"Wir schaffen das" at its best
Nabi Mohammadi strahlt, seine dunklen Augen funkeln. "Das Schönste ist es, nach der Arbeit nach Hause zu kommen und sicher zu sein." Sicher, damit meint Nabi, weg vom Krieg in Afghanistan zu sein. Auch nach fünf Jahren ist das für ihn Gold wert. "Ja, ich fühle mich angekommen und zu Hause in Deutschland", lächelt er.
Rückblick. Es ist 2015, Anfang Dezember. Für die Sozialcourage haben sich alle im Wohnzimmer der Familie Pollert eingefunden. Nachdem das Ehepaar Gabriele und Georg Pollert aus Frohnau erst den 28-jährigen Nabi bei sich aufgenommen hat, kümmern sie sich inzwischen auch um seinen Schwager, dessen Frau und die einjährige Tochter. Für ihre Schützlinge kämpfen sich die Pollerts durch den Behördendschungel und helfen ihnen, in Deutschland Fuß zu fassen. Mit viel Durchhaltevermögen und Nachdruck bei allen bürokratischen Herausforderungen. Besonders schwer ist zu diesem Zeitpunkt die Suche nach einer neuen Wohnung für die Familie und das Vorhaben, Nabis Frau Razma und ihre beiden kleinen Söhne nach Berlin nachzuholen.
Heute, im Juli 2020, fast fünf Jahre später, haben sich alle im Wohnzimmer der Familie Mohammadi in Berlin-Reinickendorf eingefunden, um der Sozialcourage zu berichten, wie es damals weiterging. "Ein halbes Jahr hat es dann noch gedauert, bis ich endlich meine Frau und meine Kinder wiedersehen konnte", erzählt Nabi erleichtert. Neben ihm sitzt seine Frau Razma und lächelt schüchtern, aber glücklich. Ihre Söhne Mohad, zehn Jahre alt, und Ahmad, sieben Jahre alt, sind voller Energie und fröhlich. Mohad kommt jetzt in die dritte Klasse, Ahmad wird im Herbst eingeschult. Die Familie kann hier in den eigenen vier Wänden durchatmen, das spürt man.
Auf Nabis Shirt steht "Schrauber aus Leidenschaft", er hat es extra angezogen. "Ende Februar habe ich meine Ausbildung zum KfZ-Mechatroniker abgeschlossen", erzählt er stolz - und schiebt im gleichen Atemzug hinterher: "Ohne meine Frau und die Unterstützung von Frau Pollert hätte ich das nicht geschafft." Auch Gabriele Pollert ist heute mit dabei und erklärt: "Bei aller Unterstützung, gemacht hat Nabi das selbst. Ohne Motivation und einen starken Willen geht es nicht, und das hat er beides allemal." Etwa alle drei Tage hören sich Familie Pollert und Familie Mohammadi, es ist nach wie vor eine enge Beziehung. Nabi sagt, "für mich ist Frau Pollert die Oma unserer Kinder."
Inzwischen lebt die Familie ausschließlich von ihrem eigenen Einkommen - dass sie jetzt unabhängig vom Staat sind, macht sie sehr froh. Nach ihrer Ankunft in Deutschland hat Nabis Frau Razma ein Praktikum in der Küche des Caritas-Seniorenheims Franz-Jordan-Stift absolviert und vor zwei Monaten eine Weiterbildung zur Küchenhelferin begonnen. "Ich liebe es, zu kochen", erzählt sie, "ich koche sehr gerne, auch deutsche Gerichte und auch für mehrere Leute, ich habe schon für 40 Personen gekocht." Nabi fügt hinzu, "manchmal koche auch ich, aber wenn ich koche, isst das meine Familie nicht." Das ganze Wohnzimmer bricht in ein herzliches Lachen aus.
Beisammensein mit Freunden und der Familie ist den Mohammadis wichtig. Am Wochenende sehen sie oft Nabis Schwager und seine Familie, die nicht weit entfernt ebenfalls eine eigene Wohnung haben. Bis zum Frühjahr 2017 wohnten sie noch alle gemeinsam hier in den drei Zimmern, es war die erste eigene angemietete Bleibe in Berlin. Alle, das heißt, vier Erwachsene und drei Kinder. "Viel zu eng", schmunzelt Nabi und schüttelt den Kopf. Der Berliner Wohnungsmarkt ist zu diesem Zeitpunkt nach wie vor stark angespannt, es gibt zu wenige bezahlbare Wohnungen und zu viele Interessenten. Mit Unterstützung der Pollerts lässt sich dann doch eine schöne Dreizimmerwohnung finden.
Von ihrem sicheren Hafen aus haben der 33-Jährige und seine Familie noch viel vor. Zusammen mit einem Anwalt kämpft er momentan für seine Einbürgerung, die er, wenn alles gut läuft, in einem Jahr erreichen wird. Nabis Traum ist es, einmal seine Eltern aus Afghanistan nach Berlin einzuladen und ihnen sein neues Leben zu zeigen. Sechs Jahre lang hat er sie nicht gesehen. Einen Besuch haben die deutschen Behörden abgelehnt, mit der Begründung, dass die Eltern illegal im Land bleiben könnten. Telefonate und Skype helfen, in engem Kontakt zu bleiben, aber es ist nicht dasselbe wie ein echtes Wiedersehen. Gabriele Pollert erklärt Nabi, dass er es nochmal versuchen könne, wenn er ein wenig Rücklagen angespart habe - die deutschen Behörden setzten ein finanzielles Polster nämlich voraus.
Für seine Zukunft hat sich Nabi das Ziel gesetzt, eine Ausbildung zum KfZ-Meister zu absolvieren und eine eigene, typenoffene Werkstatt zu eröffnen. Sich materielle Dinge leisten zu können, steht dabei für ihn nicht im Vordergrund, ein teures Auto etwa kommt nicht infrage. "Da hätte ich viel zu viel Sorge, dass ein Kratzer rein kommt". Vielmehr möchte sich Nabi selbst verwirklichen. So, wie er das schon immer tut. Die Ausbildung zum KfZ-Mechatroniker hat er im ersten Anlauf bestanden, während zwei Drittel der Azubis eine Ehrenrunde drehten. Auf die Frage, was er als erstes getan habe, als er in Deutschland in der sicheren Notunterkunft angekommen war, antwortet er: "Ich habe mich sofort bei der Sprachschule gemeldet. Meine Freunde haben gesagt, das kostet doch Geld. Aber das war mir egal, ich wollte unbedingt Deutsch lernen." Mit dieser Haltung geht er an alles, was er in den nächsten Jahren anpackt - und alle im Raum wissen: Nabi wird es schaffen.