Rechner aufarbeiten – für digitale Teilhabe
Die „Computerei“, wie Horst Matzen sein leidenschaftliches Hobby nennt, hat ihn vor dem Absturz bewahrt.
Hunderte Bewerbungen hatte er geschrieben, vergebens. Doch anstatt zu resignieren, startete er zusammen mit seiner Frau Angelika, die ebenfalls auf Arbeitslosengeld II angewiesen war, ein gemeinnütziges Projekt: den Verein „ComputerSpende Hamburg“. Zehn Jahre ist das jetzt her.
Der große Durchbruch, von dem das Ehepaar einst träumte, ist zwar nicht gelungen, aber auf das Geschaffte sind die ehrenamtlich engagierten Matzens stolz: Mehr als 3500 gespendete Computer hat der Verein seit 2009 aufbereitet, an Bedürftige verteilt und so für mehr Chancengerechtigkeit gesorgt.
Der Schleswig-Holsteiner Horst Matzen genießt das Gefühl, gebraucht zu werden – genau das hatte ihm, der auch schon als Bauklempner, Friedhofsgärtner und Bierfahrer gearbeitet hatte, die Leistungsgesellschaft versagt. Nun ist der 67-Jährige in Rente und genießt es, nichts mehr mit dem Arbeitsamt zu tun zu haben. Weil ihn die Behörde immer wieder gepiesackt hat, vor allem aber, weil er sie nicht als Kooperationspartnerin gewinnen konnte. „Die haben einem Hartz-IV-Empfänger nicht zugetraut, erfolgreich zu sein“, sagt Matzen und setzt eine Denen-hab-ich-es-aber-gezeigt-Miene auf.
In den Vereinsräumen im Hamburger Osten stapeln sich Rechner, Monitore, Tastaturen, Kisten mit Adaptern, Platinen, Kabeln und sonstigem Computerzubehör. Matzen greift in eine Box, fischt Kabel und Stecker heraus. „Im Laden kosten die Sachen acht oder zehn Euro, das sind alles Werte“, sagt er und lässt seinen Arm im Raum schweifen. Einmal habe ihm ein PC-Händler Geräte gespendet, dem seien beim Anblick seines üppigen Ersatzteillagers die Augen fast übergegangen. „Der wollte sich am liebsten zwei Nächte bei uns einschließen lassen“, erzählt der Mann mit den wachen Augen und dem grauen Bärtchen.
Matzen schraubt, saugt, säubert, zerlegt und repariert jedes einzelne Gerät; viele sind erst wenige Jahre alt. „Die meisten werden ersetzt, weil sie zu langsam sind“, erklärt der Autodidakt, denn die Hersteller sorgten dafür, dass sich die PCs in kurzer Zeit zumüllen, weil jede aufgerufene Seite, jeder Tastendruck zwischengespeichert werde. Fast niemand wisse, wie man diesen Speichermüll wieder löscht. Das ärgert Matzen – genauso wie beabsichtigt eingebaute Sollbruchstellen, die ein Gerät vorzeitig lahmlegen.
Auf Wunsch wird auch verschickt
Aufgereiht stehen die fit gemachten Rechner im Eingangsbereich. Wie jeden Freitag klingelt es nachmittags an der Tür. Es ist Abholtag.
Ältere Menschen, junge Familien, Alleinerziehende, Geflüchtete zeigen Matzen ihren Bedürftigkeitsnachweis und dürfen sich einen PC samt Monitor, Drucker, Tastatur, Maus und Kabel aussuchen.
Früher verschenkte er die Sets, inzwischen kassiert der Verein eine Abholgebühr von zehn Euro. Sie tut der Initiative gut, die ohne jede staatliche Unterstützung auskommen muss, und sie signalisiert den neuen Besitzern, dass der Rechner einen Wert hat und sie sorgsam damit umgehen sollten. Ein Lächeln, ein Danke, strahlende Augen – wenn Horst Matzen sieht, wie sich diese sozial schwachen Menschen über die Geräte freuen, geht ihm das Herz auf.
Vor allem tun ihm die Kinder leid, die oft zeitlebens in der Armutsfalle gefangen bleiben. Entdeckt er unter ihnen einen begeisterten Computerfan, rückt er auch mal eines seiner hochwertigen, mit rotem Punkt gekennzeichneten Geräte heraus. „Die Freude der Kinder, dafür machen wir das“, sagt der Wahlhamburger, der inzwischen selbst Enkel hat und weiß, dass heute kein Kind mehr Hausaufgaben ohne einen Computer machen kann.
