EU-Kindergarantie will Kinderarmut bis 2030 bekämpfen
Seit Monaten wird in Medien und Politik über die Einführung einer Kindergrundsicherung kontrovers diskutiert, durch die Kinderarmut reduziert und bessere Teilhabechancen geschaffen werden sollen. Nicht im öffentlichen Fokus ist dabei die zweite wichtige Säule, auf die Kinder und Jugendliche zur Verwirklichung von besseren Chancen und Teilhabe aber dringend angewiesen sind: die soziale Infrastruktur. Gut, dass die Bundesregierung nun gemeinsam mit Ländern, Kommunen und der Zivilgesellschaft die Startchancen aller Kinder und Jugendlichen verbessern will. Mit dem Nationalen Aktionsplan (NAP) "Neue Chancen für Kinder in Deutschland" soll bis zum Jahr 2030 benachteiligten Kindern und Jugendlichen Zugang zu hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung, Gesundheitsversorgung, Ernährung und zu Wohnraum gewährleistet werden.
Die politischen Mühlen mahlen langsam
Deutschland setzt damit die Ziele der EU-Kindergarantie national um. Deren Einführung geht wiederum auf einen langen Prozess zurück: Bereits 2015 forderte das Europäische Parlament, den Kreislauf von Armut und sozialer Ausgrenzung von Kindern und Familien zu durchbrechen. 2019 kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Schaffung einer EU-Kindergarantie an. Die Empfehlung zur Einführung der EU-Kindergarantie wurde am 14. Juni 2021 im Rat der Europäischen Union einstimmig beschlossen.
Wo und wie sich Caritas einbringen kann
Das Referat Lebensläufe und Grundsatzfragen des Deutschen Caritasverbandes (DCV) hat die Umsetzung der EU-Kindergarantie von Beginn an begleitet und die Erwartungen des DCV und seiner Fachverbände in die Politik eingespeist.1 Diese Rückmeldungen sind in den ersten Bericht der Bundesregierung eingeflossen: Die DCV Stellungnahme und auch einige Caritas-Leuchtturmprojekte sind im Bericht konkret benannt.2 Bei der BMFSFJ-Auftaktveranstaltung zur Umsetzung der Kindergarantie war der DCV für einen Input in das Forum Wohnen geladen, konnte seine konkreten Forderungen einbringen und auch bei allen anderen Feldern in Workshops mitdiskutieren.
Im weiteren Prozess ist die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) gemeinsam unterwegs gewesen. Im Mai hat sie den ersten Entwurf des Berichts kommentiert.3 Sie ist als Akteur der Zivilgesellschaft auch geladen, ihre Vorstellungen im Nationalen Aktionsplan (NAP)-Ausschuss kontinuierlich einzubringen, der Ende September 2023 erstmals getagt hat. Der DCV ist gemeinsam mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO) von der BAGFW als Mitglied in den NAP-Ausschuss und auch in den begleitenden Steuerungskreis entsandt. Aktuell nimmt diesen Sitz für die Caritas die Leitung der DCV Kontaktstelle Politik wahr. Der NAP-Ausschuss tagt zweimal jährlich nichtöffentlich mit dem Ziel, Handlungsansätze zu diskutieren. Er bietet eine Austausch-, Vernetzungs- und Kommunikationsplattform für alle relevanten Akteure aus Bund, Ländern, Kommunen, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Über die Fortschritte bei der Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut soll alle zwei Jahre berichtet werden. Geplant sind damit bis 2030 vier Fortschrittsberichte in drei Legislaturperioden.
Gegenstand der Berichterstattung
Geprüft werden Erfolge bei der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung durch einen Hauptindikator für die Überwachung der EU-Strategie zum Armutsziel, den AROPE-Indikator. AROPE steht für "at risk of poverty or social exclusion". Gemessen werden neben dem monetären Armutsrisiko das Vorliegen erheblicher materieller und sozialer Entbehrungen sowie eine sehr niedrige Erwerbsintensität. Der AROPE-Indikator der unter 18-Jährigen lag im Jahr 2022 in Deutschland bei 24,0 Prozent und damit über der Quote der Gesamtbevölkerung (20,9 Prozent).
