Ein Biologe in der Altenpflege
„In Spanien kann ich nicht als Biologe arbeiten“, sagt er langsam und bedächtig in dem für ihn noch fremden Deutsch. Seit drei Monaten lernt er in Paderborn die deutsche Sprache und macht parallel ein Praktikum im Caritas-Altenzentrum Hövelhof. Dort hat er auch schon einen Ausbildungsvertrag zum Altenpfleger unterschrieben. „Die vergangenen Jahre waren sehr schwer für mich“, sagt er. „Jetzt suche ich eine Arbeit, die ich liebe.“ Die scheint der Biologe in der Altenpflege gefunden zu haben. „Das ist eine gute Arbeit. Ich bin bisher sehr zufrieden. Die alten Leute sind sehr nett.“
Dass Oscar Palacio und 19 weitere Spanier im Alter zwischen 18 und 35 Jahren am 1. August in Altenpflegeeinrichtungen im Erzbistum Paderborn eine Ausbildung beginnen können, haben sie einer logistischen Meisterleistung gleich mehrerer Institutionen zu verdanken. Wegen des wachsenden Fachkräftemangels in der Altenpflege hatte Thomas Ruhoff, Geschäftsführer beim Reichsbund freier Schwestern, die Idee, Nachwuchskräfte für seine stationären Senioreneinrichtungen aus den von Jugendarbeitslosigkeit geplagten europäischen Nachbarländern zu holen. „Die Idee wurde aus der Not geboren“, gibt er zu. „Wir müssen einen bestimmten Anteil an examiniertem Personal nachweisen und dafür sind kaum noch Deutsche zu bekommen.“
Auf der Suche nach Kooperationspartnern stieß er auf den Ortsverband IN VIA Paderborn, der die Sprachkurse und die Alltagsbegleitung der spanischen Praktikanten übernommen hat, sowie die IN VIA Akademie in Paderborn, mit der der Reichsbund schon seit rund 30 Jahren kooperiert. Die Akademie übernimmt mit ihrem Fachseminar für Altenpflege den schulischen Teil der Ausbildung. Hinzu kommen weitere Kooperationspartner: 14 stationäre und ambulante Einrichtungen der Altenpflege. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen des Förderprogrammes MobilPro-EU.
In Bewegung kam das Projekt durch das ehrenamtliche Engagement der Deutsch-Spanischen Gesellschaft Paderborn. Diese nutzte ihre guten Kontakte zur Paderborner Partnerstadt Pamplona. Nach Gesprächen mit der dortigen Arbeitsagentur und dem Erziehungsministerium der nordspanischen Provinz Navarra halfen diese bei einem Bewerbungsverfahren für die Altenpflegeausbildung. 62 Bewerbungen junger Spanier kamen zusammen, die Jesus Barrientos von der Deutsch-Spanischen Gesellschaft unter Zeitdruck übersetzte. „Bis zwei Uhr morgens“, erzählt er und lacht: „Gut, dass es vorbei ist.“
44 Bewerber nahmen die Partner in Pamplona in Augenschein. „Wir haben viele Schicksale kennengelernt. Man merkte die Perspektivlosigkeit“, erzählt Margret Schwede, Vorstand von IN VIA Paderborn. In Pamplona sind ein Drittel aller jungen Leute arbeitslos. Und damit steht die nordspanische Industriestadt noch gut da. In Spanien liegt die Jugendarbeitslosigkeit im Durchschnitt bei mehr als 50 Prozent.
Gleich zwei Ausbildungen hat etwa die 21-jährige Leire Posadas schon gemacht: als Friseurin und als Kosmetikerin. Doch eine Arbeit hat sie wie viele ihrer Freundinnen nicht gefunden. Trotz ihrer Angst vor der schwierigen deutschen Sprache hat sie sich nicht abschrecken lassen. Sie gehörte zu den 26 Spaniern, die nach einem ersten dreimonatigen Sprachkurs im Januar schließlich auf dem Flughafen Paderborn-Lippstadt landeten. Erste Erfahrungen in der Altenpflege hatte sie bereits gemacht: „Ich habe meine Oma gepflegt“, berichtet sie. Jetzt ist sie in Paderborn in der ambulanten Pflege eingesetzt. „Das ist für mich super.“ Die besorgten Eltern, beide Polizisten, waren auch schon in Paderborn zu Gast, um zu schauen, wie ihre Tochter hier lebt. „Sie waren sehr zufrieden mit meiner Situation“, sagt sie.
Neuland betreten nicht nur die spanischen Auszubildenden. Auch für die Projektinitiatoren ist es eine Lernerfahrung. So zeigte sich, dass nicht genug Zeit zum Erlernen der deutschen Sprache eingeplant wurde. Ein Ausbildungsbeginn am 1. Mai war mangels Sprachkenntnissen nicht zu schaffen. Drei weitere Monate Lernen wurden eingeschoben. Doch die Finanzierung war ein Problem, die Spanier deswegen nach Hause zu schicken aber unvorstellbar. Die Lösung: Die Azubis werden in ihren Einrichtungen zunächst noch als Minijobber angestellt und erhalten als „Aufstocker“ ergänzend finanzielle Leistungen vom Jobcenter. Den zusätzlichen Sprachkurs finanzieren die Bank für Kirche und Caritas, die Stiftung der Sparkasse Paderborn und der Landesverband Paritätische. Außerdem unterstützt der Diözesan-Caritasverband Paderborn das Projekt finanziell. Denn: „Wir müssen europaweit denken“, sagt Brigitte von Germeten-Ortmann, Leiterin der Abteilung Gesundheits- und Altenhilfe. „Es ist richtig, jungen Arbeitslosen in Deutschland eine Perspektive zu eröffnen.“ Allerdings: Eine flächendeckende Lösung für den Fachkräfte-Mangel in Deutschland könne das nicht sein. „Es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Zur Lösung des Fachkräfte-Mangels müssten die Bedingungen für Pflegeberufe verbessert und diese attraktiver gemacht werden. „Nur so können wir langfristig die Personalsituation verbessern.“
Eine weitere Hürde müssen die Initiatoren noch nehmen: Die Altenpflege ist in Spanien im Gegensatz zur Krankenpflege nämlich kein anerkannter Ausbildungsberuf. Brigitte von Germeten-Ortmann ist deshalb im Gespräch mit der spanischen Botschaft in Berlin. „Ich hoffe, dass wir bis zum Ende der Ausbildung 2017 eine Lösung gefunden haben.“ Denkbar sei eine Einzelanerkennung, die laut EU-Richtlinie möglich ist, und die für alle Kursteilnehmer beantragt werden könnte. „Es ist notwendig, dass die spanischen Auszubildenden auch bei einer Heimkehr mit einem anerkannten Abschluss eine Perspektive haben.“
Bleibt dann noch zu hoffen, dass die 20 Spanier, die die Ausbildung beginnen, es hinterher mit einer Heimkehr nicht so eilig haben und noch einige Jahre in Deutschland arbeiten wollen. Der Biologe Oscar Palacio und die Friseurin Leire Posadas können sich das jedenfalls vorstellen: „Deutschland ist super.“