Fünf rote Nasen und ein Saxophon
Anneliese lächelt ganz zart. Und dann sagt sie mit klarer Stimme: "Ich kann sie zwar nicht sehen, aber ich spüre, dass sie uns Freude bringen. Danke dafür." Die sehr gepflegte Frau, der man ihre 97 Jahre nicht ansieht, ist fast blind. Am Rollator schiebt sie sich durch den Garten des Seniorenheims der Ludgeri-Stiftung in Essen-Werden und lächelt fünf Clowns zu, die mit ihren roten Nasen und bunten Kostümen den alten Herrschaften auffallen, den meisten visuell, Anneliese audio-imaginär.
Die, die da den Clown spielen, machen das freiwillig. Die Ruhrcaritas hatte - mit finanzieller Unterstützung der Caritas-Stiftung im Bistum Essen - das Projekt für Haupt- und Ehrenamtliche ausgeschrieben und an insgesamt sechs Tagen lernten die ersten fünf Freiwilligen die Grundlagen des halb-professionellen Spaßmachens.
Ihr Lehrer war und ist ein Meister - des Zauberns und der Verzauberung. Christian Bach heißt der Mann aus dem Sauerland, der seit 20 Jahren als professioneller Magier unterwegs ist, aber ebenso lange auch ehrenamtlich als Clown auftritt. Häufig in Einrichtungen der Caritas, zu der er in Kontakt geblieben ist, seit er dort vor zwei Jahrzehnten seinen Zivildienst absolviert hat. "Alle Menschen kennen den Clown und bei allen erzeugt er - mit oft ganz einfachen Mitteln - eine Resonanz, eine Reaktion. Zu 98 Prozent sind das Lachen und positive Gefühle", sagt Bach, der diese Auftritte besonders schätzt, weil sie "einfach schön sind" und ihn selbst "mindestens genauso beflügeln".
So wie jetzt in Essen-Werden - zur öffentlichen Premiere der fünf Clown-Caritäter, die vorher ganz schön Bammel hatten. Norbert Dohrmann aus Schwelm, ein gewichtiger Rentner und Caritas-Ehrenamtler im Seniorenstift St. Marien, sagt: "Wir wußten vorher ja nicht - werden wir an- oder ausgelacht?"
Sie wurden angelacht, die fünf mutigen Premierenclowns - und wie. Es war mehr ein Strahlen denn ein Lächeln. Zum Beispiel bei Inge, hoch in die 80. "Die ist so oft ablehnend, schwer depressiv - und jetzt schau Dir das an?", staunt Sabrina, die Sozialarbeiterin. Inge hat sich draußen auf der Gartenbank nach anfänglichem Zögern bei Norbert und Monika Juraschek eingehakt und singt mit ihnen textsicher von den Möpsen, die beißen, von den Tulpen aus Amsterdam und den Caprifischern und der roten Sonne. Inge, die alte Dame mit ihren Problemen, schaut ganz glücklich - und wird für Minuten aus ihren Alltagsallerlei im Heim gerissen. Die Leichtigkeit und das fröhliche Lachen der Clowns macht’s möglich. Eine Mitbewohnerin sagt einige Zeit später beim Abschied der Spaßmacher an der Tür: "Danke, dass ihr da wart. Ihr bringt uns ein bisschen Glück zurück, danke. Kommt wieder, bitte!"
Apropos Gesang: Gabriele Pollaschek, Ideengeberin und Caritas-Referentin aus Essen, gibt als musikalischer Clown am Saxophon gekonnt den Takt (und die Melodien) vor - den Senioren in St. Ludgeri kann textlich keiner was vormachen. Sie singen mit als gäbe es kein morgen mehr und strahlen um die Wette - da werden viele schöne Erinnerungen wach geküsst und auch erzählt: "Weißt Du noch…" Norbert, der Clown mit Bauch, meint: Mit Musik und roter Nase erreichst du die Menschen leichter. Nächstes Mal bringe ich meine Gitarre mit."
Monika, die auch aus Schwelm kommt, versteht es bestens, mit leichter, einfacher Sprache die Senioren für sich zu vereinnahmen. Auch Monika Ingenpaß aus Duisburg und Bettina Reimann, Alltagsbegleiterin im Papst-Leo-Haus in Essen, tun dies, wissen sich aber auch zurückzunehmen, den sprachlichen Hebel auf normal zu stellen, wenn ihnen ihr Gegenüber sagt: "Ich bin nicht plemm-plemm im Kopf…" Ursula, die im Rollstuhl sitzt, hat durch Krankheit ihre Sprache verloren. Ihre Augen aber sprechen Bände. Sie mümmelt an ihrem Keks, und es ist als ob sie sagen möchte: "Spielt noch einmal das Lied von der kleinen Kneipe…"
Dass die Clowns so gut ankommen, hat natürlich auch damit zu tun, dass sie mehr oder weniger verkleidet sind. Mal sind’s verschiedene Socken, mal ein Seppl-Kostüm mit Lederhose - und immer sind es die rote Nasen, die sie alle aufgesetzt haben. Als kleinste Clownsmaske der Welt "macht sie es möglich, auch bei Menschen, die der Clown gerader erst kennengelernt habe, Grenzen zu überschreiten." In Essen-Werden gelingt dies bestens, wenige Senioren legen vorsichtig einen Finger an die Nase, alle reagieren sie auf das rote Stück. "Boh eh", sagt Hannelore, die später kommt, "wat für ne Nase."
Rote Nasen haben nicht nur die Clowns der Ruhrcaritas. Es gibt einen ganzen Verein "Rote Nasen Deutschland" mit Sitz in Berlin, der Partner ist von Red Noses-Clowndoctors international aus den USA, die vor über 30 Jahren in New York starteten. Anders als die Caritas-Clowns hat sich der Rote-Nasen-Club vor allem Patienten in Krankenhäusern und Kliniken als Klientel ausgesucht. Die Intension der Clownbesuche ist jedoch hier wie dort identisch: gute Laune und Lebenslust verbreiten, sozusagen aus medizinisch-pädagogischen Gründen.
Das erkennen inzwischen auch Ärzte, Pfleger und Psychologen an, die wissen: Menschen mit Demenz, Depressionen und anderen Gebrechen bleiben in Heimen oft in ihrer traurigen Abgeschiedenheit allein, sind trotz aller Mühen des Personals schwer bis gar nicht für positive Reaktionen zu erreichen. Sie leben in ihrer eigenen Welt - und aus der können sie die Menschen mit den roten Nasen tatsächlich herausholen. Nicht für immer natürlich, aber für eine Weile. So wie wir gesunden Menschen uns über ein Erfolgserlebnis freuen können.
So bleibt unter dem Strich eine win-win-Situation für beide Seiten. Die Clowns haben Freude, dass sie angenommen wurden, ihre "Mission Lust zum Leben" erfüllt haben. Und die Seniorinnen - die Männer sind klar in der Minderzahl - sind für eine Weile raus aus ihrem gewöhnlichen Tagesablauf, haben auch ein bisschen neue Energie geschöpft, von der sie wahrscheinlich noch einige Tage zehren werden. Und so wollen sie weitermachen und wiederkommen, die Clowns der Caritas aus Essen. Denn auch das ist bekannt: Je häufiger solche Besuche stattfinden, umso effektiver ist die Wirkung. Schon beim zweiten Mal setzt die Wiedererkennung ein. "Du warst doch schon mal", meint dann bestimmt auch Inge und ist happy.