Philipps Tod war nicht umsonst
es war im mai vor zehn Jahren. Gudrun Zippler war mit ihrem Mann und dem jüngeren Sohn Tom zur Hochzeitsfeier ihres Patenkindes gefahren. Sohn Philipp, gerade 16, begeisterter Fußballer, war damals in Leipzig geblieben, das vorletzte Spiel vor Saisonabschluss stand an, es ging um den ersten Platz. Um 19 Uhr klingelte das Telefon, die Braut drückte ihr den Hörer in die Hand: "Hier ist ein Anruf für dich." Gudrun Zipplers Mann nahm den Anruf an, es war das Krankenhaus. Innerhalb von Augenblicken wich alle Farbe aus seinem Gesicht. Philipp hatte einen Fahrradunfall, eine schwere Kopfverletzung.
Die Fahrt 200 Kilometer zurück nach Leipzig mit dem Gedanken: Oh Gott, lass es nicht so schlimm sein. Doch es war schlimm. "Philipp wird nur durch ein Wunder weiterleben können", sagte die Ärztin. Er atmete nur noch durch die Maschinen, die sein Herz regelmäßig schlagen ließen. Nach vielen Stunden auf der Intensivstation - nach vielen gedanklichen Zwiegesprächen mit ihrem schwerstverletzten Sohn - glaubte Gudrun Zippler zu wissen, dass Philipp noch helfen wollte. Sie ist auf den Stationsarzt zugegangen und fragte, ob eine Organspende möglich sei. Sie hat diese Entscheidung nie infrage gestellt. Doch sie wollte, dass sein Tod nicht umsonst war, dass ihr Philipp in anderen Menschen weiterlebt: "Und ich wusste, er hätte es so gewollt."
Organspende ist ein Tabu
Heute sagt Gudrun Zippler: "Philipps Unfalltod, die Erfahrung aus dem Leben ohne Philipp, haben uns als Familie zusammengeschweißt. Wir sind nicht daran zerbrochen." Dem jüngeren Bruder Tom fehlt Philipp sehr. Hilfe und Zuwendung kam vor allem von Freunden. Für die eigene Familie war es schwer, mit dem Leid zu leben. In den zehn Jahren haben Gudrun Zippler, ihr Mann und ihr Sohn einen Weg für sich gefunden: "Wir sind nach vorn gegangen." Gudrun Zippler engagiert sich in Initiativen, die sich mit dem Tabu-Thema der Organspende auseinandersetzen, insbesondere Selbsthilfegruppen. Sie will, dass über das Thema gesprochen wird. Gudrun Zippler hat ihren Ausweis immer bei sich: "Das Thema ist angstbesetzt, weil sich niemand mit dem Tod auseinandersetzen will. Ich kann das verstehen, aber es ist falsch." Fast jeder ist für die Organspende, aber nur wenige bekennen sich dazu und tragen wirklich einen Organspende-Ausweis bei sich.
Philipp hätte es so gewollt
Die 55-Jährige plädiert für die Widerspruchsregelung: Hirntoten können Organe entnommen werden, sofern sie dem zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen haben. Es wäre die Umkehrung der jetzigen Regelung. Gudrun Zippler hat damals lange Abschied genommen, von ihrem "lebenden Sohn", das ist ihr wichtig zu sagen. Etwa 40 Stunden war sie bei ihm auf der Intensivstation, sah, wie das Leben aus seinem zarten Körper ging. Und sie hat sich für die Organspende entschieden, weil sie wusste, dass Philipp es so gewollt hätte: "Er wollte Orzt werden, er sagte Orzt, nicht Arzt." Immer mittwochs hatten sie zu Hause "Mutters Märchenstunde". Da wurde jedes Thema angesprochen, und aus diesen Gesprächen weiß Gudrun Zippler, dass ihr großer Sohn später zur Blutspende gehen und noch später Arzt werden wollte. Philipp wollte anderen Menschen helfen.
Organspenden sind anonym, Zipplers wissen nicht, welchen Menschen ihre Entscheidung geholfen hat, länger zu leben. Aber sie wissen, dass es fünf Menschen waren, und sie kennen deren Alter und Geschlecht. Philipp hat durch die Spende auch selbst länger gelebt, so sagt es Philipps Mutter. Noch heute, zehn Jahre nach seinem Tod, schlägt sein Herz. Das ist es, was für Gudrun Zippler zählt, was ihr Kraft gibt, mit Philipps Tod umzugehen.
Jedes Jahr feiern sie den Geburtstag ihres Sohnes in einem Restaurant, weil Philipp diese Feiern so geliebt hat. Auf seinem Grabstein auf dem Friedenshof - Philipp sagte Friedenshof, nicht Friedhof - steht: "Danke für ALLES." Danke für die gemeinsamen Jahre, Danke für seine lebensbejahende und fröhliche Natur. Jedes Jahr an Philipps Geburtstag und Todestag sehen sie dort einen Gruß von Philipps bestem Freund Christian, manchmal sehen sie ihn vor dem Grabstein knien. Christian hat Gudrun Zippler geschrieben: "Manchmal denke ich, Philipp kommt gleich um die Ecke gebogen und sagt: Ätsch, reingelegt! Bin wieder da! Genauso war er.".