Rashad, der Berater
Hanaa Elfrjani soll ein Dokument unterzeichnen im Beratungszentrum der Caritas in Berlin-Spandau. Sie lebt noch nicht lange in Deutschland und versteht nicht genau, worum es geht. "Rashad kommt gleich, er wird alles erklären", sagt eine Mitarbeiterin zu ihr. Rashad Almuslem ist Syrer und arbeitet seit April dieses Jahres beim Migrationsdienst der Caritas als Bundesfreiwilliger. "Ich helfe den Leuten sehr gern", sagt er. "Ich bin Geflüchteter wie sie und verstehe, wie es ihnen geht." Er spricht kurdisch, arabisch, englisch und deutsch, übersetzt, begleitet zu den Ämtern, klärt über Rechte und Pflichten auf, vermittelt, hört zu, ermutigt und tröstet. Kurzum: Er hilft den Menschen beim Ankommen in Deutschland, teilt mit ihnen seinen Erfahrungsschatz und ist ein Brückenbauer zwischen den Kulturen. Ein ruhiger und reflektierter Mensch. Was er tut, passt zu seinem Namen: Rashad heißt auf Arabisch "der Rechtschaffende." Oft wird der Vorname als "Denker" und "Berater" interpretiert.
Hanaa Elfrjani ist mit ihrem Mann Ibrahim und ihrer Tochter Rafef aus Libyen geflohen und will sich für einen Deutschkurs bei der Volkshochschule in Spandau anmelden. "Da gehe ich natürlich mit", sagt Rashad Almuslem. "Ich weiß, dass viele auf freiwillige Hilfe angewiesen sind."
Er ist gefragt. Sein Handy surrt. Das Profil seines Messaging-Dienstes zeigt zwei seiner Kinder. Der 43-jährige Kurde ist ein Familienmensch. Mit seiner Frau Leila und den drei Kindern, Hamudi, Lara und Dlina lebt er in Berlin-Spandau.
"Wir haben großes Glück gehabt", sagt er, "und sind so froh, dass wir hier sicher leben können." Dann beginnt er zu erzählen. Von seiner Heimatstadt Raqqua in Nordsyrien. "Vor dem Krieg hatte ich keine Angst und keine Geldsorgen." Das Einzige, was ihm damals zu schaffen machte: Er durfte seine Heimatsprache Kurdisch nicht öffentlich sprechen. "Mit meinen Eltern, meinen zehn Geschwistern und mit meinen Freunden habe ich das natürlich zu Hause getan", sagt er.
Rashad Almuslem ist Jurist und leitete die Rechtsabteilung der Syrischen Rentenversicherungsanstalt in Raqqa. Er verdiente gut und konnte sich bald eine kleine Wohnung kaufen. Nebenan lebte eine Englischlehrerin. Sie verliebten sich, heirateten, zogen zusammen und bekamen zwei Kinder.
Im März 2013 hatte der Krieg Raqqa erreicht - die Islamisten nahmen die Stadt ein. Das Leben änderte sich von da an komplett. "Frauen mussten eine Burka tragen sowie schwarze Handschuhe und geschlossene schwarze Schuhe." Verstöße wurden brutal bestraft. Rashad Almuslem hat Grauenhaftes gesehen: Diebe, die gefoltert und Frauen, die wegen Ehebruchs zu Tode gesteinigt wurden. Kurden und Jesiden betrachtete der IS als Abtrünnige und Ungläubige. Kurdische und jesidische Mädchen wurden getötet, gefangen genommen oder vom IS versklavt.
Sein Freund Mahmud sagte zu ihm: "Du musst hier weg und deine Familie in Sicherheit bringen." Sie flohen Ende 2014 Richtung Türkei.
Im März 2015 traf Rashad Almuslem die schwerste Entscheidung seines Lebens. Er schickte seine Frau Leila und die beiden Kinder in die Türkei und bestieg in Izmir ein Schlauchboot zur griechischen Insel Chios. "Es war völlig überfüllt," sagt er, "Platz war für 30 Menschen, wir waren 54. Aber ich hatte große Angst um meine Frau und um meine Kinder und dachte mir, wenn jemand sterben muss, dann auf keinen Fall meine Familie." Von Chios schlug er sich zu Fuß nach Berlin durch. Ein Jahr später holte er mit Unterstützung einer Berliner Beratungsstelle seine Frau und seine beiden Kinder aus der Türkei nach.
Gemeinsam mit seiner Frau nimmt er sofort an einem Integrationskurs teil. Er erreicht das C1-Sprachniveau, lässt seine syrischen Abschlüsse anerkennen, macht eine Weiterbildung zum Finanzbuchhalter und ein Praktikum.
Mit seiner Familie wohnt Rashad Almuslem in einer Wohnung in Spandau. "Mir gefällt es hier", sagt er. "Überschaubar, viel Grün und freundliche Menschen." Seine Frau hat in Syrien acht Jahre als Englischlehrerin gearbeitet und will sich zur Erzieherin umschulen lassen. Rashad Almuslem sucht Arbeit. Er kann sich vorstellen, als Quereinsteiger bei einem sozialen Dienst zu arbeiten und ähnliche Aufgaben zu übernehmen wie in seinem Ehrenamt - nur gegen Bezahlung.
Mit seinen Verwandten hält er übers Smartphone Kontakt. Seine Mutter lebt immer noch in Raqqa. Oft habe sie weder Wasser noch Strom. Sein Freund Mahmud, der ihm zur Flucht riet, starb bei einem Bombenangriff.
"Ich habe viel verloren", sagt er "und will nun eine gute Zukunft für meine Kinder." Was er an Deutschland besonders mag? Rashad Almuslem überlegt nicht lange. "Die Freiheit. Offen zu sagen, was ich denke - das konnte ich in meiner Heimat nicht."
Er wollte ein besseres Leben für sich und seine Familie. Das hat er in Berlin gefunden.