Mal wieder richtig Luft holen
Dabei ist „Lichtpunkte“ in Herten eine Besonderheit. Hier werden ausschließlich Demenzkranke aufgenommen. Besonders sind auch die 32 Ehrenamtlichen, die ein breitgefächertes Programm ermöglichen.
Es wäre die Chance, einfach mal faul zu sein, durch die Stadt zu bummeln, Freunde zu treffen... Das rät Sandra Schwitkowski den Angehörigen ihrer Gäste immer wieder. Aber am Anfang fällt das schwer und gelingt selten, beobachtet die Leiterin der Tagespflege „Lichtpunkte“ der Caritas Herten. Ebenso wie der erste Schritt, den Vater, die Mutter, Schwester oder Bruder tagsüber für ein paar Stunden „abzugeben“. Selbst wenn die Rund-um-die-Uhr-Pflege längst über den Kopf wächst, die Nerven blank liegen. Ist die Entscheidung gefallen, bleibt es schnell nicht bei einem Tag in der Woche, „lernen die Angehörigen, mal wieder richtig Luft zu holen,“ sagt Schwitkowski, die nicht nur über eine breite fachliche Ausbildung verfügt, sondern auch über eigene familiäre Erfahrungen mit Demenz.
32 Ehrenamtliche ermöglichen buntes Programm
„Lichtpunkte“ ist in mehrfacher Hinsicht speziell. Aufgenommen werden ausschließlich an Alzheimer und Demenz erkrankte Menschen. Das gibt es sonst weder in Herten noch im ganzen Kreis Recklinghausen. Für den guten Ruf und auch damit für eine Warteliste sorgen zweifelsohne die derzeit 32 Ehrenamtlichen, die ein buntes Programm ermöglichen und im Team mit den 15 Hauptamtlichen zusammenarbeiten. Sie können 14 Plätze regulär anbieten, dazu kommen drei Notfallplätze, die häufig ebenfalls belegt sind.
„Nachmittags haben die Ehrenamtlichen das Sagen“, erklärt Schwitkowski. Sie gestalten das Programm nach Mittagsschlaf und Kaffeetrinken im Gruppenraum. In der großen Runde von Gästen und Mitarbeitern fliegt der große Schaumstoffwürfel hin und her. Auf dem Spielbrett entscheidet sich, ob ein kurzes Worträtsel gelöst wird, sportlich die Beine gehoben werden oder ein Lied gesungen wird - Bewegung für Körper und Geist in schnellem Wechsel. Konzentriert und mit Spaß sind alle dabei.
Dann gelingt der Schlaf
Am Ende des Tages sind die Gäste rechtschaffen müde, wenn der schicke schwarze Bulli wieder vorfährt und sie nach Hause bringt. Nach einem erfüllten Tag gelingt der Schlaf. Gerade die Nächte sind für die Angehörigen sonst häufig ein Problem. Das Zeitgefühl verliert sich in der Demenz, Unruhe ist eine häufige Begleiterscheinung.
Anfangs war es der einen oder anderen Familie etwas peinlich, wenn der gespendete Bulli mit der plakativen Aufschrift „Tagespflege Lichtpunkte“ morgens zum Abholen vor das Haus rollte. Während die Gäste das bequeme Fahren, „den tollen Sound des Motors“ und das flotte Beschleunigen „schick finden“, sagt Sandra Schwitkowski.
Aber das hat sich geändert, wie die Einstellung zur Demenz insgesamt entspannter wird, sie mehr und mehr als schleichende, nicht heilbare Krankheit gesehen und anerkannt wird. In der Form von Alzheimer kann sie auch früh schon vor dem Alter von 50 ausbrechen. Die jüngste Besucherin der Tagespflege ist derzeit 49, die älteste 94.
Eine Auszeit im Garten
Eine weite Spanne, die das Team von „Lichtpunkte“ dank der guten Besetzung durch die Ehrenamtlichen auffangen kann. Da kann auch mal jemand mit einem Gast eine Auszeit im weitläufigen Garten nehmen, der sich überraschend im Hinterhof des Hauses an der Ewaldstraße auftut. Es kann zu anstrengend werden, wenn die Gefühle ausbrechen.
Sandra Schwitkowski ist ganz wichtig, dass alle „insgesamt einen schönen Tag haben“. Dazu trägt die familiäre Atmosphäre bei. Jeden Tag wird frisch gekocht und alle essen gemeinsam, Gäste, Ehrenamtliche und Mitarbeiter. Finanziell nicht einfach zu stemmen, gibt Schwitkowski zu, aber für die Atmosphäre sehr wichtig.
Morgens startet das Team mit einer kurzen „Blitzrunde“, in der die Planung des Tages besprochen wird. Aber auch kurz Luft geholt und gelacht, um Kraft für die nächsten Stunden zu schöpfen. Natürlich ist die Betreuung von demenzkranken Menschen anstrengend. „Aber gerade für sie sehr wichtig“, betont Schwitkowski, die als einzige eine Vollzeitstelle hat. Die Krankheit lasse sie vereinsamen und nicht selten die Angehörigen ebenso, wenn sie sich nicht mehr auf die Straße trauten oder rund um die Uhr in die Pflege eingebunden seien.
„Die Angehörigen kommen oft sehr spät“, bedauert die Caritas-Mitarbeiterin. Sie meint „eigentlich zu spät“. Die mögliche Entlastung lernen viele dann schnell schätzen und manche Gäste kommen an fünf Tagen in der Woche. Das Wochenende bleibt anstrengend genug. Das ist aber kein „Abschieben“, denn hier ist ihr Tag ausgefüllt, erleben sie Gemeinschaft und werden die Gefühle angesprochen, die stark bleiben, wenn das Gedächtnis schwindet. Wobei das nur in Teilbereichen stimmt. Von manchem Volkslied kennen ihre Gäste noch die 13. Strophe. Jüngere Mitarbeiter würden inzwischen die erste auswendig singen können, erzählt Schwitkowski.
Mit den Sorgen nicht allein
Zur weiteren Entlastung bietet das Lichtpunkte-Team monatlich an einem Samstagmorgen einen Brunch an. Allein die Möglichkeit zu erfahren, dass man mit den eigenen Sorgen und Belastungen nicht allein ist, hilft. Zusätzlich wird in Abständen immer wieder darüber informiert, welche Leistungen man in Anspruch nehmen kann. Die Pflegekasse übernimmt dabei je nach Pflegegrad weitgehend alle pflegebedingten Kosten des Aufenthalts in Lichtpunkte. Darüber hinaus müssen die Angehörigen zuzahlen.
Was durchaus einige tun. Denn mit der Zeit gelingt es doch, den Rat von Sandra .Schwitkowski anzunehmen, wenn die aufgestauten Arztbesuche, Einkäufe und sonstigen Aufgaben abgearbeitet sind: Einfach mal einen Tag oder ein paar Stunden faul sein, die neue Freiheit genießen ohne schlechtes Gewissen in der Gewissheit, dass es dem demenzkranken Angehörigen gut geht.
Informationen zur Tagespflege Lichtpunkte: www.caritas-herten.de/so-helfen-wir-ihnen/leben-im-alter-und-pflege/tagespflege-lichtpunkte/tagespflege-lichtpunkte