Mehr Inklusion durch Partizipation!
Am Fachforum Inklusion im März 2016 nahmen mehr als 50 Leitungskräfte aus Diözesan-Caritasverbänden, aus Fachverbänden und aus Diensten und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Behindertenhilfe teil. Welche gute Praxis für Partizipation und Inklusion gibt es bereits in den Diensten und Einrichtungen der Caritas? Wie kann Partizipation zu einem "Mehr an Inklusion" beitragen? Wo gibt es Entwicklungsbedarfe?
Eine zentrale Erkenntnis des Forums war: Partizipation ist vor allen Dingen ein eigenständiges Menschenrecht, und sie kann nicht allein auf eine pädagogische Methode reduziert werden. Das Recht auf Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist in der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) verbrieft. Es kann nicht entzogen werden. Diese Punkte machte Claudia Kittel, Leiterin der Monitoringstelle Kinderrechte im Deutschen Institut für Menschenrechte, deutlich. Inklusion definierte sie als "gleichberechtigte Partizipation aller Menschen". Rechtebasierte Partizipation habe mehr Inklusion zur Folge. Kittel gab dem Fachforum drei Empfehlungen für die Umsetzung einer rechtebasierten (inklusiven!) Partizipation mit auf den Weg:
- Bildung über Menschenrechte = Information
Kinder und Jugendlichen sollten ihre Rechte und insbesondere ihr Recht auf Partizipation kennen. Fachkräfte und andere mit den Kindern und Jugendlichen betraute Menschen sollten ebenfalls über die Kinderrechte und das Recht auf Partizipation von Kindern und Jugendlichen Bescheid wissen. Kurz: Die Caritas sollte in ihren Angeboten allen Kindern und Jugendlichen sowie allen Erwachsenen Wissen über ihre Rechte vermitteln. - Bildung durch Menschenrechte = Methoden
Der Umgang mit Kindern und Jugendlichen sollte durch eine Kultur des Miteinanders geprägt sein, die die Rechte sowohl der Kinder als auch der Erwachsenen achtet. Fachkräfte sollten Methoden lernen, die eine solche Kultur des Miteinanders fördern. Kurz: Die Caritas sollte Sorge dafür tragen, dass die Rechte ihrer Fachkräfte innerhalb ihrer jeweiligen Arbeitszusammenhänge geachtet werden und dass diese mit entsprechenden Methoden einer inklusiven Partizipation vertraut gemacht werden. - Bildung für Menschenrechte = ihr Beitrag zur Verwirklichung der Menschenrechte.
Kinder und Jugendliche sollten darin gestärkt werden, ihre Rechte wahrzunehmen und auszuüben sowie die Rechte anderer zu achten. Kurz: Die Caritas kann einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung der Menschenrechte leisten, wenn in ihren Angeboten und Einrichtungen eine (inklusive!) Partizipation verwirklicht wird.
Prof. Dr. Mechthild Wolff von der Hochschule Landshut stellte Forschungsergebnisse vor und beschrieb Rahmenbedingungen für gelingende Partizipation. Sie sprach strukturelle Beteiligungsformen an wie Kinderräte, Kinderparlamente und Kinderbefragungen, die nicht flächendeckend umgesetzt seien. Zu den Rahmenbedingungen für gelingende Partizipation gehöre es, Beteiligung als pädagogisches Entwicklungskonzept zu verankern, und zwar auf der Ebene jedes einzelnen Kindes. Die Befähigung zur Beteiligung ist ein pädagogisches Erziehungs- und Bildungsziel. Eine zentrale Forschungserkenntnis ist, dass das Partizipationsempfinden in Korrelation zum Gelingen einer Maßnahme steht.
