Sie wollen das Präsidentenamt
Christian Hermes (51) ist Dompfarrer und Stadtdekan von Stuttgart. Zudem ist der promovierte Theologe Vorsitzender des Caritasrates des Caritasverbandes für Stuttgart.
Welche Erfahrungen aus der Caritasarbeit bringen Sie mit?
Hermes: Seit über zehn Jahren bin ich im Diözesan-Caritasverband Rottenburg-Stuttgart, im Caritasverband Stuttgart und in der Caritas Stiftung Stuttgart engagiert. Als Stadtdekanat haben wir selbst jede Menge Kitas und Familienzentren, eine große Sozialstation und ein Hospiz. An alldem bin ich ziemlich nah dran. Mit einem Fuß in der verbandlichen Caritas und mit einem in der "verfassten Kirche" ist mir auch die Gemeindecaritas wichtig: dass Gemeinden ihre soziale Verantwortung nicht wegdelegieren, sondern in Zusammenarbeit mit den Profis wahrnehmen. Nicht zuletzt hat es für mich auch immer dazugehört, aus diesen Rollen heraus der Politik freundlich, aber unerschrocken auf die Füße zu stehen, wenn soziale Belange zu kurz kommen.
Wie müssen die Kirche und ihre Caritas die nächsten Jahre ihr Verhältnis
ausbuchstabieren?
Hermes: Kirche ohne Caritas wäre nicht die Kirche Jesu. Die verfasste Kirche, gerade in den aktuellen Skandalen, Krisen und Reformdiskussionen, kann von ihrer Caritas einiges abschauen. Dass man nämlich glaubwürdig ist, wo man nah bei den Menschen und ihren Nöten steht, wo man relevant für das Leben und gut zum Leben ist. Wo das Flammenkreuz leuchtet, sind wir - ganz im Sinn von Papst Franziskus - am Puls des Evangeliums. Deshalb gilt umgekehrt auch: Caritas ist Kirche, und bei aller Fachlichkeit gehört das sinnstiftende Narrativ des Evangeliums zu unserer Identität. Ich will als Theologe mit einiger Kirchenerfahrung mithelfen, dass die Caritas in und von der Kirche profiliert wahrgenommen wird.
"Ich will helfen, dass die Caritas in und von der Kirche profiliert wahrgenommen wird."
Was sind für Sie dringliche Themen, die der Verband angehen muss?
Hermes: Für mich ist das Erste, gut hinzusehen und hinzuhören. Klar ist aber: Wir sind nicht für uns selber da, sondern für die Menschen. Die sozialen Nöte und Bedarfe setzen die Agenda, ob Migration oder die Pandemie, strukturelle Ungerechtigkeiten oder die Zukunft des Sozialstaats. Dabei wird Veränderung der Normalfall und Verbandsentwicklung Dauerthema sein. Themen wie die Aktualisierung der Grundordnung, Arbeits- und Tarifrecht, Fachkräftegewinnung, Digitalisierung und Ökonomie der Caritas liegen auf der Hand. Im Projekt "Verbandlich handeln" ist schon viel erarbeitet worden, wie das Zusammenwirken in der Caritas weiterentwickelt werden kann. Mir ist wichtig, ernst zu nehmen, was "Verband" meint: keinen Konzern, keine Hierarchie, sondern eine organisierte Verbindung starker, profilierter und diverser Institutionen, die eigenverantwortlich ihre je eigenen und gemeinsame Zwecke verfolgen. Der Deutsche Caritasverband: Das sind wir ja alle, und wir sollten möglichst gut koordiniert, vernetzt, synergetisch, profiliert und wirtschaftlich zusammenwirken.
Markus Matthias Leineweber (53) ist Hausoberer und Vorsitzender des Direktoriums des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder Trier (BBT). Des Weiteren ist der Diplom-Theologe Vorstandsvorsitzender des Caritasverbandes Trier. Er ist verheiratet und hat keine Kinder.
Welche Erfahrungen aus der Caritasarbeit bringen Sie mit?
Leineweber: Als Vorsitzender des Orts-Caritasverbandes Trier, als Mitglied des Diözesan-Caritasrates und als Delegierter für den DCV sind mir sowohl die überörtlichen Verbandsstrukturen als auch die alltägliche Arbeit in einem Caritasverband vor Ort mit all seinen verschiedenen Diensten vertraut. Hinzu kommt die Erfahrung aus meiner langjährigen Leitungstätigkeit in Krankenhaus und Seniorenzentren der BBT-Gruppe. Als Hausoberer und damit Vorsitzender des Direktoriums eines Krankenhauses mit rund 2700 Mitarbeitenden weiß ich um die Herausforderungen eines "Sozialunternehmens". So habe ich in den Jahren das breite Spektrum caritativen Arbeitens umfassend kennenlernen und in Leitungsfunktion mitgestalten können.
Wie müssen die Kirche und ihre Caritas die nächsten Jahre ihr Verhältnis
ausbuchstabieren?
Leinenweber: Die verschiedenen synodalen Prozesse und Ansätze in der Kirche haben das diakonische Element als Wesenszug von Kirche besonders herausgestellt. Caritas ist Teil der Kirche - Kirche ohne Caritas geht nicht. Verkündigung, die Feier unseres christlichen Glaubens und der caritative Dienst bilden einen Dreiklang, der nur dann einen guten Gesamtklang ergibt, wenn seine Töne optimal aufeinander abgestimmt sind. Und kein Ton darf fehlen. Caritas bedeutet für die Kirche gerade heute eine große Chance, da gerade im Dienst am Nächsten Kirche positiv und authentisch wahrgenommen werden kann. Diese Chance sollten wir nutzen. Ich plädiere für eine aktive Mitgestaltung in den synodalen Prozessen - auf allen Verbandsebenen.
