Betriebe überzeugen, dass Inklusion Chefsache ist
"Der Kunde ist König" prangt in großen Buchstaben über einem Foto mit zwei Mitarbeitenden, die freundlich in die Kamera lächeln. Das Plakat zeigt einen Steckbrief über die Servicekraft Michael Wienands und die Hauswirtschafterin Angelika Wagener, die sich im "Café LebensArt" in Gelsenkirchen um ihre Gäste kümmern. Das Café ist eine von vielen Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Assistenzbedarf, die das Sozialwerk St. Georg im Rahmen seiner Jahreskampagne "Lernen - Arbeiten - Teilhaben" derzeit auf großflächigen Plakaten präsentiert.
"Wir möchten möglichst viele Unternehmerinnen und Unternehmer davon überzeugen, in ihren Betrieben Inklusion zur Chefsache zu machen", betont Wolfgang Meyer, Vorstandssprecher des Sozialwerks St. Georg. "Viele Firmen sind sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, Menschen mit Assistenzbedarf eine Chance zu geben."
Fehlende Kenntnis über staatliche Förderungen
Tatsächlich zeigen die Zahlen der Agentur für Arbeit, dass Menschen mit einem Schwerbehindertenausweis besonders häufig von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Laut Inklusionsbarometer, einer von der Aktion Mensch in Auftrag gegebenen Studie, liegt dies einerseits an einem vorurteilsbehafteten Bild von Behinderung sowie andererseits an fehlender Kenntnis über staatliche Förderungsmöglichkeiten.
Diesen Problemen begegnet das Sozialwerk St. Georg unter anderem durch Informationsveranstaltungen, die es in seinen Unternehmensbereichen Ruhrgebiet, Westfalen-Nord und Westfalen-Süd für lokale Unternehmer anbietet. Darüber hinaus hat das soziale Dienstleistungsunternehmen, das korporatives Mitglied des Caritasverbandes ist, unter der Internetadresse www.lernen-arbeiten-teilhaben.de eine Plattform entwickelt, die verschiedene Beispiele inklusiver Arbeit darstellt. "Hier wird deutlich, wie vielseitig und individuell sich Menschen mit Assistenzbedarf innerhalb und außerhalb des Sozialwerks einbringen", sagt Vorstand Gitta Bernshausen. "Ich denke, dass die dargestellten Möglichkeiten als Vorbilder dienen und Unternehmern Mut machen, sich für das Thema Inklusion zu öffnen und konkret einzusetzen."
Dieses Ziel verfolgt auch der Kurzfilm von Klientinnen und Klienten der Tagesstruktur EigenArt, der zentral auf der Kampagnenseite präsentiert wird. Wer diesen anklickt, wird mitgenommen auf eine Reise in verschiedene Dienstleistungs- und Produktionsbereiche, wo Menschen mit und ohne Assistenzbedarf auf Augenhöhe miteinander arbeiten. Zahlreiche Interviews mit Mitarbeitenden machen deutlich, dass es sich nicht nur für die Belegschaft, sondern auch für die Unternehmer selbst lohnt, auf Vielfalt zu setzen und Inklusion innerhalb des Betriebs zu fördern. "Wir erleben tagtäglich, wie sich Menschen einbringen, ihre Talente nutzen und gute Arbeit leisten", bekräftigt Vorstand Wolfgang Meyer. "Und zwar sowohl auf dem ersten Arbeitsmarkt als auch in den Werk- und Tagesstätten, die im Rahmen von begleiteten Praktika, Außenarbeitsplätzen und -gruppen mit verschiedenen Unternehmen zusammenarbeiten."
