Die ganze Gesellschaft profitiert von der Allgemeinen Sozialberatung
Anna Siebert (Name geändert, Anm. d. Red.) wartet schon seit einem halben Jahr auf den Bescheid zum Wohngeldantrag. Ohne die finanzielle Unterstützung käme sie nicht über die Runden. Dorothee Biehl von der Allgemeinen Sozialberatung (ASB) des Caritasverbandes Remscheid kümmert sich um die Angelegenheit.
"Es brauchte unzählige Anrufe und Mails, um die Sachlage wirklich zu klären. Dabei war unsere Hilfe dringender nötig, als es auf den ersten Eindruck schien", beschreibt Dorothee Biehl den Fall. Die Antragstellerin war seit kurzem verwitwet, psychisch labil, kurz davor, aus der Wohnung ausziehen zu müssen. Ihre Kraft reichte nicht aus, um ihr Leben weiter fest im Griff zu haben. Was wäre gewesen, wenn die Allgemeine Sozialberatung Anna Siebert nicht geholfen hätte, den Wohngeldantrag durchzusetzen und den Kontakt zur Katholischen Familienberatung zwecks Trauerarbeit herzustellen? "Das sind Fragen, die wir uns oft stellen. Oft multiplizieren sich die Probleme, wenn nur eine nicht gelöst wird. Und in der Abwärtsspirale geht es ganz schnell nach unten", so Dorothee Biehl.
Die Allgemeine Sozialberatung ist sozusagen die Allgemeinmedizinerin der Sozialarbeit, die erste Anlaufstelle für Menschen mit unspezifischen und mehrdimensionalen Problemen. Die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit und die Sicherung der materiellen Existenz sind ihre wesentlichen Aufgaben. Egal, mit welchem Problem Menschen die ASB aufsuchen, die Frage nach der Existenzsicherung steht im Mittelpunkt, niedrigschwellig und kostenlos. Für die Menschen, die sie in Anspruch nehmen, ist sie der Rettungsring. Trotzdem werden immer wieder die Wirksamkeit und die Notwendigkeit infrage gestellt. Es fehle an einer gesicherten Finanzierung, an einer Verstetigung in jedem Fachverband. Die Allgemeine Sozialberatung sei die Grundlage für jede weitere soziale Arbeit. Und mit diesem Bewusstsein müsse sie auch betrachtet werden, erklärt Michaela Hofmann, Armutsexpertin des Kölner Diözesan-Caritasverbandes. Um die Wirksamkeit der Allgemeinen Sozialberatung nachzuweisen, wurde zusammen mit einer Unternehmensberatung die Wirkung der ASB ermittelt. Was bewirken soziale Dienstleistungen? Rechtfertigen die erzielten Wirkungen die mitunter umfangreichen Investitionen? Gehen von den erbrachten Leistungen tatsächlich die erwünschten Effekte auf individueller sowie auf gesellschaftlicher Ebene aus?
Die Ergebnisse wurden von zwanzig Mitarbeitenden zusammen mit der Unternehmensberatung erarbeitet. Es ging darum, die Wirkung der ASB zu beschreiben und die unterschiedlichen davon profitierenden Menschen und Institutionen im Nah- und Fernbereich mitzudenken. Die Mitarbeitenden brachten Hinweise aus ihrer Arbeit und damit Tausenden von Fällen mit, die in die Ergebnisse ohne Befragung eingeflossen sind. All die Fälle, die in die Stichtagserhebung (S. dazu auch neue caritas Heft 13/2019, S. 28) der Caritas einfließen, wurden durch die Wirksamkeitsstudie tiefergehend analysiert
Weichen für persönliche Schicksale werden gestellt
Das Fazit überzeugt. "Die Allgemeine Sozialberatung wirkt! Sie stellt mit ihrem niedrigschwelligen Konzept Weichen für persönliche Schicksale und initiiert Hilfeverläufe im Sozialsystem. Die weitreichende Wirkung der Allgemeinen Sozialberatung ist nicht zu unterschätzen", sagt Michaela Hofmann. Genau das zeigen die Ergebnisse differenziert an einzelnen Wirkungsketten unterschiedlicher "Profiteure" auf.
Auch wenn sich die Wirkungen nicht immer oder nur mit immensem Aufwand empirisch belegen lassen, so zeigen sie doch plausible Wirkungszusammenhänge zwischen der Arbeit der ASB und unterschiedlichen Stakeholdern. Somit lässt sich darstellen, welche positiven Veränderungen durch eine (rechtzeitige) fachlich fundierte Intervention induziert werden können. Als "Profiteure" dieser Veränderungen wurden dabei unter anderem folgende Interessengruppen identifiziert: Klient(inn)en, deren Angehörige, das soziale Umfeld, Arbeitgeber, Polizei/ Justiz, verschiedene Institutionen des Sozialleistungssystems, Kommunen, Fachberatungsstellen, Gläubiger(innen) und Vermieter(innen).
Langfristiges Ziel: Lösungsstrategien entwickeln
Im Fall von Anna Siebert hat die Allgemeine Sozialberatung kurzfristig für Klarheit und Sicherheit gesorgt und eine Perspektive aufgezeigt. Mittelfristig führte sie zu einer Auseinandersetzung mit der Problemlage und zu deren Lösung. Langfristig ist die Folge Prävention, das Entwickeln von Lösungsstrategien und Ressourcengewinn. Dorothee Biehl kennt die Folgen einer zu späten Beratung. Es komme Alkohol ins Spiel oder auch Tabletten, Depressionen, Wohnungslosigkeit. Noch mehr Menschen würden durch das soziale Netz fallen und einfach verschwinden. Für Dorothee Biehl hat die Allgemeine Sozialberatung eine seismographische Aufgabe. Sie sieht sich als unbequemer Anwalt für Menschen, die nicht Anwalt für sich selbst sein können.
Sichtbar sein - das wünscht sich Michaela Hofmann auch für die Allgemeine Sozialberatung. Denn auch, wenn die primären Stakeholder der ABS die ratsuchenden Klient(inn)en sind, so liegen die Gründe, Probleme und drohenden Folgen, die die Beratungsleistungen notwendig machen, nicht allein auf individueller Ebene. "Es ist den schlechten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geschuldet, die erst Menschen in Armutsfallen laufen lassen. Wir alle profitieren von der Allgemeinen Sozialberatung."
Mehr zur Studie: www.caritasnet.de/themen/armut
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