Familienbegleitung bringt mehr Lebensqualität
Die wachsende Anzahl hochaltriger Menschen führt schon heute dazu, dass der Anteil von Menschen mit demenziellen Erkrankungen steigt. Jährlich erkranken circa 250.000 Menschen an Demenz. Auf Basis eines Datensatzes der gesetzlichen Krankenversicherung AOK wird davon ausgegangen, dass im Jahr 2050 zwischen 1,5 und drei Millionen Menschen von einer Demenzerkrankung betroffen sein werden.1 Die Betreuung und Pflege eines Menschen mit Demenz ist für pflegende Angehörige, besonders in mittleren und späten Stadien der Krankheit, eine große Herausforderung, die mit einem erhöhten eigenen Belastungserleben einhergeht. Dies zeigt sich unter anderem in geringerem Wohlbefinden, stärkerer Depressivität2, aber auch in häufigeren Schmerzempfindungen und regelmäßigeren Arztbesuchen.3 Diesen gesundheitlichen Einschränkungen pflegender Familien, aber auch deren psychischer Belastung soll mit dem Projekt "FABEL - Familienbegleitung bei Demenz im ländlichen Raum" begegnet werden. Der ländliche Raum wurde vor allem deshalb gewählt, weil hier die Versorgung zusätzlich durch die erschwerte Erreichbarkeit und die verringerte Dichte von unterstützenden Angeboten beeinträchtigt wird. Darüber hinaus können die mit der Krankheit einhergehenden Stigmatisierungen, die auf dem Land wegen der größeren sozialen Kontrolle oft stärker ausgeprägt sind, zu einer geringeren Nutzung und Akzeptanz von Entlastungsangeboten führen.4
Der Ansatz der Familienbegleitung wird in einem Projektverbund von der Katholischen Hochschule Freiburg, dem Caritasverband für den Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald und dem Zentrum für Geriatrie und Gerontologie des Universitätsklinikums Freiburg (ZGGF) entwickelt, beforscht und in die Praxis implementiert. Gefördert und finanziert wird das Bundesmodellprojekt im Rahmen der "Zukunftswerkstatt Demenz" vom Bundesgesundheitsministerium.
Das Projekt schließt inhaltlich an das fünfjährige Bundesmodellprojekt "Pflegebegleiter" an und entwickelt dieses weiter. Der "Pflegebegleiter" wurde in den Jahren 2003 bis 2008 aus Mitteln des Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung an über 100 Modellstandorten umgesetzt.5 Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt von der Katholischen Hochschule Freiburg. Einer der dabei gewonnenen Praxispartner, der seitdem den Ansatz der Pflegebegleitung kontinuierlich in seinen regionalen Strukturen verankert hat, ist der Caritasverband Breisgau-Hochschwarzwald.
Spezielle Hilfe bei demenzkranken Angehörigen
Wie auch schon beim zugehenden Ansatz der Pflegebegleitung sind bei der Familienbegleitung tragende konzeptionelle Säulen Empowerment, Vernetzung und Kompetenzentwicklung. Die Familienbegleitung entwickelte sich aus der Erfahrung heraus, dass Pflegebegleiter(innen) in ihrer Tätigkeit dort an deutliche Grenzen stoßen, wo zusätzliche Faktoren wie ländlicher Raum und fortschreitende Demenz die Begleitung erschweren und belasten. Vor diesem Hintergrund wurde im Projekt FABEL eine zusätzliche Qualifikation für schon ausgebildete Pflegebegleiter(innen) entwickelt. Diese Weiterbildung nimmt die Versorgungssituation von im ländlichen Raum lebenden pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz besonders in den Blick: Sie bildet die Basis für eine kontrollierte und randomisierte Studie in Kooperation mit dem Zentrum für Gerontologie und Geriatrie der Universitätsklinik Freiburg. Die Studie untersucht die Wirkungen der Familienbegleitung unter anderem im Hinblick auf Lebensqualität und Belastung pflegender Angehöriger und vergleicht sie mit denen der Pflegebegleitung.
Die Weiterbildung sieht die Themen "Demenz" und "systemisch-lösungsorientiertes Denken" in einem Umfang von insgesamt 64 Unterrichtseinheiten vor. Die einzelnen Schulungseinheiten zum Modul "Demenz" umfassen die Themen "Krankheitsbild", "Selbsterleben der Demenz", "Perspektive der pflegenden Angehörigen", "Wertschätzender Umgang mit Menschen mit Demenz" und "Umgang mit herausforderndem Verhalten". Im Modul systemisches Problemlösen stehen die Themen "Gesprächsführung", "Systemisches Denken", "Pflege in Familiensystemen", "Lösungsorientierung" und "Gewalt in der Pflege" im Vordergrund. Zudem wird auf besondere Gesprächssituationen vertieft eingegangen, beispielsweise auf das Erstgespräch, den Ausstieg aus der Begleitung oder Gespräche mit mehreren Beteiligten des pflegenden Familiensystems. Ergänzend zur Praxis der Begleitungen wird eine monatliche Fallsupervision angeboten. Daneben sind die Familienbegleiter(innen) weiter in die regelmäßigen Treffen der lokalen Pflegebegleiter-Initiativen eingebunden.
