Kirche muss nah am Menschen sein
Seit 1972 führt die evangelische Kirche alle zehn Jahre eine sogenannte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung durch. In diesem Jahr hat sich erstmals auch die katholische Kirche daran beteiligt. Dabei geht es unter anderem um folgende Fragen: Wie religiös ist die deutsche Bevölkerung heutzutage? Warum entscheiden sich immer mehr Menschen für einen Kirchenaustritt? Und wie müssten sich die Kirchen in Zukunft reformieren, um einen Teil des Vertrauens der Gesellschaft zurückzugewinnen?
Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass die beiden christlichen Kirchen einen dramatischen Vertrauensverlust erleben und Reformen dringend notwendig sind. Für alle, die sich in beiden Kirchen engagieren, und für alle, die sich für die Kirchen interessieren, dürfte weder das eine noch das andere überraschend gewesen sein. Beim Lesen der Kommentare dazu in den Medien kamen mir zwei Gedanken: Als ich vor über 30 Jahren aus der Pastoral in den Bereich der Caritas wechselte, begegnete mir vonseiten der Pastoral ein Vorbehalt: Die Caritas würde sich immer weiter vom Evangelium entfernen und nur noch das machen, was sich wirtschaftlich lohne.
Diese - ungerechtfertigte - Kritik war für mich ein besonderer Ansporn, in caritativen Verbänden und Organisationen mit Kolleginnen und Kollegen zu arbeiten, denen es darum geht, nah am Menschen zu sein. Für viele bedeutet das auch, das Evangelium im Handeln erfahrbar und nahbar zu machen. Und selbstverständlich gehört zu diesem Handeln, dass die wirtschaftlichen Bedingungen stimmen müssen.
Damals hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass eine Situation eintritt, in der sich nicht "die Caritas" vom Evangelium entfernt, sondern ganz andere in der Kirche mit diesem Vorwurf konfrontiert sind. Und ich habe an die überlieferte Weisheit aus dem Volk der Dakota gedacht: "Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, dann steig ab!" In Vorträgen und Managementseminaren wird häufig genannt, wie "schlechtes Management" in solch einer Situation reagiert: "Wir erhöhen die Qualitätsstandards für das Reiten toter Pferde." Oder: "Wir bilden eine Taskforce, um das Pferd wiederzubeleben." Oder: "Wir gründen einen Arbeitskreis, um das Verhalten des Pferdes zu analysieren."
All diesen Überlegungen ist eines eigen: Sie sind unsinnig und sinnlos. Stattdessen muss gelten: Steigt ab von diesem Pferd; steigt ab vom hohen Ross und geht zu den Menschen. Seht ihre Nöte und gebt ihnen wieder Hoffnung durch euer authentisches Handeln.
Und für alle anderen, die schon lange ohne Pferde unterwegs sind, gilt: Gebt nicht auf, lasst euch nicht beirren. Das Evangelium lässt sich nicht unterkriegen.