Wohnungslosigkeit: längst ein Thema auf dem Lande
Die Stadt Passau mit einer Einwohnerzahl von 49.400 und einer Fläche von 70 Quadratkilometern ist umgeben vom Landkreis Passau mit einer Fläche von 1530 Quadratkilometern und 187.000 Einwohnern und auch im weiteren Sinn vom Landkreis Freyung-Grafenau mit einer Fläche von 984 Quadratkilometern und 77.600 Einwohnern.
Als größte Stadt im Bayerischen Wald ist Passau nicht nur Anziehungspunkt für die meisten Werktätigen aus den Landkreisen, sondern auch für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten. Die meisten Beratungsstellen, auf die auch die Personen aus den Landkreisen zugreifen, sind in der Stadt Passau angesiedelt, wie auch das Landratsamt und das Jobcenter für den Landkreis Passau.
Dies bedeutet für die Bewohner des Landkreises weite und lange Wege. Da die meisten Klienten, die die Beratungsstellen aufsuchen, kein Auto haben, sind sie auf die schlechten Busverbindungen angewiesen. Man kommt zwar früh morgens in die Stadt, aber meist erst am späten Nachmittag wieder zurück. Fahrten innerhalb des Landkreises sind noch komplizierter. Außerdem muss man das Geld für den Bus auch erst einmal haben.
Häufig scheitern Arbeitsaufnahmen daran, dass man mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht rechtzeitig bei einer Firma sein und erst recht keiner Schichtarbeit nachgehen kann.
Es gibt kaum günstige Wohnungen
Die Wohnungssituation in den beiden Landkreisen ist angespannt. Im Landkreis Passau sind die Mietobergrenzen des Jobcenters in den einzelnen Regionen unterschiedlich, aber noch so, dass die Betroffenen eine Wohnung im Rahmen der Mietobergrenze finden könnten.
Im Landkreis Freyung-Grafenau sind die Mietobergrenzen so knapp bemessen, dass die meisten ALG-II- und SGB-XII-Empfänger von ihrem Lebensunterhalt etwas zur Miete dazubezahlen. Die Anmietung einer neuen Wohnung scheitert oft daran, dass die Betroffenen keine Wohnung im Rhamen der Mietobergrenze finden können. Ein Mietspiegel existiert nicht.
Die Arbeitslosenquote (ALG I und ALG II) betrug im September 2014 in der Stadt Passau 4,9 Prozent ( =1247 Personen). Die Zahl der ALG-II-Empfänger liegt bei 3,2 Prozent. Davon sind sechs Prozent unter 25 Jahren. Es gibt insgesamt 1492 Bedarfsgemeinschaften in der Stadt Passau, davon sind 20,6 Prozent Bedarfsgemeinschaften mit alleinerziehendem Elternteil.
Im Landkreis Passau sind 3239 Personen beziehungsweise 3,2 Prozent arbeitslos, davon 1,6 Prozent ALG-II-Empfänger. 9,9 Prozent sind unter 25 Jahren. Es gibt 2762 Bedarfsgemeinschaften, davon sind 22,1 Prozent alleinerziehende Elternteile.
Im Landkreis Freyung-Grafenau sind 1322 beziehungsweise 3,1 Prozent Menschen arbeitslos, von denen 1,5 Prozent SBG-II-Empfänger sind. Davon sind 12,5 Prozent unter 25 Jahre. Es gibt 927 Bedarfsgemeinschaften, darunter 25,7 Prozent mit alleinerziehendem Elternteil.
Wohnungslosigkeit Jugendlicher nimmt zu
Diese Zahlen scheinen auf den ersten Blick nicht dramatisch, und vergleicht man sie mit Zahlen aus anderen Teilen Deutschlands, scheint hier die Welt noch in Ordnung zu sein.
Allerdings ist es so, dass die Zahlen bei den unter 25-Jährigen ansteigen. Diese Personen haben in der Regel keinen familiären Rückhalt mehr und sind meist massiv von Wohnungslosigkeit bedroht. Es gibt kaum Netzwerke, die sie auffangen können. Die Caritas-Fachberatungsstelle mit angeschlossener Herberge in Passau ist das einzige Angebot im Umkreis.
