Kein Notnagel, sondern Investion in die Zukunft
Einerseits sind ihre Angebote wie Tagesbetreuung der Kinder Normalität in Familien. „Aber sie dürfen nicht mit einer zunehmenden Kontrolle und Überwachung der Familien einhergehen“, warnte Diözesancaritasdirektor Heinz-Josef Kessmann auf einer Tagung der Jugendhilfeträger im Kreis Steinfurt. Hilfen und damit auch der Finanzbedarf sind stark gewachsen in den vergangenen zwei Jahrzehnten. 120 Mitarbeitende und Träger der Kinder- und Jugendhilfe gingen deshalb in Emsdetten der Frage nach, wohin sie sich weiterentwickeln muss. Das kann nach Auffassung von Kessmann nur in einer „partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe“ geschehen. Notwendig sei zudem, das Finanzierungssystem umzubauen und zum Beispiel im Bereich der Inklusion Krankenkassen und Eingliederungshilfe hinzuziehen. Jugendhilfe „ist kein Notnagel in Problemfällen, sondern eine Investition in die Zukunft unserer Kinder“, sagte Kessmann.
Worum es vor allem geht, erläuterte Prof. Nadia Kutscher von der Universität Vechta als Mitautorin des 14. Kinder- und Jugendhilfeberichts der Bundesregierung: „Die Angleichung individueller Lebenschancen benachteiligter junger Menschen“. Der Bericht, der nur jeweils in jeder dritten Legislaturperiode erstellt wird, habe sich diesmal vor allem mit den Veränderungen beschäftigt und die Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe benannt. Zum Beispiel stelle sich die Frage, wie der Ausbau der Willkommensbesuche junger Familien im Rahmen der Frühen Hilfen nicht als Kontrolle sondern als Angebot zur Hilfe wahrgenommen werde. Auch das Zusammenspiel von Kinder- und Jugendhilfe mit Schule müsse besser gestaltet werden.
„Zwei Galaxien rasen aneinander vorbei“
Diese Notwendigkeit sah auch Heinz-Josef Kessmann, denn bislang „rasten da noch zwei Galaxien aneinander vorbei“. Auch hier vom „klassischen Säulendenken“ wegzukommen, sei ein wichtiger Baustein, um vorbeugend handeln zu können. Je „normaler“ die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe würden, umso wichtiger werde die Unterstützung im Vorfeld. Dazu sei es auch erforderlich, dass sie leicht erreichbar und deshalb auch kostenfrei sein müssten.
Die Hoffnung der Politik, mit Vorbeugung Geld sparen zu können, begruben sowohl Kutscher als auch Kessmann. Es habe sich, so Kutscher, in den Zahlen gezeigt, dass Frühe Hilfen kein Sparmodell seien. Bisher übersehener Hilfebedarf werde hier manchmal erst offensichtlich. „Und das ist ja gerade gewollt“, bekräftigte Kessmann. Wenn man es ernst meine, dann müsse die Jugendhilfe vor allem auch darauf setzen, die Bildungsbereitschaft und Bildungsaktivitäten zu fördern und das nicht nur als Bildungsaufgabe in Tageseinrichtungen zu sehen. Das werde nur durch eine gute Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe gelingen.
Geld ist nur ein Aspekt
Die starke finanzielle Belastung der Kommunen, die 70 Prozent der Jugendhilfekosten tragen, sehe er dabei durchaus, sagte Kessmann. Anderseits verschwänden die Einnahmeverbesserungen bislang in den Haushalten und kämen nicht der Kinder- und Jugendhilfe zugute. Geld sei ein Aspekt, Herausforderung für die Zukunft sei aber vor allem auch die Kinder- und Jugendhilfeplanung bei der Weiterentwicklung der Angebote. Fraglich sei, ob alle Verantwortlichen „diesem Prozess die notwendige Aufmerksamkeit widmen“, erklärte Kessmann. Dabei nehme er die Freie Wohlfahrtspflege nicht aus. Notwendig sei zum Beispiel, die Finanzierungssystematik, die bislang eher auf den Einzelfall ausgerichtet sei, umzustellen und mehr übergreifende Angebote zu fördern.