"Ich plädiere für eine aktive Mitgestaltung in den synodalen Prozessen"
Was sind für Sie dringliche Themen, die der Verband angehen muss?
Leineweber: Aus meinen Erfahrungen und aus den vielen Gesprächen haben sich vor allem folgende Themen als wichtig herauskristallisiert: die Fortführung der Satzungsänderungsprozesse sowie der Reorganisationsprozesse in der Zentrale; der Ausbau der innerverbandlichen und externen Kommunikation; die Bündelung von Kompetenzen, insbesondere auch aus den Personal- und Einrichtungsfachverbänden; die Auseinandersetzung mit der "Grundordnung" im Dialog mit den Bischöfen; die positive Positionierung zur Vielfalt im Verband und in der Gesellschaft, einhergehend mit der Frage nach der eigenen Identität und Kultur des Verbandes; die Gestaltung der Kommunikation zwischen Verband und Arbeitsrechtlicher Kommission und schließlich die Frage, wie wir vor allem junge Menschen für den Dienst in der Caritas gewinnen und damit die Zukunft der Caritas sichern können.
Eva Maria Welskop-Deffaa (62) ist Vorstand Sozial- und Fachpolitik des Deutschen Caritasverbandes, Freiburg und Berlin. Die Diplom-Volkswirtin ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.
Welche Erfahrungen aus der Caritasarbeit bringen Sie mit?
Welskop-Deffaa: Für die Aufgaben der Präsidentin bringe ich vier Jahre Erfahrung im Vorstand des Deutschen Caritasverbandes mit, außerdem das, was ich an Berufs- und Führungserfahrungen zuvor andernorts gesammelt habe, an der Universität, beim Katholischen Frauenbund, im ZdK, im Bundesfamilienministerium und bei Verdi - Blicke von draußen und von drinnen. Meine wichtigste Drinnen-Erfahrung, geprägt von Corona-Management, Organisationsentwicklung und Digitaler Agenda, lautet: Unsere Funktion als Vernetzerin interner und externer Akteure und Prozesse ist neu zu gestalten, Zukunft und Zusammenhalt: #DasMachenWirGemeinsam
Wie müssen die Kirche und ihre Caritas die nächsten Jahre ihr Verhältnis
ausbuchstabieren?
Welskop-Deffaa: Bei meiner Antrittsrede 2017 habe ich an das Bild von Taddeo Gaddi erinnert: Papst Innozenz III. sieht im Traum Franz von Assisi, der die Kirche vor dem Einsturz bewahrt. Ähnlich spiegelt sich das Verhältnis von Kirche und Caritas in unserer Satzung: "Durch sein Wirken trägt der DCV zur Glaubwürdigkeit der kirchlichen Verkündigung in der Öffentlichkeit bei." Welch heroische Zuversicht. Täglich werden neue Verfehlungen kirchlicher Repräsentanten sichtbar, ererbte Strukturen erweisen sich als anfällig für Missbrauch der Macht, immer mehr Wegbegleiter:innen wählen den Weg hinaus aus der Kirche oder in die innere Emigration. Wenn wir als Caritas Stabilität und Glaubwürdigkeit der Kirche sichern wollen, dürfen wir nicht auf den einen starken Helden setzen. Wir müssen stattdessen versuchen, "Gropius-Knoten" zu sein. Walter Gropius ist es vor 100 Jahren gelungen, ein Bauwerk zu errichten, in dem dank eines Stahlträgergeflechts Fensterflächen an den Gebäudeecken stützenlos aufeinanderstoßen: Luft und Licht haben freien Zugang. Caritas muss in der Kirche dafür stehen: für Offenheit und Transparenz, für ein Geflecht aus Bändern, für ein Netzwerk, das trägt.
"Wenn wir als Caritas Stabilität und Glaubwürdigkeit der Kirche sichern wollen, dürfen wir nicht auf den einen starken Helden setzen. "
Was sind für Sie dringliche Themen, die der Verband angehen muss?
Welskop-Deffaa: Globale Wanderung, Flucht und Integration oder soziale Implikationen der Klimakrise sind dringliche Themen, die wir uns ebenso wenig aussuchen können wie Debatten zu Missbrauch oder Grundordnung. Dazu kommen grundsätzliche Fragen nach Freiheit und Fürsorge, nicht nur beim assistierten Suizid. Dringlich sind Fragen nach der armutspräventiven Funktion sozialer Infrastruktur – national und europäisch, die Bewältigung der Corona-Folgen, gerade für Kinder und junge Menschen. Dringlich sind auch die gesellschaftlichen Implikationen der Digitalisierung mit ihren Effekten auf Teilhabechancen vulnerabler Gruppen und auf das Zusammenspiel von öffentlicher und privater Wohlfahrtspflege. Um das Onlinezugangsgesetz und den Digital Services Act müssen wir uns daher ebenso kümmern wie um Pflege- und Rentenreform. Dringliche Themen müssen für die Caritas nach meinem Verständnis aber immer auch die „vergessenen Themen“ sein: die, die von anderen nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden. Die Situation der Live-in-Care ist dafür ein Beispiel oder die verdrängten Krisen Afrikas.
Flüchtlingsschutz im Gegenwind
Armut bleibt in der Familie
Armutserfahrene wirklich beteiligen
Sie wollen das Präsidentenamt
Vielfalt: Jeder Mensch ist einzigartig
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}