Die Pflegeberufereform: Generalistik mit Ausnahmen
Die seit langem notwendige Reform der Pflegeausbildung wird verschiedenen Anforderungen gerecht.1 Sie antwortet auf den veränderten Pflegebedarf in der Gesamtbevölkerung. Infolge des soziodemografischen Strukturwandels stellt sich dieser Bedarf als zunehmend komplex und vielfältig dar. Diesen Veränderungen mit ihren unterschiedlichen Lebensformen und insgesamt abnehmenden familialen Pflegepotenzialen in verschiedenen Versorgungssettings ist zu entsprechen (siehe dazu auch neue caritas Heft 20/2017, S. 28 f.).
Weiter schließt die Pflegeausbildung an die europäischen Entwicklungen und beruferechtlichen Normen an. Sie stellt die europäische Anerkennung der deutschen Pflegeausbildung sicher, die für die spezialisierten Ausbildungen in der Altenpflege sowie in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege bislang nicht beziehungsweise nicht automatisch gegeben ist.
Mit der Reform wird auf die Veränderungen im beruflichen Selbstverständnis und die wissenschaftlichen Entwicklungen, insbesondere in der Pflegewissenschaft, reagiert. Die Ausbildung entspricht den Anforderungen an eine (pflege-)wissenschaftlich fundierte und ethisch reflektierte Pflegepraxis.
Indem ihre Basis und das Kompetenzspektrum erweitert wurden, entspricht die Ausbildung den Standards in der Berufsbildung und unterstützt Mobilität und Flexibilität in der weiteren beruflichen Entwicklung.
Die Erfahrungen, Evaluationsergebnisse und Empfehlungen aus zahlreichen Modellversuchen werden aufgegriffen, mit denen in den letzten 20 Jahren die Ausbildungsreform vorbereitet und gestützt wurde.
Innovationen der Reform
Wenngleich mit dem Stichwort "Generalistik" ein zentrales Reformanliegen gekennzeichnet wird, sind mit dem Pflegeberufegesetz (PflBG)2 als Artikel 1 des Pflegeberufereformgesetzes weitere wichtige Reformen verbunden. Die Innovationen des neuen Gesetzes lassen sich wie folgt umreißen:3
- Durch die Ausrichtung auf die Pflege von Menschen über die gesamte Lebensspanne entsteht ein neues, einheitliches und attraktives Berufsbild, das sich in der neuen Berufsbezeichnung "Pflegefachfrau" oder "Pflegefachmann" widerspiegelt. Das Pflegeberufegesetz löst ab dem 1. Januar 2020 die bisherigen spezialisierten und auf einzelne Lebensphasen fokussierten Ausbildungen ab.
- Künftig werden zwei Wege zum Ziel führen: Neben die berufliche Ausbildung an Pflegeschulen tritt regulär die Möglichkeit eines primärqualifizierenden Pflegestudiums an Hochschulen. Dies trägt den Anforderungen an die zunehmend komplexeren Pflegesituationen Rechnung und fördert die Attraktivität des Pflegeberufs.
- Der besonderen Verantwortung der beruflich Pflegenden entspricht die erstmalige Regelung vorbehaltener Tätigkeiten. War bislang lediglich die Berufsbezeichnung geschützt, so ist jetzt ein großer Anteil des Verantwortungs- und Aufgabenbereichs unter einen besonderen Schutz gestellt. Nach § 4 PflBG sind "die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs?…", "die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses?…" sowie "die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege?…" künftig Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern vorbehalten.
- Die Ausbildung zur "Pflegefachfrau" oder zum "Pflegefachmann" entspricht der europäischen Berufsanerkennungsrichtlinie und stellt eine automatische Anerkennung des Abschlusses im Bereich der sektoral reglementierten Berufe sicher. Sie greift die dort für die "Nurse responsible for general care" vorgeschriebenen Kompetenzen auf und setzt diese in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung um, die derzeit als Referentenentwurf vorliegt.4
- Die Ausbildung ermöglicht eine Erweiterung des individuellen Kompetenzprofils um heilkundliche Aufgaben, beispielsweise in der Versorgung chronischer Wunden oder der Hypertonieschulung. Diese Kompetenzen werden nach einem gesonderten Curriculum vermittelt, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und vom Bundesgesundheitsministerium gemeinsam zu genehmigen ist (siehe § 14 PflBG).
Generalistik mit Kompromissen
Nach einer langen und kontroversen politischen Diskussion wurde kurz vor der Verabschiedung des Pflegeberufereformgesetzes ein Alternativvorschlag - auch als Kompromiss bezeichnet - durchgesetzt. Dieser sieht als Regelfall für alle Auszubildenden die generalistische Ausbildung über drei Ausbildungsjahre vor. Unter bestimmten Voraussetzungen können sich die Auszubildenden jedoch im Anschluss an die ersten beiden generalistisch ausgerichteten Ausbildungsjahre für ein drittes spezialisiertes Ausbildungsjahr in der Pflege von älteren Menschen oder von Kindern und Jugendlichen entscheiden. Es handelt sich um ein einseitiges Wahlrecht, das nur von den Auszubildenden wahrgenommen werden kann und das im Ausbildungsvertrag entsprechend vereinbart werden muss. In diesem Falle werden die bekannten Berufsbezeichnungen "Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin" oder "Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger" beziehungsweise "Altenpflegerin" oder "Altenpfleger" vergeben (siehe §§ 58-62 PflBG). Das primärqualifizierende Pflegestudium sieht ausschließlich die generalistische Ausrichtung vor.
