"Es ging ums Überleben"
Frau Bubel, wie sah Ihr Leben aus, bevor Sie auf das Projekt aufmerksam wurden?
Ursprünglich komme ich aus Berlin. Aber das Leben hatte mich nach Dresden verschlagen. Ich habe immer viel gearbeitet und gut verdient, ich hatte einige Jobs in der Werbebranche und habe zum Beispiel Messekataloge gestaltet. Aber in Dresden kam eines Tages eine Betriebskostenabrechnung, mein Vermieter verlangte eine Nachzahlung von 4.000 Euro. Ich konnte den Betrag nicht von heute auf morgen bezahlen und musste deshalb meine Wohnung räumen. Ich habe mein Hab und Gut in acht Kartons bei einer Freundin untergestellt und bin mit einem Koffer nach Berlin zurück.
Hatten Sie jemanden in Berlin, der Sie aufnehmen konnte?
Ja, ich habe eine Schwester, die mich fürs Erste bei sich und Ihrem Mann im Haus aufgenommen hat. Aber das war keine Dauerlösung, ich konnte dort nicht bleiben. Meine Schwester hat mich leider weder finanziell noch mit kleinen Dingen unterstützt, so dass ich über das Bezirksamt in eine Wohnungslosenunterkunft vermittelt wurde.
Wie ging es Ihnen in der Unterkunft? Hatten Sie überhaupt eine Privatsphäre?
Das schon, ich hatte ein eigenes Zimmer in einer Wohnung mit zwei anderen Frauen. Aber ich habe mich distanziert, weil ich mit meinen Mitbewohnerinnen nicht gut zurecht kam, sie waren nachts viel unterwegs. Eine von ihnen war psychisch krank und hat oft rumgebrüllt. Mir war das einfach zu viel. Ich habe mir jeden Tag den Wecker um sieben Uhr gestellt und habe die Unterkunft verlassen - zum Schwimmen, zum Fahrrad fahren oder um ins Museum zu gehen. Ich musste mich mit schönen Dingen beschäftigen und ablenken, es ging sozusagen jeden Tag ums Überleben. Ich musste schauen, dass ich gesund bleibe und einen klaren Kopf bewahre. Aber diese drei Jahre haben mich viel Kraft gekostet, selbst das Schwimmen, das ich sehr liebe, fiel mir irgendwann schwer.
Wie sind Sie auf Housing First aufmerksam geworden und wie hat Ihnen das Projekt geholfen?
Ich habe im Rathaus Schöneberg durch Zufall eine dicke Broschüre für Ehrenamtliche in die Hände bekommen. Ich habe mir alle Projektbeschreibungen durchgelesen und markiert, welche Einrichtungen mich interessieren. So habe ich dann im Herbst 2018 bei Housing First angerufen und habe meine Geschichte erzählt. Und dann wurde mir geholfen, es war wie ein kleines Wunder. Man hat sich sehr zuverlässig um mich gekümmert. Am 15. Juni 2019 bin ich nach Charlottenburg in eine Einzimmerwohnung gezogen, die ich aktuell immer noch einrichte und inzwischen habe ich auch meine acht Kartons wieder, es war ein übersichtlicher Umzug.
Frau Albig, wir alle wissen, wie schwierig es ist, heutzutage eine Wohnung zu finden. Wie schaffen Sie es, Vermieter zu finden und Wohnungen an Ihre Klientinnen zu vermitteln?
Der Anfang war sehr schwer, aber ich denke, wir haben vor allem deshalb einen Fuß in die Tür bekommen, weil wir im Kontakt mit dem Vermieter sehr viel Wert auf das persönliche Kennenlernen gelegt haben und ihm auch gleich unsere jeweilige Klientin vorgestellt haben. Sicher muss man vor allem Glück haben, die Menschen zu finden, die bereit sind, wohnungslosen Frauen eine Chance zu geben. Aber was dazu kommt, ist eine große Sicherheit: Wir werden von der Senatsverwaltung finanziert und das Jobcenter übernimmt die Miete, so dass ein Vermieter sich auf den Zahlungseingang verlassen kann.
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, warum verlieren Frauen ihre Wohnung?
Unzählige Frauen bleiben zu lang in ungesunden Beziehungen, so dass es bei der Trennung nur noch den unmittelbaren Auszug und Kontaktabbruch als Ausweg gibt - und es ist häufig die Frau, die auszieht. Erschreckend viele haben familiäre Probleme. Unser Familienbild haben wir als Ideal immer so fest vor Augen, aber bei den Frauen lösen sich familiäre Beziehungen einfach auf oder sind stark konfliktbelastet. Sie haben kein sicheres soziales Netz um sich herum oder greifen zu Drogen, um ihre Situation zu kompensieren.
Wie vielen Frauen konnten Sie schon helfen?
Wir haben seit Herbst 2018 über 100 Anfragen von Frauen erhalten, davon konnten wir 30 aufnehmen, die wir nun über drei Jahre lang durch den Prozess der Wohnungssuche, -vermittlung und auch beim Aufbau eines neuen Lebens begleiten. Zwölf Frauen haben wir bisher in eine eigene Wohnung gebracht.
Frau Bubel, wie hat Ihnen Ihre eigene Wohnung persönlich geholfen?
Nach der Unterkunft war ich einfach nicht mehr die alte und ich kümmere mich jetzt um mich. Ich gehe viel im Charlottenburger Schlosspark spazieren und arbeite vier Stunden pro Woche in einer kleinen Boutique im Kiez. Ich wohne noch nicht lang dort, so dass es auch noch etwas dauern wird, bis ich mich erholt und neue Kraft getankt habe. Mir ist kürzlich klar geworden, ich muss weg von mir selbst und hin zu den anderen, zu der Gemeinschaft - ob alt, jung, reich oder arm. Ich merke, dabei blühe ich auf.
Ehrenamtlich helfen
Wie Barbara Bubel auch, fehlt es den meisten Frauen, die endlich wieder ein eigenes Dach über dem Kopf haben, an essentiellen Dingen für den Haushalt:
Möbel, Geschirr, Lampen. Das Team von Housing First erhält zwar viele Spenden, hat aber keine Transportmöglichkeit. Deshalb wird dringend ehrenamtliche Unterstützung gesucht. Wer bei der logistischen Versorgung der Frauen helfen kann und möchte, kann sich jederzeit gern melden oder persönlich vorbei kommen.
Telefon: 030 / 477 532 626
housingfirst@skf-berlin.de
Müllerstr. 126 • 13349 Berlin
Mo-Fr 09:00-18:00 Uhr