Wer in diesen ländlichen Bereichen sozial auffällig ist, ist dies mehr als in der anonymen Umgebung einer Stadt. Auf dem Land kennt jeder jeden. Früher war dies noch ein Vorteil, weil vermeintlich Schwache von der Dorfgemeinschaft aufgefangen wurden.
Allerdings lösen sich diese dörflichen Strukturen im ländlichen Raum mehr und mehr auf. Viele Gemeinden fungieren nur noch als Wohnsiedlungen mit Discounteranbindung. Die Menschen arbeiten außerhalb und verbringen ihre Freizeit nicht mehr in den Gemeinden.
Probleme wurden über Jahre ignoriert, da sie in den Gemeinden nur vereinzelt auftraten.
Immer mehr werden junge Erwachsene unter 25 Jahren zum Problem. Aufgrund der gesetzlichen Grundlage im SBG?II können sie relativ schnell um 100 Prozent sanktioniert werden und verlieren oft ihre Wohnung beziehungsweise werden von den Eltern rausgeworfen. Ein großes Problem ist auch, dass durch die Nähe zu Tschechien der Handel mit Crystal Meth blüht und ein großes Angebot an dieser Droge vorhanden ist. Die Abhängigen in den Landkreisen und die damit verbundenen Probleme entsprechen prozentual fast denen einer mittleren Stadt. Viele stehen auch nach einem Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) oder einer Therapie auf der Straße. Die zuständigen Gemeinden in den Landkreisen reagieren auf diese Entwicklung sehr unterschiedlich.
Viele Jugendliche sind abhängig von Crystal Meth
Viele kleine Gemeinden sind mit der Situation überfordert, weil sie keine Möglichkeiten haben, die Personen adäquat unterzubringen. Einige Gemeinden wenden sich daher an unsere Beratungsstelle und wollen oft nur einen fachlichen Rat.
Wieder andere Gemeinden, vor allem die Städte, halten Unterbringungsmöglichkeiten vor. Eine Stadt im Landkreis Passau mit circa 20.000 Einwohnern hat sogar einen Sozialarbeiter beschäftigt, der sich um diesen Personenkreis kümmert. Dies ist allerdings die Ausnahme.
Viele Gemeinden reagieren auf die Anfragen der Hilfesuchenden mit "vertreibender Hilfe". Sie "empfehlen" den Ratsuchenden, nach Passau zu gehen, da sie dort ohnehin bessere Möglichkeiten hätten.
Häufig tauchen diese Personen dann in der Caritas-Herberge in Passau auf, da ihnen in ihrer Heimatgemeinde nicht geholfen wurde. Die Gemeinden argumentieren damit, dass sich der tatsächliche Aufenthalt ja nicht mehr bei ihnen befinde und lehnen jede weitere Hilfegewährung ab. Die Möglichkeit einer Klage beim Verwaltungsgericht wollen viele Klienten nicht wahrnehmen, da sie im Regelfall auch lieber in Passau bleiben möchten.
In den letzten Jahren haben sich die Kontakte zu den Gemeinden im Landkreis jedoch intensiviert. Noch vor einigen Jahren war dies kaum der Fall, da das Problem der Unterbringung von den Gemeinden beziehungsweise von der dortigen Allgemeinen Sozialberatung der Kreis-Caritasverbände geregelt wurde.
In der Stadt sind sie weniger stigmatisiert
Viele junge Erwachsene mit besonderen sozialen Schwierigkeiten kommen auch nach Passau, weil sie hier mehr Sozialkontakte haben und sich tatsächlich bessere Perspektiven versprechen. Außerdem wollen sie der Enge der dörflichen Umgebung entfliehen. Gerade Menschen mit Drogenproblemen oder Straffällige sind in ihren Heimatgemeinden bekannt und fühlen sich, meist zu Recht, stigmatisiert.
Neben der Fachberatungsstelle Wohnungslosenhilfe bietet der Caritasverband Passau-Stadt eine Herberge und einen Tagesaufenthalt an. Die Herberge verfügt über acht Betten (sechs Betten für Männer und zwei für Frauen) und ist das ganze Jahr ab 19 Uhr abends geöffnet. Die Hilfesuchenden können bis zu einer Woche bleiben, in Ausnahmefällen auch länger. Aufgenommen werden Frauen, Männer und Paare im Sinne des § 67ff. SGB XII.
In der Beratungsstelle werden auch Tagessätze nach SGB II - bis zu maximal einer Woche - ausbezahlt und mit dem Jobcenter Passau-Stadt verrechnet.