Genauso dringend bräuchten arbeitslose Erwachsene einen Internetzugang, um sich zu bewerben und Arbeit zu finden. Deshalb kann er nicht nachvollziehen, dass ein Computer in manchen Bundesländern – im Gegensatz zum Fernseher – noch immer nicht in den ALG II-Regelsätzen berücksichtigt wird. Solange das so ist, bemüht sich Matzen, die voranschreitende Digitalisierung sozial gerecht mitzugestalten – bei Bedarf verschickt er Rechner und Zubehör gegen die Portogebühr in alle Landesteile.
Sozial und ökologisch zugleich
Auf dem Monitor erscheint die Liste aller ausgegebenen Geräte, Matzen scrollt die Seiten durch. „Das alles wäre auf dem Schrott gelandet“, sagt er und lässt seinen Arm erneut kreisen. „So gesehen tue ich nicht nur was für Benachteiligte, sondern auch für die Umwelt.“ An Gerätespenden mangelt es nicht, denn die Entsorgung von Elektroschrott käme die Firmen teuer zu stehen.
Schon eher melden sich zu wenige Bedürftige. Zwar sei viel über den Verein berichtet worden, aber das wirke nicht dauerhaft. „Die Leute vergessen das schnell wieder.“ Und leider nützt es auch nicht viel, wenn das Ehepaar bei Facebook aktiv ist und die Homepage pflegt: „Diejenigen, die wir übers Internet erreichen wollen, haben keins, das ist ja die Krux. Deshalb bleibt uns nur die Mund-zu-Mund- Propaganda.“
Umso mehr freut sich der Computerexperte, dass die Mitarbeiterin von „Sozialcourage“ das Projekt nun schon zum zweiten Mal besucht. Doch diesmal fehlt jemand an Matzens Seite: seine Frau Angelika, bis dato zuständig für Formulare, Termine und Organisation. Der 67-Jährige grinst und platzt mit der Neuigkeit heraus: „Man glaubt es kaum, aber sie hat im Alter von 61 Jahren ihren Traumjob als Bauzeichnerin gefunden!“ Glücklich strahlt der Grauhaarige, dann fügt er mit leichtem Bedauern hinzu: „Jetzt muss ich mich eben auch noch mit den Papierbergen rumschlagen.“
Computerkurs: bei Matzen gratis
Manchmal bekommt er Gesellschaft von Praktikanten, Langzeitarbeitslose mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen. Auch ihnen will er eine Chance geben: Beim ersten Zerlegen schauen sie dem erfahrenen Tüftler über die Schulter, beim zweiten Mal müssen sie selber ran. Horst Matzen will, dass die Leute verstehen, was sie tun, denn: „Nur so lernen sie etwas.“
Genauso hält er es mit den Teilnehmer(inne)n seines kostenlosen Dienstagslehrgangs. Dorthin kommen überwiegend ältere Menschen, die noch nie vor einem Computer saßen. Geduldig lässt er sie probieren, erkunden, berät, hilft weiter, unterstützt, erklärt Hard- und Software, Firewall, Excel, bei Bedarf auch Sicherheitseinstellungen bei Facebook oder wie man skypt. Das erworbene Fachwissen beeindruckt dann sogar manchen Enkel, der erstaunt fragt: „Oma, woher weißt du das denn?“
Ehrenamtlicher Einsatz, der lohnt
Ans Aufhören denkt der Senior nicht. So lange Kopf und Hände mitmachen, will Horst Matzen dabeibleiben, denn das Engagement hält auch ihn fit. Doch für die Zukunft wünscht er sich einen Mitgliederzuwachs – zurzeit zählt der Verein 120 Personen. Jedes Vereinsmitglied zahlt zwei Euro im Monat: „Das kann sich auch ein Hartz-IV-Empfänger leisten“, sagt Matzen. Er ermuntert die Leute, selbst zu lernen, wie man einen Computer repariert. Denn ein zweites Gerät gibt es bei ihm nicht.
Mit seinem Projekt will Matzen Menschen, die aus irgendeinem Grund aus der Bahn geworfen wurden, ein Sprungbrett zurück ins normale Leben bieten. In manchen Fällen gelingt das auch: „Von drei Menschen wissen wir sicher, dass sie durch unsere Computer eine Vollzeitstelle bekommen haben“, sagt Matzen. „Allein dafür hat sich das schon gelohnt.“
Mehr Infos: www.computerspendehamburg.de