Aufbau Ost: Wir schaffen das!?
Wenn es nach den Koalitionsverträgen seit 1990 ginge, so wäre der "Aufbau Ost" spätestens im Jahr 2009 erfolgreich abgeschlossen gewesen. Denn 2009 wurde erstmals seit der Wiedervereinigung ein Koalitionsvertrag - und damit die zentrale Arbeitsgrundlage einer Bundesregierung - ohne einen eigenständigen Gliederungspunkt zum Aufbau Ost geschlossen. Und so hält es auch der Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung aus CDU/CSU und SPD.
Natürlich wissen die Verantwortlichen, dass der Prozess der Angleichung der Lebensverhältnisse nicht abgeschlossen ist. Auch die Menschen im "Osten" wissen das. Löhne, Renten, private Investitionen und weitere Parameter werden noch viele Jahre die "neuen" und die "alten" Bundesländer unterscheiden. Doch nicht nur dies. Die Parteienbindung ist im Osten seit der Wende labiler, und sie sinkt schneller als im Westen. Der Rückzug in Region und Nation schreitet voran, die Ängste vor Globalisierung und internationaler Vernetzung wachsen schneller. Aktuell zeigt sich zudem eine mentale Verbundenheit mit den politischen Entwicklungen der osteuropäischen Nachbarn, die mit den Menschen in den neuen Bundesländern die Erfahrung mit einem totalitären Regime teilen. Kluge Politologen sagten früh voraus, dass zumindest in diesen Punkten der Osten "innovativer" sein wird als der Westen, und meinten das gar nicht zynisch.
Folgenreich ist auch, dass die politischen und wirtschaftlichen Eliten aus den alten Bundesländern überwiegend die Richtung prägen. Daran ändert auch eine seit nun 13 Jahren regierende Kanzlerin aus der Uckermark nichts. Und auch der schon eher zynische Erklärungsansatz, der Osten sei nun eine von vielen strukturschwachen Regionen, beruhigt die Seelen nicht. Es sind diese politischen und strukturellen Merkmale, die immer noch den Eindruck nähren, dass der Osten nur "zweite Reihe" ist.
Der Boden wird wackliger für die Demokratie
Damit erklären sich zumindest teilweise die Wut- und Frust-Entladungen auf öffentlichen Plätzen und bei den vergangenen Wahlen, die im Osten deutlich stärker sind als im Westen. Für die Stabilität der Demokratie wächst damit die Gefahr, dass durch die Erosion grundlegender Werte wie Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Religionsfreiheit der Boden wackliger wird. Für Politik und Zivilgesellschaft, Wohlfahrtsverbände eingeschlossen, müssen spätestens hier die Alarmglocken läuten. Gegenüber Ausgrenzung, Nationalismus oder anderen rechten Stammtischparolen kann das Bekenntnis zu grundlegenden Werten auch mal wieder laut und plakativ ausfallen. Im Westen wie im Osten - gleichermaßen.