„Pflege begeistert“ – wenn der Rahmen stimmt
Fünf Millionen Menschen in Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt pflegebedürftig. Bis zum Jahr 2055 wird sich diese Zahl voraussichtlich um 1,8 Millionen erhöhen. Obwohl schon heute vier von fünf Pflegebedürftigen in den eigenen vier Wänden versorgt werden - meist durch Angehörige -, bleibt eine beträchtliche Zahl, die auf die Versorgung von Pflegeeinrichtungen und -diensten angewiesen sind. Doch die Langzeitpflege in Deutschland kämpft seit Jahren mit einem gravierenden Personalmangel, der bereits jetzt deutliche Spuren hinterlässt.
"Pflege begeistert": Inmitten dieser Herausforderungen setzt das Motto, das der Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland e. V. (VKAD) seiner Positionierung voranstellt, einen positiven Akzent. Diese optimistische Haltung wird auf lange Sicht vonnöten sein, denn trotz dringendem Bedarf ist eine umfassende Reform der Pflegepolitik bisher ausgeblieben.
Trotz dieser seit langem bekannten Hürden gab es einige Entwicklungen in der jüngsten Pflegepolitik, etwa das im Oktober 2023 verabschiedete Pflegestudiumstärkungsgesetz. Es bringt spürbare Fortschritte, sei es in Bezug auf die Ausbildungsvergütung für Pflege-Studierende oder die Vereinfachung der Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegefachkräfte.
Seine pflegepolitische Positionierung, erstmals 2020 herausgegeben, hat der VKAD nun überarbeitet und erneut veröffentlicht.1 Viele der darin behandelten Themen sind in der Vergangenheit in der Pflege- und Wohlfahrtsbranche intensiv diskutiert worden. Dies unterstreicht erneut, dass die Pflegepolitik vor großen Herausforderungen steht, die bewältigt werden müssen. Im Folgenden finden Sie eine Auswahl der Forderungen des VKAD.
◆ Bezahlbare Pflege ("Pflegeteilkasko"): Der VKAD fordert die Einführung einer echten Pflege-Teilkaskoversicherung für sämtliche Leistungsbereiche der Langzeitpflege. Gemäß dem Modell des "Sockel-Spitze-Tauschs"2 bedeutet dies, dass die versicherte Person einen festen Eigenanteil der pflegebedingten Kosten als monatlichen Sockelbetrag trägt, während die darüber hinausgehenden, sich ständig ändernden pflegebedingten Kosten die Pflegeversicherung übernimmt.
Dieser Ansatz entlastet Pflegebedürftige, da sie nicht mehr allein für die steigenden pflegebedingten Kosten aufkommen müssten. Stattdessen würden die Lasten auf viele Pflegeversicherte verteilt, um so zu einer gerechteren und nachhaltigeren Finanzierung der Langzeitpflege zu gelangen.
◆ Mehr Gestaltungsspielraum für Pflegekräfte: Die Profession Pflege verdient deutlich mehr Anerkennung. Konkret kann das bedeuten, dass Pflegekräfte mehr Gestaltungsspielraum bekommen - und weniger Bürokratie. Die Entscheidung über den individuellen Pflege- und Betreuungsbedarf sollte vermehrt in die Hände der Pflegefachkräfte gelegt werden. Sie müssen die Flexibilität erhalten, von den im Rahmen der Pflegegrade festgelegten Pflege- und Betreuungsinhalten bei Bedarf abzuweichen, um die Pflege individuell an die Bedürfnisse jedes:jeder Einzelnen anzupassen.
Pflegekräfte sind täglich hautnah an den Bedürfnissen ihrer Patient:innen und Bewohner:innen dran und verstehen deren individuelle Anforderungen am besten. Indem sie mehr Spielraum bekommen, wird eine maßgeschneiderte Pflege möglich, die wirklich auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht.
◆ Bundeseinheitliche Regelung bei der Pflegeassistenzausbildung: Die gegenwärtige Zuständigkeit der Bundesländer für die Pflegeassistenzausbildung führt zu einer uneinheitlichen Landschaft mit 16 unterschiedlichen Ausbildungen der Pflegehelfertätigkeit.
Um die Anforderungen des Personalbemessungsinstruments in der stationären Langzeitpflege zu erfüllen, das seit dem 1. Juli 2023 in Kraft ist, müssen dringend Nachwuchskräfte in eine einheitliche Ausbildung zur Pflegefachassistenz kommen. Der VKAD fordert daher eine zügige und nachhaltige Übertragung der Verantwortung für die generalistische Pflegeassistenzausbildung an die Bundesebene, um eine einheitliche Ausbildungsstruktur sicherzustellen und den Bedarf an qualifiziertem Pflegefachassistenz-Personal auf Qualifikationsniveau 3 zu decken. Dies ist ein entscheidender Schritt, um die Pflegequalität in Deutschland zu verbessern und den Herausforderungen der neuen Personalbemessung nach § 113 c SGB XI zu begegnen.
