Post, egal von wem
Ich wusste von ihm nur, dass er als in Deutschland stationierter Soldat eine Frau umgebracht und lebenslänglich bekommen hatte. "Schreib ihm, was du gerade machst, wie es geht, was du für Musik hörst … mehr nicht. Ist eine gute Übung für dein Französisch", hatte die Vermittlerin mir geraten. Und so übte ich. Schrieb ihm, wenn ich wieder eine Drei geschafft hatte. Popmusik und Frankreich? Hm, Jim Morrison ist immerhin in Paris gestorben und begraben. Davon hatte er gehört. Von ihm kamen grüne Umschläge, akkurat druckbeschriftet, drin Karten mit selbst gemalten Cartoons, Witzfiguren.
Manchmal Tipps, wie er an meiner Stelle vorgehen würde. Was drinnen vorging, davon schrieb er nie. Mal entschuldigte er sich, weil er länger nicht geantwortet hatte: noch ein anderer Prozess, in einem anderen Gefängnis gewesen. Dann schickte er Karten, die an meine Schwester adressiert waren. Die wollte nicht antworten. Meine Eltern sorgten sich. Wie lang denn lebenslänglich sei? Unser Briefwechsel wurde regelmäßig und förmlich. Bis er in ein Gefängnis nach Frankreich abgeschoben wurde. Heute weiß ich, was er davon hatte. Wenn du im Gefängnis keine Briefe bekommst, wissen die anderen, dass du draußen niemanden hast, der dich kennt. Auch niemanden, der dir helfen könnte. Darum ist Post wichtig für den, der drin ist. Ganz egal, was drinsteht.