2013 übernachteten in der Herberge hochwasserbedingt nur 461 Personen, da diese sechs Monate geschlossen war. Bereits zum 31. Oktober 2014 jedoch waren es über 700 Übernachtungen. Generell ist die Tendenz steigend und man kann mit circa 1000 Übernachtungen im Jahr rechnen.
Wer keine Postanschrift hat, bekommt sie bei der Caritas
Den Tagesaufenthalt besuchen täglich durchschnittlich 15 bis 16 Besucher. 2013 wurden 521-mal Tagesssätze ausbezahlt, ebenfalls mit steigender Tendenz.
Auffällig ist der große Anstieg der Zahl von jungen Erwachsenen, die um Hilfe nachsuchen. Diese kommen in der Regel aus der näheren Umgebung, wobei ein großer Anteil, circa ein Drittel, aus dem Landkreis Passau beziehungsweise dem Landkreis Freyung-Grafenau kommt. Der Anteil der jungen Erwachsenen liegt mittlerweile in der Herberge bei circa einem Viertel, in der Beratungsstelle bei fast 35 bis 40 Prozent.
Die meisten dieser jungen Hilfesuchenden kommen für einen gewissen Zeitraum bei Freunden und Bekannten unter. In die Herberge gehen sie eher sporadisch. Viele von ihnen suchen aber die Beratungsstelle auf. Neben einem Gesprächsangebot bietet die Caritas Hilfe bei Behördenangelegenheiten, Sach- und Finanzhilfen, Hilfe bei der Wohnraumbeschaffung und der Beschaffung von Papieren. Außerdem stellt die Fachberatungsstelle eine Postanschrift zur Verfügung. Mit dieser Postanschrift ist es den Hilfesuchenden möglich, auch ohne festen Wohnsitz Leistungen beim Jobcenter zu beantragen. So ist sichergestellt, dass sie ein laufendes Einkommen beziehen und krankenversichert sind. Eine Postanschrift wird circa 75 Personen im Jahr zur Verfügung gestellt.
Die Caritas in Passau rechnet damit, dass die Zahl der Übernachtungen steigen wird, nicht zuletzt bedingt durch eine Wohnungsnot im unteren Preisbereich. Auch geht die Caritas davon aus, dass die Zahl der Hilfesuchenden in der Beratungsstelle zunehmen wird. Dies sind schon lange nicht mehr die "klassischen Durchreisenden", sondern vor allem Menschen aus Stadt und Landkreis Passau, die ihre Wohnung verloren haben oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind.
Besorgniserregend ist, wie im gesamten Bundesgebiet die Zahl junger Menschen (zwischen 18 und 25 Jahren) steigt, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Diese Menschen benötigen oft noch pädagogische Unterstützung. Die Jugendhilfeeinrichtungen kommen für sie aber nicht mehr in Betracht und die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe sind häufig zu weit weg. Es gibt in ganz Niederbayern keine entsprechende Einrichtung. Viele junge Klient(inn)en lehnen eine stationäre Einrichtung ab. Ein entsprechendes teilstationäres oder ambulantes Angebot würde mehr Zuspruch finden.
Die Zahl wohnungsloser Frauen steigt
Auch der Frauenanteil nimmt jedes Jahr zu. Deren Anteil an den Herbergsübernachtungen liegt bei circa 20 Prozent. Die Dunkelziffer der Frauen, die wohnungslos sind, ist jedoch größer. Frauen kommen meist bei männlichen Bekannten unter. Gewaltsame Übergriffe sind in diesen Beziehungen nicht selten. Immer häufiger sind auch alleinerziehende Frauen von Wohnungslosigkeit betroffen. 2014 übernachteten sechs Kinder (in Begleitung eines Elternteils) in der Herberge.
Die Fachberatungsstelle für Wohnungslose wird sich den neuen Gegebenheiten anpassen und mit speziellen Angeboten auf die Zielgruppe der jungen Erwachsenen reagieren müssen. Auch die Gemeinden in den Landkreisen müssen sich darauf einstellen, dass sie Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot nicht mehr ignorieren und als Randthema abtun können. Die herkömmlichen dörflichen Strukturen existieren größtenteils nicht mehr und urbane Problemlagen breiten sich auch auf die ländlichen Gebiete aus.
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