Zum Ende des Modellprojekts, im März 2015, werden insgesamt 27 Familienbegleiter(innen) ausgebildet sein - eine letzte Qualifizierung läuft noch bis Ende des Jahres 2014. Die?Weiterbildung stößt vor allem bei den Pflegebegleiter(inne)n auf Resonanz, die persönliche Erfahrungen mit der Pflege eines Menschen mit Demenz haben. Dies trifft auf 68 Prozent der Begleitenden zu. Sie sind durchschnittlich 59,8 Jahre alt und mehrheitlich weiblich (81 Prozent). Zur Kursteilnahme besonders motiviert hat sie der eigene Wunsch nach Weiterentwicklung, Interesse am Krankheitsbild Demenz und - im Fall persönlicher Erfahrungen mit Demenz im eigenen Umfeld - das selbst erlebte Bedürfnis nach mehr und zusätzlicher Unterstützung in der Pflegesituation. Die Weiterbildung wird in den Dimensionen Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität kontinuierlich evaluiert und weiterentwickelt und von den Teilnehmenden sehr positiv bewertet.
So vielfältig wie die Situationen in den pflegenden Familien sind auch die praktischen Tätigkeiten der Familienbegleiter(innen). Dabei kommt es zunächst darauf an, gemeinsam mit der Hauptpflegeperson in einem ersten Gespräch einen Auftrag für den Begleitungszeitraum zu entwickeln. In einem großen Teil der Begleitungen steht die individuelle Zeit im Vordergrund, die für die Angehörigen zur Verfügung steht. Es geht vor allem darum, da zu sein und zuzuhören. Wichtig ist auch, dass die Freiwilligen den pflegenden Angehörigen Brücken ins professionelle Hilfsnetzwerk bauen oder sie in der Organisation der Pflege unterstützen. Die Begleitenden stellen sich dabei auf die Veränderungsgeschwindigkeit der Angehörigen ein und entwickeln mit ihnen gemeinsam Lösungsstrategien, ohne ihnen eigene Lösungskonzepte aufzudrängen. Gerade dieser letzte Punkt stellt eine besondere Anforderung dar, die in der ergänzenden Fallsupervision, die von den Freiwilligen als wertvolle Unterstützung empfunden wird, häufig thematisiert wird.
Familienbegleitung wirkt sich positiv aus
Der Kontakt zu den pflegenden Angehörigen wird über Medienarbeit, aber auch über Netzwerkpartner wie Betreuungsgruppen, Sozialstationen oder Beratungsstellen sowie über die Demenzdiagnostik am ZGGF angebahnt. Im Projektzeitraum konnten bisher insgesamt 73 Angehörige in die Studie eingebunden werden. Die Angehörigen geben dabei überwiegend positive Rückmeldungen. Abschließende Auswertungen aus dem kontrollierten und randomisierten Studiendesign werden erst zum Projektende im März 2015 vorliegen. Bisherige Tendenzen lassen jedoch eine positive Wirkung von Familienbegleitung auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität der pflegenden Angehörigen erkennen.
Anmerkungen
1. Doblhammer, Gabriele; Schulz, Anne; Steinberg, Juliane; Ziegler, Uta: Demografie der Demenz. Bern: Hans-Huber-Verlag, 2012.
2. Pinquart, Martin; Sörensen, Silvia: Differences between caregivers and noncaregivers in psychological health and physical health: a meta-analysis. In: Psychology and Aging, Heft 18(2), Jun 2003, S. 250-267.
3. Matter, Christa: Angehörige von Demenzkranken. In: Mahlberg, Richard; Gutzmann, Hans: Demenzerkrankungen: erkennen, behandeln und versorgen. Köln: Deutscher Ärzte Verlag, 2009.
4. Morgan, Debra G.; Semchuck, Karen M.; Stewart, Norma J.; D’Arcy, Carl: Rural families caring for a relative with dementia: barriers to use of formal services. In: Social Science & Medicine Heft 7/2002, S. 1129-1142.
5. Bubolz-Lutz, Elisabeth; Kricheldorff, Cornelia: Abschlussbericht Pflegebegleiter. Schriftenreihe Modellprogramm zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Bd. 6). Berlin: GKV-Spitzenverband, 2011.
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