Die Vision einer Altenhilfe, die sich am Unterstützungsbedarf ausrichtet
Zehn ältere Menschen, Frauen und Männer, sitzen im Kreis. "Ich habe 30 Jahre lang in einem Verlag gearbeitet. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde ich arbeitslos", beginnt die Erste. "Ich war ledig, wurde schwanger und musste dann einen religiösen Führer als Zweitfrau heiraten. Mein Sohn ist inzwischen verheiratet. Er hatte ein Kind, das mit schwerer Behinderung geboren wurde und mit sechs Jahren starb", berichtet die zweite Frau, Initiatorin dieser Seniorengruppe und Leiterin der Caritas-Partnerorganisation Durakhshon. Andere erzählen, dass ihre inzwischen erwachsenen Kinder zum Arbeiten nach Russland ausgewandert sind und sie allein zurückblieben. Was die älteren Menschen hier verbindet, ist, dass sie alle ein vergleichsweise hohes Bildungsniveau haben, berufstätig waren und heute alleinstehend sind. Finanziell kommen sie mit ihren mageren Renten gerade so über die Runden.
Zusammengefunden hat diese Seniorengruppe in den vergangenen zwei Jahren unter Leitung der Caritas-Partnerorganisation Durakhshon in Vahdat, einer Stadt mit 48.000 Einwohner:innen etwa 30 Kilometer östlich der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe. Mitarbeitende der lokalen Hilfsorganisation Durakhshon waren im Auftrag der tadschikischen Regierung und in Zusammenarbeit mit den lokalen Sozialbehörden und Caritas international von Haus zu Haus gegangen. Ihr Ziel war es, herauszufinden, wie viele ältere, alleinstehende Menschen in der Stadt leben, und diese zu Begegnung und Austausch einzuladen. Ihre Vermutung war, dass die Zahl älterer, alleinstehender Menschen vor Ort steigt und damit auch ihr Bedarf an Unterstützung.
Die Betreuung älterer Menschen wird zur Herausforderung
Die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in Tadschikistan ist in den vergangenen zwanzig Jahren auf 74 Jahre (für Frauen) gestiegen. Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner sowie der Hochbetagten nimmt zu und liegt inzwischen bei knapp zwei Millionen. Aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage und hoher Arbeitslosigkeit wandern junge Menschen auf der Suche nach Arbeit aus: Allein im Jahr 2021 wurden mehr als zwei Millionen Auswandernde aus Tadschikistan in Russland registriert. Bei einer Gesamtbevölkerung von knapp zehn Millionen Menschen entspricht das 20 Prozent. Die Betreuung und Versorgung älterer Menschen stellen somit für das kleine zentralasiatische Land eine immer größere Herausforderung dar.
Die hohe Arbeitsmigration junger Menschen führt dazu, dass die traditionellen Familienstrukturen der überwiegend muslimischen Bevölkerung zerbrechen. In den staatlichen Alten- und Pflegeheimen sind viele der Bewohnerinnen und Bewohner Migranten, überwiegend mit russischen Wurzeln.
Die Durchschnittsrente liegt bei 56 Euro im Monat. Nach ihrem Eintritt ins Rentenalter können sich viele alleinstehende ältere Menschen die Miete für ihre Wohnungen nicht mehr leisten. Wenn sie sich deshalb an die Sozialbehörden wenden, werden sie in eines der wenigen Alten- und Pflegeheime im Land verwiesen. Alten- und Pflegeheime in Tadschikistan sind praktisch geschlossene Einrichtungen. Sie bieten älteren Menschen Unterkunft, Verpflegung und bei Bedarf (minimale) medizinische Pflege. In der Hauptstadt Duschanbe mit ihren etwa 900.000 Einwohner:innen gibt es auch vier staatliche Sozialzentren, die mobile Pflegedienste anbieten. Ihre Kapazitäten in der Hauskrankenpflege sind mit aktuell etwa 200 Klient:innen jedoch äußerst begrenzt.
Die Furcht, in ein staatliches Altenheim umziehen, ihre Selbstständigkeit und Bewegungsfreiheit aufgeben zu müssen, treibt den Club der Seniorinnen und Senioren in Vahdat um. Sie haben deshalb das Angebot der Caritas-Partnerorganisation Durakhshon gerne angenommen und unter ihrer Leitung eine Selbsthilfe-Initiative gegründet. Sie treffen sich regelmäßig zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten, organisieren Vorträge von Fachleuten zu Gesundheitsfragen, und vor allem unterstützen sie sich gegenseitig.
Die staatlichen Angebote sind Relikte aus Sowjetzeiten
"Die staatlichen Angebote und Strukturen für ältere und unterstützungsbedürftige Menschen stammen noch aus Sowjetzeiten und richten sich nicht nach ihrem tatsächlichen Bedarf", erklärt Parvina Tadjibaeva. Sie ist Leiterin des Länderbüros von Caritas international, dem Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes, in Tadschikistan. In Zusammenarbeit mit dem tadschikischen Ministerium für Gesundheit und Soziales und finanziert mit Geldern der Deutschen Bundesregierung planen Parvina Tadjibaeva und ihr Team den Aufbau von modellhaften Angeboten für unterstützungsbedürftige ältere Menschen, die ihren tatsächlichen Bedürfnissen entsprechen und an die lokalen Gegebenheiten und Möglichkeiten angepasst sind.