Eine Zwischenprüfung schließt künftig die ersten beiden Ausbildungsjahre ab. Sie ermöglicht den einzelnen Bundesländern eine Anerkennung auf landesspezifische Helfer- oder Assistentenausbildungen für die Fälle, in denen die Ausbildung nach der Zwischenprüfung nicht fortgeführt wird. Das Ergebnis der Zwischenprüfung hat für die Fortsetzung der dreijährigen Ausbildung keine Relevanz, weil über den Zugang zum Beruf ausschließlich das Staatsexamen am Ende der Ausbildung entscheidet (siehe § 6 Abs. 5 PflBG).
Pflege- und Bildungsperspektiven der Ausbildung
Das Ausbildungsziel nach § 5 PflBG und der Entwurf der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung lassen eine systemische Betrachtung des Berufsfeldes und zudem das Kompetenzkonzept als Bildungsperspektive erkennen. Im Mittelpunkt des pflegerischen Verantwortungs- und Aufgabenbereichs steht, komplexe Pflegeprozesse für "Menschen aller Altersstufen in akut und dauerhaft stationären sowie ambulanten Pflegesituationen" (§ 5 PflBG) zu steuern und zu gestalten. Die Pflegeprozessverantwortung kennzeichnet den selbstständigen Bereich von Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern. Diese unmittelbar auf die pflegerische Interaktion in Pflegesituationen ausgerichteten klientenbezogenen Aufgaben werden in verschiedene kontextuelle Bezüge eingebettet. So werden teambezogene Aufgaben ebenso in den Blick genommen wie institutions- beziehungsweise einrichtungsbezogene und gesellschaftliche Aufgaben.5
Im Entwurf der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung wird die generalistische Pflegeausbildung einschließlich der Wahlmöglichkeiten vor allem in den verschiedenen Anlagen konkretisiert. Die Kompetenzen für die ersten beiden generalistischen Ausbildungsjahre, die mit einer Zwischenprüfung abgeschlossen werden, werden in Anlage 1 geregelt. Die Vorgaben für die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten des dritten Ausbildungsjahres finden sich in den Anlagen 2 bis 4, die für das primärqualifizierende Pflegestudium in der Anlage 5. Schließlich werden die Stundenvorgaben für den theoretischen und praktischen Unterricht der beruflichen Pflegeausbildung in Anlage 6 und die Einsatzgebiete und -zeiten für die praktische Ausbildung in Anlage 7 geregelt.
Die Anlagen 1 sowie 2 bis 4 sind jeweils nach den gleichen Kompetenzbereichen gegliedert. Sie spiegeln die skizzierten systemischen Perspektiven wider. Der Kompetenzbereich I "Pflegeprozesse und Pflegediagnostik in akuten und dauerhaften Pflegesituationen verantwortlich planen, organisieren, gestalten, durchführen, steuern und evaluieren" sowie der Kompetenzbereich II "Kommunikation und Beratung personen- und situationsorientiert gestalten" sind unmittelbar auf die zu pflegenden Menschen und ihre Angehörigen ausgerichtet. Sie umfassen die vorbehaltenen Tätigkeiten und nehmen mit 1280 von 2100 Stunden den größten Raum ein.
Die Kompetenzbereiche III, IV und V sind auf "intra- und interprofessionelles Handeln?…", auf das "Handeln auf der Grundlage von Gesetzen, Verordnungen und ethischen Leitlinien?…" sowie auf die wissenschaftliche Fundierung und ethische Reflexion des Handelns ausgerichtet. Sie nehmen entsprechend die teambezogenen Aufgaben sowie die institutionellen und gesellschaftlichen Aufgaben in den Blick. Alle Kompetenzbereiche werden in einzelne Kompetenzen und Teilkompetenzen ausdifferenziert. Sie erstrecken sich jeweils über die drei Ausbildungsjahre. Für das generalistische dritte Ausbildungsjahr nehmen sie weiterhin die Perspektive auf die gesamte Lebensspanne ein; für das spezialisierte dritte Ausbildungsjahr fokussieren sie die besonderen Pflegebedarfe von älteren Menschen beziehungsweise von Kindern und Jugendlichen.
Für die praktische Ausbildung ist zu Beginn der ersten beiden Ausbildungsjahre ein Orientierungseinsatz von 400 Stunden beim Träger der praktischen Ausbildung vorgesehen, gefolgt von jeweils 400 Stunden umfassenden Einsätzen in der stationären Akut- und Langzeitpflege, in der ambulanten Akut-/Langzeitpflege sowie einem Pflichteinsatz von 120 Stunden in der pädiatrischen Versorgung. Im letzten Ausbildungsjahr erfolgen ein Einsatz in der psychiatrischen Versorgung von 120 Stunden, ein Vertiefungseinsatz von 500 Stunden im Bereich eines Pflichteinsatzes sowie ein kürzerer Einsatz von 80 Stunden. Weitere 80 Stunden verbleiben zur freien Verfügung.
Anmerkungen
1. Hundenborn, G.: Für die allgemeine Pflege verantwortlich sein. Hintergründe, Entwicklungen und Perspektiven einer generalistischen Pflegeausbildung. In: Rechtsdepesche, November/Dezember 2015, S. 272-279.
2. Gesetz zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz - PflBRefG) vom 17. Juli 2017.
3. Hundenborn, G.; Knigge-Demal, B.: Die Pflegeberufereform - Der Teufel steckt im Detail. Vortrag beim "Jura Health Congress" am 18. Mai 2017 in Köln.
4. Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe (Pflegeberufe-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung - PflAPrV); Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 22. März 2018.
5. Hundenborn, G.; Knigge-Demal, B.: Auf den Inhalt kommt es an! Perspektiven und Schwerpunkte in den Entwürfen des Pflegeberufereformgesetzes und der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. In: RDG 13 (3/2016), S. 142-145.
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