Anna hat uns gezeigt, wie kostbar jeder Tag ist
Als Frau S. beim Kinderhospizdienst anruft, ist ihre kleine Tochter Anna 5 Jahre alt und hat Nierenkrebs. Frau S. bittet um einen Gesprächstermin, und ich besuche sie vier Tage später zu Hause.
Anna schläft gerade, so dass wir ungestört reden können. Frau S. erzählt vom Tag der Diagnose und wie sich von diesem Zeitpunkt an ihr Leben und das der ganzen Familie verändert hat. Von den langen Krankenhausaufenthalten mit Anna, der Hilflosigkeit, mit ansehen zu müssen, wie ihr Kind vor Schmerzen weint, der Angst, der Wut auf Gott, an den sie immer geglaubt hat und dem sie nicht mehr vertrauen kann.
Sie berichtet von der Sorge um ihren siebenjährigen Sohn Paul, um den sie sich kaum noch kümmern kann, und ihrer Ehe, die vor einem Jahr zerbrach.
Sie erzählt auch von ihrer Hoffnung, wenn die Blutwerte sich mal wieder bessern, und von ihrer Dankbarkeit für die Tage, an denen es Anna gut geht und sie lacht und fröhlich ist. Frau S. weiß, dass Anna nicht mehr gesund wird. Die Ärzte haben ihr gesagt, dass ihr Krebs nicht heilbar ist und sie nur noch palliativ behandelt werden kann. Sie haben ihr geraten, Anna in einem stationären Kinderhospiz anzumelden, damit sie dort unterstützt wird, wenn Annas Leben zu Ende geht. Frau S. möchte, dass ihre Tochter zu Hause sterben kann, dort, wo sie sich sicher und geborgen fühlt.
Frau S. sorgt sich sehr um Paul, der in letzter Zeit still und introvertiert ist und nachts wieder einnässt. Ich erzähle ihr von unserer Gruppe für Geschwister schwerkranker Kinder, in der er die Erfahrung machen kann, nicht allein zu sein. Paul entscheidet sich nach einem Gespräch, an der Gruppe teilzunehmen.
Gemeinsam besprechen wir, dass eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Kinderhospizdienstes sich in der nächsten Zeit regelmäßig um Paul kümmern wird. Sie kann ihm bei den Hausaufgaben helfen und mit ihm in den Zoo oder auf den Spielplatz gehen. Marlene ist in einem Kurs gut auf die Arbeit vorbereitet worden und steht während der gesamten Zeit ihres Einsatzes in engem Austausch mit mir.
In den nächsten drei Monaten ist der Kontakt zu Frau S. und zu der kleinen Anna sehr eng. Anna malt mir ein Bild mit einem Himmel voller Sterne und Schmetterlinge, und als ich einmal allein mit ihr bin sagt sie: " Ich will nicht, dass Mama und Papa weinen, wenn ich bei den Schmetterlingen bin." Anna redet mit mir über ihre Krankheit, sie vertraut mir Dinge an, die sie ihren Eltern nicht sagen kann, weil sie sie schonen will. Annas Wissen, ihr Vertrauen und ihre Art, ihr Leben zu lieben, rühren mich.
Annas Vater kommt jetzt oft zu Besuch, weil seine kleine Tochter zu schwach ist, die "Papa-Wochenenden" bei ihm zu verbringen. An einem warmen Herbsttag geht es Anna so gut, dass die Familie spontan beschließt, den Tag mit einem Picknick im Freien zu verbringen. Paul muss nicht zur Schule gehen, Annas Vater nimmt sich frei, und sie verbringen einen Tag in der Sonne. Anna erlebt ihre Eltern, die sich sonst nur noch gestritten haben, zusammen und möchte immer wieder, dass Fotos gemacht werden.
Paul erzählt beim nächsten Treffen der Geschwistergruppe von diesem besonderen Tag und zeigt den anderen Kindern die Fotos, auf denen die Familie glücklich und gelöst aussieht.
