"Ich bin Lebensbegleiter"
Mindestens einmal die Woche besucht Bengt Grünhagen Menschen, deren Leben zu Ende geht. Viele von ihnen haben eingefallene und müde Gesichter und können kaum noch sprechen. Manchen nimmt der Lungenkrebs den Atem, anderen färbt der Leberkrebs Augen und Gesichter gelb. Viele können sich nicht mehr selbstständig bewegen und manche nicht einmal mehr ihre Augenlider schließen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie bald sterben werden. "Wenn das der Fall ist, versuche ich öfter als einmal die Woche zu kommen", sagt Bengt Grünhagen. "Ich möchte für die Menschen da sein. Bis zum Schluss."
Der ehrenamtliche Hospizhelfer gehört zu den Menschen, die zugleich Ruhe und Dynamik ausstrahlen. Er ist 67 Jahre alt, offen, neugierig, und nachdenklich. Jemand, dem man gern sein Herz ausschütten würde, weil man spürt, dass er einen trösten kann. Seit 2018 ist er ehrenamtlicher Hospizhelfer. Acht Monate lang hat er sich vom ambulanten Hospizdienst der Caritas dazu ausbilden lassen. "Dabei habe ich vieles gelernt, was zu einer guten Sterbebegleitung gehört", sagt er. "Neben Grundwissen über chronische Krankheiten wie etwa Krebs, muss man vor allem zuhören können, auf den Menschen eingehen, sein Problem erfassen und ihn ein Stück des Weges begleiten."
Immer gebraucht: Weitere Ehrenamtliche
Insgesamt 90 Ehrenamtliche sind derzeit im ambulanten Hospizdienst engagiert, Interessierte sind jederzeit willkommen. Die Begleitungen können im Krankenhaus, in Pflegeeinrichtungen, im stationären Hospiz oder zu Hause stattfinden. Wegen der Pandemie konnten im Jahr 2020 nicht so viele Menschen begleitet werden wie sonst, aber nun pendelt es sich langsam wieder ein. Catharina Jebe-Akakpo leitet den Dienst mit Sitz in Charlottenburg seit 2019. Drei Kolleginnen gehören zu ihrem Team. "Helfen macht glücklich", sagt ¬sie. "Meine Arbeit gibt mir das Gefühl, Situationen direkt beeinflussen und etwas bewirken zu können. Es macht mich glücklich, wenn ich ganz individuell auf die Bedürfnisse und Wünsche eines jeden eingehen kann. So kann ich den Familien, die sich in der Zeit des Abschiednehmens eines geliebten Menschen befinden, einen Teil der Sorgen, Nöte und Ängste nehmen. Das gibt auch den Ehrenamtlichen unheimlich viel zurück."
Bengt Grünhagen war schon vor seinem freiwilligen Engagement für die Caritas tätig - als leitender Physiotherapeut in der Caritas-Klinik Maria Heimsuchung in Pankow. Er habe immer gern mit Leuten gearbeitet und versucht, den Menschen als Ganzes und nicht nur als Patienten zu sehen: mit seiner Lebensgeschichte, mit seinen Erfahrungen, Ängsten und Hoffnungen. Das versuche er nun auch als Hospizhelfer.
"Wir sind im wahrsten Sinn des Wortes Lebensbegleiter", sagt er, "denn das Sterben ist ja integriert ins Leben. Es ist ein Lebensabschnitt, wenn auch der letzte."
Der Hospizhelfer hat 25 Jahre seines Berufslebens auf Intensivstationen gearbeitet, wo der Tod ständig präsent war. "Dennoch berührt es mich, wenn ein Mensch stirbt", sagt er. "Vor allem, wenn er mitten aus dem Leben gerissen wird." Sein Glaube hilft ihm, das Leid, das ihm begegnet, zu verkraften. Und er betet für die Kranken, die viele Dinge nicht mehr selbst bewältigen können.
Zuhören und Wünsche erfüllen
Mit seinem Einsatz ist Bengt Grünhagen eine große Entlastung für Personal und Angehörige. Er fragt nach, was die Sterbenden vor ihrer Erkrankung interessiert und erfüllt hat. Welchen Hobbys und Tätigkeiten sie nachgegangen sind. Und was sie noch tun möchten: Einen letzten Spaziergang machen? Einen Text hören, den sie einmal gern gelesen haben? Oder noch einen letzten Geburtstag im Kreis der Familie feiern? Viele würden auf solche Ziele hin leben.
Doch nicht allen gelinge das. Manche seien verzweifelt und depressiv. Und doch staunt Bengt Grünhagen manchmal darüber, wie die Menschen ihre Situation annehmen: "Eine Frau, die vor kurzem mit 69 starb, war bis zum Schluss dankbar für die schöne und gute Atmosphäre, die sie vor ihrem Tod erleben konnte."
Ein Mann berichtete ihm, er habe sich Geschirr ausgeliehen, das er unbedingt zurückgeben müsse. Der Hospizhelfer versprach ihm, sich darum zu kümmern. So konnte er friedlich sterben.
Manchmal erfüllt Bengt Grünhagen auch Wünsche, die gar nicht ausgesprochen werden. Eine Frau, die nur noch wenige Tage zu leben hatte, erzählte ihm, dass sie einst mit Begeisterung Orchideen gezüchtet habe. Sie zeigte ihm ein Foto aus ihrem früheren Zuhause mit einer Fensterbank voller Orchideen. "In ihrem Zimmer sah ich aber keine einzige", berichtet der Hospizhelfer. Also brachte er ihr beim nächsten Besuch eine Orchidee mit. Einen Tag später starb sie. Die Pfleger und Pflegerinnen erzählten ihm aber, wie sehr sich die Frau über die Blume gefreut habe.
"Manche Gäste sind jedoch gar nicht mehr in der Lage, Wünsche zu äußern", sagt Bengt Grünhagen. "Dann ist es einfach nur wichtig, da zu sein."