Der Austausch mit deutschen Fachkräften ist wichtig
Eine Herkulesaufgabe! Parvina Tadjibaeva und ihr Team wünschen sich daher den Austausch mit Fachkräften aus Deutschland. Den einwöchigen Besuch einer Gruppe von 16 Mitarbeitenden aus deutschen Caritasverbänden und Einrichtungen, organisiert von Caritas international und der Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbandes, nutzten sie dankbar für einen ersten Austausch: Die Gruppe aus Deutschland lernte so den Seniorenclub in Vahdat kennen, besuchte das staatliche Alten- und Pflegeheim Batosh in der Stadt Tursunzade und begleitete Sozialarbeiter:innen staatlicher Sozialzentren in Vahdat und Duschanbe bei Hausbesuchen bei älteren, unterstützungsbedürftigen Menschen.
Im Altenheim Batosh erlebten die Teilnehmenden aus Deutschland eine buntgewürfelte Wohn- und Lebensgemeinschaft von rund 210 Frauen und Männern im Alter zwischen Anfang 30 und mehr als 90 Jahren. Die einen wären noch arbeitsfähig, andere haben körperliche oder psychische Einschränkungen oder sind bettlägerig und pflegebedürftig. Aber die wenigsten der Bewohnerinnen und Bewohner würde man mit ihrem Unterstützungsbedarf auch in einem deutschen Alten- und Pflegeheim antreffen. Einige von ihnen erklärten dann auch, dass sie viel lieber noch selbstständig wohnen würden, aber ihre Rente nicht für die Miete reichte und ihre Kinder im Ausland lebten. Der Direktor des Altenheims leitet gleichzeitig einen landwirtschaftlichen Betrieb mit mehr als fünf Hektar Land. Denn das Heim soll sich weitgehend selbst versorgen. Da die Mittel knapp sind, müssen die Mitarbeitenden an Wochenenden bei der Ernte, beim Einkochen von Gemüse und Obst helfen. Als die Gruppe das Altenheim verlässt, schließt sich hinter ihr ein großes Tor und lässt die Besucher mit beklommenem Gefühl zurück.
Ein Netzwerk ist geplant
Eine Altenhilfe, die sich an den tatsächlichen Bedürfnissen älterer Menschen ausrichtet, ist die große Vision von Parvina Tadjibaeva und von Ashurov Subhon, der das Altenhilfe-Projekt des Caritas-Länderbüros in Tadschikistan leitet, sowie ihrem Team. Sie planen, ein Netzwerk aufzubauen, das älteren Menschen möglichst lange ein weitgehend selbstständiges Wohnen und Leben ermöglicht. Dazu gehören Selbsthilfe-Initiativen wie Seniorenclubs, Nachbarschaftshilfen, betreute Wohngruppen, häusliche Krankenpflege, aber auch Unterstützungsangebote für Demenzkranke und pflegende Angehörige. Erfahrungsaustausch mit deutschen Kolleginnen und Kollegen wünschen sie sich zu so unterschiedlichen Fragen wie: Welche Berufsbilder und Ausbildungswege braucht es; wie sehen deutsche Curricula in diesem Bereich aus; wo sind die Grenzen zwischen sozialer und medizinischer Betreuung und Pflege; oder: Welche Unterstützung benötigen pflegende Angehörige von Demenzkranken? Dieser Erfahrungsaustausch könnte beispielsweise in Form von Online-Meetings zu gemeinsamen Fragestellungen, von Hospitanzen und Praktika bis hin zu kurzzeitigen Beratungseinsätzen stattfinden. Und die Erfahrung zeigt: Der Austausch über die Grenzen hinweg ermöglicht beiderseitiges Lernen und ist für alle Beteiligten immer wieder eine bereichernde und motivierende Erfahrung.
Austausch erwünscht
Wir suchen, wir bieten!
Können Sie sich für sich und Ihre Organisation eine Partnerschaft für Erfahrungsaustausch und Know-how-Transfer im Bereich Altenhilfe in Projektländern von Caritas international vorstellen - beispielsweise in Form von Online-Meetings zu gemeinsamen Fragestellungen, von Hospitanzen und Praktika bis hin zu kurzzeitigen Beratungseinsätzen? Dann freuen wir uns auf Ihre Kontaktaufnahme!
Für Bereichsleitungen und Teamleitungen aus Caritasverbänden, Einrichtungen und Diensten bieten Caritas international und die Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbandes einmal im Jahr einen einwöchigen Erfahrungsaustausch mit Kolleginnen und Kollegen in internationalen Hilfsprojekten an. Die Reise 2023 führte 16 Caritas-Mitarbeitende aus ganz Deutschland nach Tadschikistan und Usbekistan. Sie besuchten vor Ort Projekte der Kinder- und Jugendhilfe, der Alten- und Behindertenhilfe.
» Interessiert? Kontakt: Christine Decker, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei Caritas international, Tel. 07 61/2 00-6 20, E-Mail: christine.decker@caritas.de
Spielräume bei Einnahmen nutzen
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