Familienförderung im Visier: Wie geht’s am effektivsten?
Der Endbericht zur Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen1 ist da. Nicht erst seit seiner Veröffentlichung im September 2014 werden die Wirkungen zentraler Instrumente der deutschen Familienpolitik breit diskutiert. Was die Auftraggeber der Evaluation, das Bundesfamilien- und das Bundesfinanzministerium, aus den Ergebnissen herausholen, ist indes noch unklar.
Die "systematische Wirkungsanalyse" begann 2008 mit der Frage, wie familienbezogene Leistungen dazu beitragen, die wichtigsten Ziele einer nachhaltigen Familienpolitik zu erreichen. Als solche wurden definiert: wirtschaftliche Stabilität und soziale Teilhabe von Familien, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Förderung und Wohlergehen von Kindern, Fertilität/Realisierung von Kinderwünschen sowie das Querschnittsziel Nachteilsausgleich zwischen den Familien.2
Gemessen wurde die Zielerreichung mit Hilfe von Indikatoren, bei der "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" war dies beispielsweise die Erwerbsquote von Eltern. Demnach gilt eine Leistung, die ein erhöhtes Arbeitsangebot der Mütter evoziert, als förderlich für die Vereinbarkeit. Qualitative Faktoren der Zeitverwendung in Familien wurden dabei allerdings nicht in den Blick genommen.
Im Folgenden werden exemplarisch Ergebnisse in Bezug auf das Kindergeld sowie in Bezug auf fünf Leistungen aufgegriffen, die im Endbericht als besonders wirksam herausgestellt werden: Elterngeld, Unterhaltsvorschuss, steuerlicher Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, Kinderbetreuung und Kinderzuschlag.
Bedarf von Kindern neu analysieren
Das Kindergeld zeigt hinsichtlich Kosten-Nutzen-Überlegungen nur schwache Effekte. Es ist deswegen aber nicht "unwirksam". Die breite Ausrichtung des Kindergeldes und mit ihm des Kinderfreibetrages trägt dem Mindestbedarf aller Kinder Rechnung, unterstützt die wirtschaftliche Stabilität der Familienhaushalte und schafft einen Nachteilsausgleich gegenüber Kinderlosen und zwischen Familien mit unterschiedlicher Kinderzahl.
Problematiken bei der Verteilung hat die Evaluation an den Schnittstellen zwischen Sozialrecht, Unterhaltsrecht und Steuerrecht ausgemacht.3 Angeglichen werden sollten daher die unterschiedlichen Definitionen des Mindestbedarfs von Kindern und auch der Leistungsfähigkeit derer, die ihr Einkommen einsetzen müssen (gemäß Unterhaltsrecht oder SGB II). Hierfür müsste der Mindestbedarf von Kindern neu analysiert werden, um langfristig ein einheitliches altersabhängiges Kinderexistenzminimum zu entwickeln.4
Verteilungswirkung beim Elterngeld untersuchen
Seit Einführung der Leistung "Elterngeld" im Jahr 2007 haben sich die Erwerbsunterbrechungen von Müttern erkennbar verkürzt. Nach Angaben der Betroffenen ist es die kurze Bezugsdauer, die eine möglichst schnelle Rückkehr in den Beruf fördert. Dies wird vom Endbericht im Sinne der definierten Ziele positiv bewertet. Grundsätzlich ist aber auch festzuhalten, dass eine Leistung wie das Elterngeld in erster Linie dabei unterstützen sollte, sich nach einer Geburt Zeit für das Kind/die Kinder zu nehmen. Weiterhin wäre es wichtig, die Verteilungswirkung des Elterngeldes zu untersuchen. Im Rahmen der Akzeptanzanalysen wurde vonseiten der Bezieher(innen) kritisiert, dass das Elterngeld Eltern mit höheren Einkommen bevorzuge. Insgesamt führt die Kritik aber nur bei neun Prozent der Bevölkerung dazu, dass das Elterngeld grundsätzlich abgelehnt wird.5
Der steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende ist im Verhältnis zu seiner Höhe gesehen eine der effektivsten Leistungen zur Unterstützung der Erwerbstätigkeit - fast 20.000 Alleinerziehende werden dadurch unabhängig von Leistungen des SGB II. Auch der Unterhaltsvorschuss unterstützt Erwerbstätigkeit und reduziert das Armutsrisiko.6
Der Entlastungsbetrag - er beträgt 1308 Euro - sollte angehoben werden, zumal die mögliche steuerliche Entlastung von Ehepaaren deutlich höher ausfällt. 62 Prozent der Alleinerziehenden und auch 63 Prozent der Bevölkerung sprechen sich zudem dafür aus, die Zahl und das Alter der Kinder bei den Leistungen für Alleinerziehende mitzuberücksichtigen.7 Die Wirksamkeit des Unterhaltsvorschusses sollte verbessert werden, indem die für das Kind gesetzte Altersgrenze an das Unterhaltsrecht angepasst und die Beschränkung der Bezugsdauer aufgehoben wird.