Zwei Wochen später ruft Frau S. an. Anna geht es schlecht und sie möchte eine Kinder-Palliativ-Medizinerin und ein Kinderintensivpflegeteam einschalten, die Anna zu Hause behandeln und betreuen. Wir regeln gemeinsam alle notwendigen Schritte.
Beim nächsten Hausbesuch kümmere ich mich besonders um Paul. Annas Eltern sind im Nebenraum bei ihrer Tochter, der es sehr schlecht geht. Die Kinderärztin hat dafür gesorgt, dass Anna genug Schmerzmittel bekommt; sie schläft fast nur noch. Der Schmerz ihrer Eltern ist kaum zu ertragen. Sie bitten mich, am Abend bei ihnen zu bleiben.
Anna stirbt am nächsten Tag. Ihre Eltern und Paul sind bei ihr. Paul darf den Sarg seiner kleinen Schwester anmalen und bei der Beerdigung dabei sein. Er besucht weiter die Geschwistergruppe und hat dort die Möglichkeit, mit anderen Kindern, deren Bruder oder Schwester gestorben ist, über seine Trauer zu reden. Beim letzten Treffen sagte er: " Mit dem Traurigsein ist das so: Es geht dir gut, aber trotzdem bist du traurig." Pauls Mutter hält den Kontakt zum Kinderhospizdienst und kommt gern zum Elterncafé der Geschwistergruppe.
Wir betreuen im Kinderhospizdienst auch viele Kinder und Jugendliche, die wieder gesund werden. Auf dem ungewissen Weg dahin brauchen die Familien unsere Unterstützung und Solidarität. Anna hat den Kampf gegen den Krebs verloren. Ich denke noch oft an sie, an ihren Mut, ihre Liebe zum Leben und ihr Schmetterlingsbild. Sie, die anderen kranken Kinder und ihre Familien zeigen mir, dass jeder Tag im Leben kostbar ist.
Bei meinen Besuchen und Gesprächen auf der kinderonkologischen Station habe ich viele Erfahrungen gemacht, die die Idee für zwei Projekte zur Unterstützung der Kinder entstehen ließen:
Puppenspiel auf der Krebsstation
Pete-Nelson, ein Plüschaffe, besucht die Kinder auf der Krebsstation jeden Donnerstag mit einer Puppenspielerin. Er hilft den Kindern, ihre Angst zu überwinden und Schmerzen auszuhalten, wenn sie Spritzen oder Chemotherapie bekommen. Er macht Quatsch mit ihnen, hört ihnen zu und ist einfach da.
Kinderkino in der Klinik
Einmal im Monat kommen wir als "mobiles Kino" zu den Kindern und Jugendlichen, die nicht ins Kino gehen können. Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin hat als Schauspielerin die Möglichkeit, neue Filme zu bekommen, die aktuell im Kino laufen. Ein anderer Ehrenamtlicher kümmert sich um Leinwand und Abdunkelung. Wir konnten die Pflegekräfte sogar davon überzeugen, dass zu einem Kinoabend Chips und Popcorn dazu gehören. Kinder, die zu schwach sind, das Zimmer zu verlassen, werden im Bett in "unser Kino" geschoben, so dass alle dabei sein können.
Pete-Nelson, das Kinderkino, die Geschwistergruppe und die Gruppen für kranke und trauernde Jugendliche werden ausschließlich über Spenden finanziert. Wir sind im Kinderhospizdienst auf ehrenamtliche Mitarbeiter angewiesen und freuen uns über jeden, der mithelfen will. Anfang 2015 beginnt ein neuer Kurs für ehrenamtliche Mitarbeiter im Kinderhospizdienst.
Kontakt
Kinderhospiz- und Famielienbesuchsdienst
Pfalzburger Straße 18, 10719 Berlin
Beate Danlowski
Telefon: 030 / 666 340 363
E-Mail: b.danlowski@caritas-berlin.de
Spendenkonto
Bank für Sozialwirtschaft
IBAN DE 31100 20500 00032 13500
BIC BFSWDE33BER
Stichwort: "Kinderhospizdienst"