In den geplanten Fortschrittsberichten des NAP sollen auf Grundlage quantitativer und qualitativer Forschung Handlungsfelder und einzelne armutsbetroffene Zielgruppen beleuchtet, Aktivitäten der Stakeholder und konkrete Maßnahmen dokumentiert werden. Für die vier Fortschrittsberichte werden unterschiedliche Schwerpunkte gewählt. Der Bericht enthält einen Tabellenteil, in den auch Maßnahmen der Verbände aufgenommen werden, die im Vorfeld der jeweiligen Berichte abgefragt werden. Dies ist eine gute Möglichkeit, Leuchtturmprojekte der Caritas einzubringen. Die Veröffentlichung des ersten Fortschrittsberichts zum Thema "Kommunale Armutsprävention" wird voraussichtlich Ende 2024 erfolgen.
Erwartungen an den Prozess
Klar ist: Ohne Geld wird es nicht gehen. Mit Sorge sieht der DCV deshalb den im ersten Bericht benannten Finanzierungsvorbehalt. Einen Vorgeschmack gibt der Sparentwurf für den Bundeshaushalt 2024, der sich gegenwärtig in der parlamentarischen Beratung befindet. Fatal sind hier die geplanten Einsparungen bei den Frühen Hilfen, der Jugendsozialarbeit, den Familienerholungsstätten, den Müttergenesungswerken, den Freiwilligendiensten, den Jugendmigrationsdiensten, den Respect Coaches, der Kinder- und Jugendarbeit und auch der Nichteinbezug der Kinder aus dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in die Kindergrundsicherung.
Gut ist, dass bei der Erstellung des NAP Kinder und Jugendliche am Prozess beteiligt wurden. Es braucht nun eine Verstetigung der Beteiligung an der Erarbeitung und Überprüfung des NAP.
Mit Blick auf den Fokus des ersten Fortschrittsberichts: Bereits heute wissen wir, welch hohe Bedeutung den kommunalen Netzwerken und Präventionsketten für gutes und gesundes Aufwachsen zukommt. Es ist sehr zu begrüßen, dass dieses Thema für den ersten Fortschrittsbericht als Schwerpunkt gewählt wurde.
Zu hoffen ist, dass die in den parlamentarischen Beratungen des Bundeshaushalts erreichten Rücknahmen der Kürzungen bei der sozialen Infrastruktur in der abschließenden Haushaltsberatung 2024 auch Bestand haben. Denn wenn der Bund aus einigen Finanzierungen aussteigen sollte, steht zu befürchten, dass das soziale Netz stark durchlöchert wird, mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die mit der EU-Kindergarantie avisierten Ziele.
Die Caritas setzt sich ein
Gelingen muss die Verankerung einer inklusiven Strategie zur Armutsbekämpfung. Die BAGFW wird sich weiter dafür einsetzen und einfordern, dass der NAP klare und messbare Ziele und Indikatoren zur Messung der Zielerreichung und Überprüfungsmechanismen ausweist. Zudem müssen in der Ausgangsanalyse Zahlen und Belastungsfaktoren zu LGBTIQ+(Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender, Inter, Queer und alle weiteren Identitäten)-Kindern und -Jugendlichen sowie Kindern und Jugendlichen in alternativen Betreuungsformen aufgenommen werden. Auch die Situation von Kindern und Jugendlichen in Alleinerziehenden-Haushalten, als die mit am stärksten von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffene Familienform, muss noch stärker beleuchtet werden. Das Gleiche gilt für die Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge sowie die Situation von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen und ihren Familien.
Klar ist: Es gibt noch viel zu tun bis 2030. Die Wohlfahrtsverbände haben die Chance, sich in den Prozess aktiv einzuschalten und ihre Forderungen und Leuchtturmprojekte einzubringen. Im Austausch mit den relevanten Akteuren wird die Caritas sich auf Basis ihrer Erfahrungen für ein starkes Netz der sozialen Sicherung einsetzen, um den Teufelskreis aus Armut und Ausgrenzung zu durchbrechen und Kindern und Jugendlichen neue Chancen zu geben. Hilfreich sind hier Rückmeldungen aus der Praxis.4
Denn im guten Zusammenwirken ist die Caritas stark, im Sinne derer, für die sie sich einsetzt.
1. Stellungnahme zur Erarbeitung des Nationalen Aktionsplanes "Neue Chancen für Kinder in Deutschland" zur Umsetzung der EU-Kindergarantie (caritas.de), Kurzlink: https://t.ly/J5uQI
2. Kurzlink: https://t.ly/SbYpv
3. Kurzlink: https://t.ly/7oS7y
4. Bitte melden Sie Leuchtturmprojekte, die Sie im Bereich der Kinder- und Jugendförderung entwickeln, an Birgit Fix und Karin Kramer.
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