Kinderbetreuung optimieren
Die subventionierte Kindertagesbetreuung unterstützt laut Endbericht die Erwerbstätigkeit von Müttern und kann sogar die Entscheidung, Kinder zu bekommen, beeinflussen. Außerdem sei Kinderbetreuung die "einzige Familienleistung, die direkt auf das Wohlergehen wirkt": Die Nutzung von Kinderbetreuung, speziell für Zwei- bis Dreijährige, wirke sich auch im Lebensverlauf positiv auf die Entwicklung aus. Ähnlich seien die Effekte jener Leistungen zu beurteilen, die die Erwerbstätigenquote von Müttern erhöhen und dadurch bewirken, dass mehr Kinder in Kitas gehen.8 Dabei berücksichtigt die Evaluation nicht, dass es bezüglich der Betreuungsqualität in den Kitas und Tagespflegestellen noch große Unterschiede gibt. Die Caritas regt derzeit ein Qualitätsgesetz an, das bundesweit gültige Standards für die Kindertagesbetreuung definiert. 22 Prozent der Eltern wünschen sich außerdem zusätzliche Betreuungsmöglichkeiten für ihre größeren Kinder, insbesondere im Rahmen von Ganztagsschulen.9
Kinderzuschlag reformieren
Der Kinderzuschlag hilft vor allem Familien mit mehreren oder mit jüngeren Kindern, die ohne ihn Arbeitslosengeld II bezögen. Um in den Anspruchsbereich des Kinderzuschlags zu gelangen, nehmen mehr Mütter eine Erwerbstätigkeit auf, ihre durchschnittliche Wochenstundenzahl erhöht sich, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung steigt um circa 2600 Personen.10 Einen unerwünschten Effekt hat der Kinderzuschlag aber auch, da er mit steigendem Einkommen abgeschmolzen wird, dann jedoch nicht gleitend ausläuft, sondern endet, sobald die Höchsteinkommensgrenze überschritten wird. Dies macht eine Arbeitsausweitung über die "Abbruchkante" hinaus unattraktiv, denn um dasselbe Einkommen wie im Kinderzuschlagsbezug zu erhalten, muss eine Paarfamilie mit zwei Kindern rund 500 Euro Bruttoeinkommen im Monat mehr erwirtschaften.11 Der Kinderzuschlag sollte daher weiterentwickelt werden. Der Deutsche Caritasverband legt hierzu ein detailliertes Reformkonzept vor (s. S.?I bis XI in diesem Heft).
Insgesamt wäre es wichtig, sowohl Erkenntnisse der Familienforschung als auch der Verbände in die durch die Gesamtevaluation erarbeitete Wissensbasis zu integrieren. Die Zielerreichung
sollte in Zukunft nicht nur unter ökonomischen, sondern auch unter zeitpolitischen und sozialpsychologischen Gesichtspunkten analysiert werden. Qualitative Dimensionen wie Zufriedenheit und Wohlbefinden verdienen eine stärkere Berücksichtigung.
Anmerkungen
1. Prognos AG: Endbericht. Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen und Leistungen in Deutschland. Berlin, 2014. Download: www.bjfsfj.de, Suchwort "Gesamtevaluation".
2. Vgl. Machbarkeitsstudie zur stufenweisen Evaluation des Gesamttableaus ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland. Mannheim, München, Berlin, 2008, S. 1ff.
sowie Prognos, a.a.O., S. 12ff.
3. Ott, Notburga et al.: Schnittstellen im Sozial-, Steuer und Unterhaltsrecht. Baden-Baden, 2012.
4. Vgl. Kommentar von Ott, Notburga et al. In: Prognos, a.a.O., S. 80f.
5. Institut für Demoskopie Allensbach (IfD): Akzeptanzanalyse I. Staatliche Familienleistungen aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger: Kenntnis, Nutzung und Bewertung. Abschlussbericht. Allensbach, 2012, S. 110f.
6. Prognos, a.a.O., S. 386.
7. IfD, a.a.O., S. 160f.
8. Prognos, a.a.O., S. 313.
9. IfD, a.a.O., S. 141ff.
10. Prognos, a.a.O., S. 363, S. 187.
11. Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung: Evaluation zentraler ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland. Endbericht, Gutachten für die Prognos AG. Münster, Berlin, Bochum, 2013, S. 148ff., 309ff.
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