Lisi Maier, BDKJ-Bundesvorsitzende, stellte die Sicht des Katholischen Jugendverbandes auf Partizipation und Inklusion dar. Jugendverbände seien "Werkstätten der Demokratie". "Wir verstehen unter Partizipation Mitwirkung mit Wirkung", betonte sie. Jugendverbände ermöglichen jungen Menschen, erste praktische Erfahrungen in einem demokratischen System zu sammeln, und befähigen zugleich ihre Verbandsvertreterinnen und -vertreter im Interesse junger Menschen, die Gesellschaft zu gestalten. Hier können sie alles lernen, was für ein selbstbestimmtes politisches Leben notwendig ist. Und das nicht theoretisch, durch Papiere und Vorträge, sondern quasi durch das tägliche Handeln. Dazu gehören Bereitschaft und Fähigkeit zur Artikulation eigener Interessen, Wege und Möglichkeiten, diese durchzusetzen, ebenso wie der Umgang mit Konflikten. Kinder und Jugendliche lernen in der Gruppe und in der verbandlichen Zusammenarbeit auch, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun, Kompromisse zu finden. Kooperation zählt, und Befehle "von oben" werden kritisch hinterfragt. Partizipation stärkt Kinder und Jugendliche und trägt dazu bei, dass sie sich zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten weiterentwickeln. Der Verband hat Kriterien für gelingende Jugendpartizipation aus Jugendverbandsperspektive entwickelt.
Die Workshops
stellten bereits gelingende Beteiligungsformen in unterschiedlichen Einrichtungen vor:
-
beispielsweise ein Jugendparlament in einem Zentrum für Kinder und Jugendliche mit Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung,
-
ein Kinderrechteprojekt in einer Einrichtung für Kinder mit geistiger Behinderung,
-
Partizipationsformen in einer Kindertagesstätte und
-
in einer Einrichtung der Erziehungshilfe sowie
-
zwei Projekte, die auf die politische Mitsprache und Beteiligung von benachteiligten Jugendlichen abzielen.
Zu den zentralen Erkenntnissen aus den Workshops gehört, dass es wichtig ist, die Mitarbeiter(innen) "mitzunehmen" und "step by step" vorzugehen. Die Haltung der Verantwortlichen erweist sich als entscheidend. Es braucht in diesem Prozess viel Kommunikation, vor allem mit den Eltern, den Kindern und mit den pädagogischen Fachkräften. Es lohnt sich, Vertrauen in Kinder und Jugendliche zu setzen. Als wichtig wird benannt, Verbündete zu haben, die die Grundhaltung der Mitbestimmung unterstützen. Die zugrundeliegende Motivation ist, dass die Kinder und Jugendlichen viel durch Partizipationsprojekte lernen (Kooperation, Beziehung, Demokratieverständnis). Die Impulse für die Persönlichkeitsentwicklung sind nicht zu unterschätzen, denn Selbstwirksamkeit wird so erlebbar. Mit einem World-Café ging das Fachforum der Frage nach, wie Caritas eine Kultur der Partizipation schaffen, Selbstorganisation stärken sowie Impulse für Inklusion setzen kann. Welches Lobbying braucht es hierfür mit Blick auf Familie, Kita, Schule, Freizeit, Sozialraum, Ausbildung und Arbeit, Gesellschaft und Politik?
Tenor der Veranstaltung war, dass es in Deutschland und damit auch in den Diensten und Einrichtungen der Caritas noch viel Entwicklungspotenzial für Bildung "über" Kinder- und Menschenrechte sowie viele ungenutzte Möglichkeiten für die Partizipation aller Kinder gibt (gleich welchen Alters und Entwicklungsstandes, ob schwerstbehindert oder nicht – es können mehr Wahl- und Partizipationsmöglichkeiten erschlossen werden). Die Dienste und Einrichtungen der Caritas könnten in all ihren Bezügen deutlich mehr Information und Wissen über Kinder- und Partizipationsrechte vermitteln und mehr Teilhabe, Teilnahme und Mitbestimmung umsetzen.
Zum Abschluss des Austauschforums stellte Klaus Peter Lohest, Leiter der Abteilung Familie im Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen Rheinland-Pfalz, die Planungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zur inklusiven Lösung im SGB VIII vor. Auch die geplante Gesetzesreform sieht vor, die Partizipation bzw. die Beteiligungs- und Beschwerderechte von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Und nochmals wurde deutlich: Es ist noch nicht alles gesagt zum Thema Partizipation!