Herz und/oder Geld?
Vielleicht haben Sie noch die Illustration vor Augen, welche der Deutsche Caritasverband anlässlich der Vertreterversammlung im Jahre 1999 verwendete. Es war ein Balanceakt - auf der einen Seite ein Herz, auf der anderen ein Geldstück. Die zunehmende Ökonomisierung des Sozialen hatte an den Grundfesten der Caritas gerüttelt. Sie stand vor der Frage, ob Herz, also vorbehaltslose Zuwendung zum Nächsten, auf der einen Seite und Wirtschaftlichkeit, also die Frage nach Kosten und Nutzen, als Teilnehmer im Wettbewerb der sozialen Dienstleister auf der anderen Seite miteinander vereinbar sind.
Vom biblischen barmherzigen Samariter über die Suppenküchen der mittelalterlichen Klöster bis zu den professionellen caritativen Hilfeangeboten der modernen Sozialstaatsgesellschaft wissen wir, dass ohne materielle Mittel wirksame Hilfe kaum zu leisten ist; ohne Geld keine Pflege des unter die Räuber Gefallenen, ohne Karottenspende keine Suppe. Die reine liebende Zuwendung als fassbare Gottesliebe fragt nicht nach Geld und Mittel, aber sie leidet, wenn mangels Mitteln sichtbar notwendige Hilfe nicht gewährt werden kann.
Einschnitte kompensieren
Der Caritasverband Görlitz als Träger vieler kleiner Einrichtungen und Dienste wurde in der Vergangenheit immer wieder mit dem Zurückgehen finanzieller Zuwendungen konfrontiert, seien es die bischöflichen Mittel, seien es Zuwendungen des Bundes, der Länder und der Kommunen. Waren wegfallende Mittel nicht anderweitig zu kompensieren, galt es, nicht mehr finanzierbare Kosten durch Schließung oder Teilaufgabe von Diensten abzubauen. Dabei wird dort gekürzt, wo die Zuwendung wegfällt, oder es wird dort gestrichen, wo über die Kürzung der größte Einspareffekt erzielt werden kann. Die Frage nach dem Herzen, also nach der caritasspezifischen Bedeutung des Dienstes, spielt keine Rolle.
Der Caritasverband steht erneut vor finanziellen Einschnitten. Vorstand und leitende Mitarbeitende waren sich einig, dieses Mal nicht allein über eine rein kostenmäßige Betrachtung wieder zu ausgeglichenen Haushalten zu kommen, sondern ein Verfahren für Veränderungsentscheidungen zu entwickeln, das sowohl die caritasspezifische als auch die finanzielle Dimension der Dienste beachtet. Im Bild der Balance heißt das, beide Seiten angemessen und gleichberechtigt zu berücksichtigen.
Geeignete Verfahren suchen
In der Suche nach dem geeigneten Verfahren und den geeigneten Bewertungsmaßstäben wurden im letzten Jahr zuerst zwölf Kriterien definiert. Kriterien, die für die Beurteilung der caritaspezifischen als auch der wirtschaftlichen Potentiale der Dienste bedeutsam sind. Kriterien wie Mitarbeitende, Markt und Kunden, aber auch Kirchengemeinde, Ehrenamt und Immobilie wurden betrachtet. Der unterschiedlich starken Wirkung der einzelnen Kriterien auf die Dimension caritasspezifischer Auftrag beziehungsweise Wirtschaftlichkeit wurde durch Gewichtungsfaktoren Rechnung getragen. Zu jedem Kriterium wurden Fragen formuliert, mit denen die Erfüllung des Kriteriums identifiziert werden kann. In die Befragung wurden alle Einrichtungen und Dienste einbezogen. Nachdem die Fachdienstleitungen und -verantwortlichen in ihren Teams die Fragen erörtert hatten, wurden die Fragen gemeinsam mit den Leitungen der Regionalstellen beziehungsweise der Einrichtungen mit dem Diözesancaritasdirektor beantwortet. Übereinstimmungen, aber auch differenzierte Sichtweisen wurden im Fragebogen festgehalten.
Gemeinsam einen Weg finden
Diese Antworten waren die Basis für die Bewertung der Ergebnisse. Das Ergebnis ist ein Portfolio, welches nun grafisch anschaulich deutlich macht, welche Einrichtungen und Dienste sowohl unter caritasspezifischen als auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten bedeutsam sind und welche in der einen und/oder anderen Dimension Mängel aufweisen. Damit sind zugleich Handlungsoptionen verknüpft. Dienste und Einrichtungen, die nur einen geringen Beitrag zur Erfüllung des caritasspezifische Auftrages leisten und dies auch noch unwirtschaftlich, sind vorrangig zu verändern. Dies müssen nicht zwangsläufig die Einrichtungen sein, die von einer unmittelbaren Mittelkürzung betroffen sind.
Bewirkt dieses Verfahren etwas anderes, als wenn nur eine Seite als Entscheidungsgrundlage gewählt wird?
Alle Einrichtungen, alle Mitarbeitenden mit ihren Leitungen haben sich mit ihren Stärken und Schwächen intensiv auseinandergesetzt. Der sehr transparente und kommunikative Prozess hat Handlungsnotwendigkeiten und Handlungsansätze aufgezeigt und das gemeinsame Verständnis für die Notwendigkeit von Veränderungen zur besseren Erfüllung des caritasspezifischen Auftrages als auch der wirtschaftlichen Betriebsführung gefördert. Es ist an der einen oder anderen Stelle ein Aha-Erlebnis zutage getreten, der eigentliche Mehrwert aber liegt im Prozess.
Die Entwicklung eines Modells in Form dieser Portfolio-Analyse wurde durch die GlücksSpirale finanziell mit unterstützt. Dafür sagen wir an dieser Stelle recht herzlichen Dank.
INFO:
Caritasverband der Diözese Görlitz e.V.
Telefon: 03 55 3 80 65 31
E-Mail: schmidt@caritas-dicvgoerlitz.de