigte ihren Hund mitbringen.
Viele Berufsgruppen wirken mit
Ein multiprofessionelles Team aus Fachkräften der sozialen Arbeit, Ergotherapie, Familienpflege, Pflege, Hauswirtschaft, Haustechnik, Personaltraining und Verwaltung steht täglich zur Verfügung, um ganzheitliche und bedarfsgerechte lebenspraktische Unterstützung zu leisten. Der Campus ist auch über Nacht mit Personal besetzt. Die Mitarbeitenden haben dabei stets das Motto "So viel Unterstützung wie nötig, aber so wenig wie möglich!" im Blick.
Wieder in Gemeinschaft sein
Wohnungslose Menschen machen oft intensive Erfahrungen mit Ausgrenzung und Vereinsamung, worunter die Kompetenzen im Umgang mit anderen leiden. Deshalb werden am Campus Rath Gemeinschaft und soziale Teilhabe durch folgende Angebote gefördert:
◆ persönliche Beratung/Unterstützung zu (Wieder-)Aufbau, Erhalt und Gestaltung sozialer Beziehungen;
◆ Partizipationsmöglichkeiten durch Hausversammlungen, Gruppensitzungen, Teilnahme an Befragungen zur Zufriedenheit der Bewohner:innen;
◆ Einrichtungsalltag und Wohngruppenleben mit sozialer Begegnung und Interaktion;
◆ freizeitpädagogische Gruppenmaßnahmen;
◆ (niederschwellige) tagesstrukturierende Maßnahmen.
Flexibel wählen können Leistungsberechtigte auch zwischen Selbstversorgung und Teil- oder Vollversorgung durch die Einrichtung mit Teilnahme an Mahlzeiten im Speiseraum. Der Wechsel kann in beide Richtungen und mehrfach erfolgen, Mischvarianten durch den Kauf von Essensmarken sind möglich. Davon unabhängig können die Bewohner:innen individuelle Unterstützung bei alltagspraktischen Tätigkeiten (Haushaltsplanung, Einkaufen, hauswirtschaftliche Tätigkeiten, Körper-/Kleiderhygiene, Ernährung, Behördengänge) erhalten.
Eine Campus-Infrastruktur mit Multifunktions- und Fitnessraum, Outdoor-Freizeitbereich, Fuhrpark und Kantine kann unmittelbar nach persönlichem Bedarf genutzt und ausprobiert werden, was Zugangs- und Annahmebarrieren reduziert. Zur Bewältigung der besonderen sozialen Schwierigkeiten und für die angestrebte Unabhängigkeit von (stationärer) Hilfe spielen zudem Kooperationen mit externen Institutionen eine große Rolle. Hier sind etwa das Jobcenter und andere Behörden, Schuldnerberatung sowie weitere Beratungsstellen, Vereine, Arztpraxen, Therapeut:innen sowie Institutionen der Wohnungswirtschaft zu nennen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Leistungsberechtigte können am Campus Rath ein breites und vielfältiges Angebotsspektrum in einem organisatorischen Setting des realitätsnahen Wohnens nutzen, um die Schwierigkeiten individuell bedarfsgerecht abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Sie können unter Berücksichtigung vorhandener Fähigkeiten und Neigungen in einem ergebnisoffenen Beratungsprozess flexibel die Angebote kombinieren, die ihnen ein menschenwürdiges Leben sowie die Teilnahme am Leben der Gemeinschaft ermöglichen und sie zur Selbsthilfe befähigen (vgl. § 68 SBG XII, DVO § 2 Abs. 1 und 2).
Selbstwirksamkeit erfahren
Die Leistungsberechtigten können am Campus Rath das "Risiko des Eigensinns" eingehen, um Falk Roscher, von 1993 bis 2006 Leiter der Hochschule für Sozialwesen in Esslingen und Mitglied im BAG W-Fachausschuss Sozialrecht, zu zitieren. Sie können sich selbst erproben und Selbstwirksamkeit erfahren. Sie steuern den Hilfeprozess, indem sie entscheiden, in welcher Unterbringungs- und Versorgungsform sie wie viel Unterstützung abrufen und zulassen. Die Hilfeziele können im Prozess angepasst werden - und die Ergebnisse bleiben so beweglich wie das Leben selbst.
1. https://tinyurl.com/nc11-24-bagw-position
2. Franzfreunde - Franziskanische Sozialwerke Düsseldorf gGmbH: Konzeption "Stationäre Wohnungslosenhilfe Voll- und Selbstversorgung am Campus Rath". 2022.