◆ Förderung der dualen Ausbildung von Pflegepädagog:innen: Der Arbeitsmarkt bietet nicht genügend Lehrpersonal für Pflegeschüler:innen. Daher müssen die Kapazitäten durch zusätzliche Übergangsregelungen auf Landesebene aufgestockt werden. Gleichzeitig braucht es einen massiven Aufbau von Studienstrukturen für Pflegepädagog:innen in allen Bundesländern. Der VKAD fordert, Stipendien für angehende Pflegepädagog:innen sowie Fördermittel für Pflegeschulen auszuweiten. Neben dem Ausbau von Studienplätzen werden innovative und digitale Studienmodelle benötigt, die sich an den Lebensbedingungen Studierender orientieren.
Arbeitsbedingungen und finanzielle Grundlagen für angehende Pflegepädagog:innen sind zu verbessern - ein Stichwort ist hier die Heterogenität der Stellenschlüssel, die in den unterschiedlichen Bundesländern gelten. Der Mehraufwand durch die Umsetzung der generalistischen Pflegeausbildung und der Druck durch die neue Personalbemessung bei gleichzeitigem Mangel an Lehrpersonal müssen sich adäquat in der Vergütung widerspiegeln.
Es ist einheitlich zu klären, welche Qualifikationen beziehungsweise Hochschulabschlüsse erforderlich sind, um als Pflegelehrkraft zu arbeiten. Dabei muss vermieden werden, dass das Ausbildungsniveau sinkt. Gleichzeitig sollten die Einstellungsvoraussetzungen in den Bundesländern angeglichen werden.
◆ Unterstützung alternativer Wohnformen: Rund 37.000 pflegebedürftige Menschen leben bundesweit in circa 3660 Seniorenwohngemeinschaften. Die Nachfrage nach Konzepten, die eine Alternative zum Pflegeheim darstellen, wird weiter steigen. Um den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht zu werden, sind diese alternativen Wohnformen zu fördern, konkret etwa durch die Erhöhung des Wohngruppenzuschlags: Pflegebedürftige in Wohngemeinschaften erhalten derzeit monatlich einen pauschalen Zuschlag von 214 Euro. Anders als bei der stationären Altenpflege bleibt dieser Betrag über den gesamten Wohnzeitraum konstant und wurde seit 2017 nicht mehr angepasst.
Durch die Ungleichbehandlung der Wohnformen besteht die Gefahr, dass zukünftig die Kostenträger nicht mehr bereit sind, eine Unterbringung in einer Wohngemeinschaft als förderfähig anzuerkennen. Es besteht das Risiko, dass diese bewährte Lebensform wieder verschwindet oder aber nur noch der wohlhabende Teil der Bevölkerung sich ein Leben in einer Wohngemeinschaft leisten kann.
◆ Investitionsfähigkeit sichern: Auch der Bedarf an stationärer Versorgung wird weiter steigen. Dabei wird es große regionale Unterschiede geben. Der zusätzliche Bedarf an Pflegeheimplätzen wird sich bis 2040 nach vorliegenden Berechnungen im Bundesdurchschnitt um 23,8 Prozent erhöhen. In absoluten Zahlen bedeutet das im Jahr 2040 eine zusätzliche Nachfrage nach 43.000 Pflegeheimplätzen in Nordrhein-Westfalen, 42.100 in Bayern, 32.400 in Baden-Württemberg und 27.800 Plätzen in Niedersachsen.3 Diesem Bedarf muss durch zeitgemäße und spezialisierte Pflegeimmobilien begegnet werden.
Der VKAD fordert für Pflegeimmobilien eine anerkannte und refinanzierte Nutzungsdauer von maximal 30 Jahren. Sämtliche Pflegeimmobilien für Heime, Kurzzeitpflegen, Hospize, Tagesstätten und Wohngruppen sind in ihrer Ausgestaltung hoch spezialisiert und werden stark genutzt. Dementsprechend ist ihre Nutzungsdauer nicht mit der von Wohnimmobilien gleichzusetzen. Es geht darum, eine Immobilie immer wieder den neuen Bedarfen der Gesellschaft beziehungsweise den Erkenntnissen der Pflegewissenschaften anzupassen, um sie technisch auf dem je aktuellen Stand zu halten. Die Refinanzierung dieser Maßnahmen gelingt nicht, wenn sich eine Immobilie noch in der - bisher 50-jährigen - Abschreibung befindet.
Der VKAD fordert, Investitionskosten für Klimasanierung und -anpassung durch Steuern zu finanzieren. Wenn stationäre Einrichtungen ihre Ökobilanz verbessern und außerdem wirksam vor Hitze schützen sollen, dann muss eine Finanzierung sichergestellt werden, die die Pflegebedürftigen nicht weiter belastet. Die Bundesländer sollten die Kosten für die notwendigen Klimamaßnahmen in Pflegeheimen übernehmen.
1. www.vkad.de/positionen
2. Vgl. Rothgang, H.; Kalwitzki, T.: Sockel-Spitze-Tausch sichert Lebensstandard von Pflegebedürftigen. In: neue caritas Heft 4/2019, S. 9 ff.
3. Vgl. Wüest Partner Deutschland (Hrsg.): Pflegeheim-Atlas Deutschland 2021. Download: www.wuestpartner.com/de-de/produkt/pflegeheim-atlas-deutschland-2021
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