Den Kreislauf durchbrechen
1,9 Millionen Kinder in Deutschland leben in Haushalten, die auf Grundsicherung angewiesen sind. Nicht allein die große Zahl ist erschreckend. Ernüchternd ist auch der Umstand, dass darüber seit Jahren diskutiert wird, ohne dass es gelungen ist, diesen Anteil entscheidend zu senken. Dabei gibt es Konzepte und Ideen, die Perspektiven dieser Kinder zu verbessern.
Eine bedeutende Komponente ist die realitätsnähere Berechnung des Hartz-IV-Regelsatzes für Kinder, wenn es etwa um die Berücksichtigung von Schulmaterialien, Klassenfahrten, Sportausrüstung oder Kleidung geht. Aber auch der sogenannte Kinderzuschlag muss reformiert werden. Das Anliegen, die Eltern zu unterstützen, die zwar ihren eigenen Bedarf, aber nicht den ihrer Kinder decken können, ist grundsätzlich richtig. Diese kompliziert zu berechnende Sozialleistung kommt aber oft nicht zur Anwendung und erreicht insbesondere Alleinerziehende nur unzureichend. Wir haben dazu schon vor längerem ein Modell entwickelt, wie der Kinderzuschlag zu einer eigenständigen, einkommensabhängigen Grundsicherung weiterentwickelt werden könnte.
Es gibt Ideen, die Perspektiven dieser Kinder zu verbessern
Eine weitere Komponente ist die Verbesserung der Bildungschancen. Nach wie vor spielt die soziale Herkunft eine zu große Rolle, wenn es um die schulische Zukunft von Kindern und Jugendlichen geht. Zwei Drittel der Kinder, deren Eltern Abitur haben, besuchen das Gymnasium. Ganz anders sieht es aus, wenn die Eltern einen Hauptschulabschluss haben. Hier besuchen nur zehn Prozent der Kinder ein Gymnasium. Die Vererbung von Bildungs- und Entwicklungschancen ist ein Problem der deutschen Bildungslandschaft. Aber auch mit Blick auf die Quote der Schulabgänger ohne Abschluss ist noch viel zu tun. Dass sich dieser Anteil senken lässt, zeigt die Entwicklung der letzten Jahre. So ist die Quote seit 2006 von acht auf 5,6 Prozent gesunken. Als erfolgreich erwiesen haben sich Kooperationsstrukturen zwischen den Beteiligten, frühe und präventive Unterstützung der Kinder und ihrer Familien, verlässliche Schulsozialarbeit, intensive Begleitung schulmüder Jugendlicher sowie eine frühe Berufsorientierung. Wenn Verantwortliche an einem Strang ziehen, gelingt es weit besser, den Kreislauf der vererbten Bildungsbenachteiligung zu durchbrechen. Gute Bildungs- und Aufstiegschancen fangen aber schon viel früher an. Notwendig sind frühe Hilfen, bei denen junge Eltern mit komplexen Hilfebedarfen frühzeitig und niedrigschwellig unterstützt werden.
Die Bekämpfung von Kinderarmut ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dass Vermieter bereit sind, Wohnungen an kinderreiche Familien zu vermieten, kann nicht erzwungen werden. Auch lässt sich Teilhabe nicht allein durch finanzielle Mittel herstellen. Um benachteiligte Kinder zu erreichen, braucht es niederschwellige Angebote. Hier sehe ich uns mit unserer Kirche und allen gesellschaftlichen Gruppen in der Pflicht. Die Kinderfreundlichkeit einer Gesellschaft kann nicht verordnet, sie muss gelebt werden.