Handwerkerservice, kleine Läden und ein Gästehaus
Obwohl es das erklärte Ziel des Sozialwerks ist, möglichst viele Menschen in einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt zu begleiten, zeigt die Realität in den Unternehmen, dass dieser Weg nicht jedem Menschen offensteht. "Um allen Klientinnen und Klienten gerecht zu werden, ist es daher wichtig, dass wir auf verschiedene Bausteine setzen und durchlässige Strukturen bereithalten, damit sich Menschen Schritt für Schritt ausprobieren und weiterentwickeln können", betont Adrian van Eyk, Geschäftsführer der INTZeit-Arbeit gGmbH, eines Integrationsbetriebs des Sozialwerks St. Georg. Zu diesem gehören viele Integrationsprojekte wie zum Beispiel der Handwerkerservice, die kleinen Lebensmittelmärkte "Unsere Läden" im Sauerland, verschiedene Secondhand-Kleiderläden, das Gästehaus "Alte Schule" in Recklinghausen sowie das Bistro "AufSchalke" in Gelsenkirchen. Mehr als 40 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Mitarbeitenden besitzen einen Schwerbehindertenausweis. Einer von ihnen ist Julian Obst, der auch im Kurzfilm der Tagesstruktur vorgestellt wird. Bevor er hier die Chance bekam, auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig zu sein, gehörte er zum Team der Sozialwerk St. Georg Werkstätten gGmbH. "Als Werkstattbeschäftigter kam er zunächst als Mitglied einer Außenarbeitsgruppe ins Bistro", erzählt Adrian van Eyk. "Die Außenarbeitsgruppen und -plätze geben Beschäftigten die Möglichkeit, in Wirtschaftsunternehmen oder in Integrationsprojekten des Sozialwerks mitzuarbeiten." Auf diese Weise könnten sie Unternehmensluft schnuppern und sich bei Ängsten und Problemen weiterhin jederzeit an einen Mitarbeitenden der Werkstatt wenden.
Erfolgsgeschichten, die Mut machen
Julian Obst erkannte schnell, dass dies eine Chance war, zu zeigen, was in ihm steckt. Heute gehört er zum festen Mitarbeiterteam des Bistros - und arbeitet selbstständig in den ihm zugeteilten Schichten. "Dass ich zu unterschiedlichen Zeiten arbeite, ist für mich kein Problem", so Obst. "Im Service muss man eben flexibel sein."
Solche und andere Erfolgsgeschichten machen den Klientinnen und Klienten Mut, sich ebenfalls ein Stück vorzuwagen und abzuchecken, was für sie möglich ist. "Selbst wenn Menschen, die den Mut aufbringen, außerhalb der Werkstatt zu arbeiten, letztendlich keine sozialversicherungspflichtige Anstellung erhalten, so sind die gesammelten Erfahrungen ungeheuer wichtig für ihre persönliche Weiterentwicklung", so Meyer. "Gleichzeitig bekommen wir auch von den Unternehmen die Rückmeldung, dass sie die Zusammenarbeit mit den Klienten und dem Sozialwerk als sehr positiv empfunden haben."
Profis begleiten Klienten und Unternehmen übrigens auch, nachdem Unternehmen ehemalige Werkstattbeschäftigte sozialversicherungspflichtig übernommen haben. Zuvor wurden diese in der Regel im Rahmen einer Übergangsgruppe systematisch auf den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet und anhand von Rollenspielen und praktischen Beispielen in den Bereichen Kundenkontakt, Konfliktbewältigung und Kommunikation geschult. Hierbei arbeiten zum Beispiel die beiden Integrationsassistenten aus der Gelsenkirchener Werkstatt des Sozialwerks mit dem vom LWL finanzierten Integrationsfachdienst (IFD) zusammen. Der IFD, dessen Hauptträger der Caritasverband Gelsenkirchen ist, berät und unterstützt zudem den Arbeitgeber dabei, Fördergelder zu beantragen.
Sowohl für die Unternehmen als auch für die neuen Mitarbeitenden sei dabei wichtig, dass der Weg zurück in die Werkstatt immer offenstehe, so Wolfgang Meyer. Somit sei das Risiko sehr überschaubar und könne nur schwerlich als Argument dafür dienen, sich gegen inklusives Arbeiten im eigenen Betrieb zu entscheiden, denn: "Demgegenüber steht der persönliche und menschliche Gewinn, der sich oft auch in den wirtschaftlichen Zahlen widerspiegelt."
Weitere Informationen zu der Initiative "Lernen - Arbeiten - Teilhaben" unter: www.lernen-arbeiten-teilhaben.de
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