Wegmarken vor Ort: Erkenntnisse der Feuer-und-Flammen-Tour
Fünfunddreißig Standorte wurden im Rahmen der Feuer-und-Flammen-Tour in der Zeit von Mai 2019 bis März 2020 besucht: Orts-Caritasverbände (OCV), Diözesan-Caritasverbände (DiCV), die Zentrale des Deutschen Caritasverbandes (DCV) und die DCV-Delegiertenversammlung. Mit den Tourenden tauschten sich Caritas-Mitarbeitende vor Ort über aktuelle Entwicklungen, die Identität der Caritas und künftige Aufgaben aus. So unterschiedlich die Verbände aufgestellt sind, so unterschiedlich waren die Settings, die Fragestellungen und auch die Diskussionsverläufe. Dennoch lassen sich in Themenbereichen Tendenzen identifizieren, die an vielen Standorten Relevanz besitzen.
Caritas als attraktiver Arbeitgeber
Topthema war mit Abstand die Arbeitgeberattraktivität. Nicht alle Verbände sind bereits von Nachwuchsmangel akut betroffen. Bei den meisten steht jedoch ein tiefgreifender und zahlenmäßig weitreichender Generationenwechsel bevor, bei manchen in einem Umfeld mit Vollbeschäftigung.
Auffällig sind in nahezu allen besuchten Verbänden eine hohe Arbeitszufriedenheit und eine damit korrespondierende sehr geringe Fluktuation. Mitarbeitende schätzen an der Caritas einerseits eher harte Faktoren wie ein pünktlich gezahltes Gehalt, Arbeitsplatzsicherheit, Weiterbildungsoptionen oder Karrieremöglichkeiten. Die Sinnhaftigkeit und Werteorientierung der Arbeit bilden eine zweite zentrale Säule der Arbeitgeberattraktivität der Caritas. Ein gemeinsames Verständnis der handlungsleitenden Werte ist jedoch in den wenigsten Verbänden entwickelt, vielmehr dominieren der gelebte Alltag und die gefühlte Werteorientierung. Die Verortung als katholischer Wohlfahrtsverband wird je nach gesellschaftlichem Umfeld stärker betont oder nur leise kommuniziert. Nicht selten wird die Zugehörigkeit zur Kirche in der Öffentlichkeitsarbeit auch als Bürde empfunden. Da häufig nicht zwischen der katholischen Kirche insgesamt und verbandlicher Caritas unterschieden wird, besteht der Wunsch, Unterschiede deutlich zu kommunizieren.
Eine Quelle von Unzufriedenheit ist die fehlende Umsetzung wichtiger Führungsgrundsätze. Auch mangelnde Wertschätzung, unzureichende Kommunikation oder Intransparenz bei Entwicklungsprozessen führen mancherorts zu Enttäuschung und Frustration. In Bezug auf Partizipation und Kritikfähigkeit sind die größten Lücken erkennbar. Zunehmende Arbeitsverdichtung und Berichtspflichten sind ein weiterer Grund von Unzufriedenheit sowohl bei Führungspersonal als auch bei Mitarbeitenden.
Ein Weg zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität ist der Ausbau der Mitarbeitendenpflege, um diejenigen zu halten, die bereits engagiert und eingearbeitet sind. Die Gewinnung neuer Mitarbeitender wird in einigen Verbänden systematisch durch Kooperationen mit Schulen, Präsenz auf Ausbildungsmessen oder Imagekampagnen angegangen. Weniger systematisch ausgebaut sind Strategien, ehemalige Mitarbeitende wiederzugewinnen. Auch die Offenheit anderen Milieus oder Quereinsteiger(inne)n gegenüber ist begrenzt.
Caritas als sozial- und gesellschaftspolitischer Akteur
Politische Einmischung kann als Teil der DNA der Caritas betrachtet werden. Die Notwendigkeit politischer Einmischung vonseiten des Caritasverbandes wird daher auch an keinem Standort infrage gestellt. Zwei Motive sind dabei handlungsleitend: Beratungstätigkeit ist untrennbar mit politischem Engagement verbunden, da Berater(innen) sehr genau die Nöte der Menschen und die daraus resultierenden Veränderungsbedarfe kennen. Ein weiteres Motiv für politisches Engagement liegt in ökonomischen Interessen der Verbände und Dienstleistungserbringer begründet. Bringen sich die Caritasverbände nicht aktiv ein, schrumpft der Handlungsspielraum zur Erbringung sozialer Dienstleistungen angesichts einer fortschreitenden Ökonomisierung. In diesem Themenfeld sind viele Verbände durchaus erfolgreich. Um beide Handlungsstränge zu verbinden, muss Glaubwürdigkeit Handlungsmaxime sein. Das Spannungsfeld zwischen den Anforderungen, sich im Wettbewerb zu behaupten, ein gutes Verhältnis zu Entscheider(inne)n zu pflegen und dem christlich-ethischen Anspruch, auch unliebsame Themen einbringen zu müssen, müsse klar zugunsten einer Richtung entschieden werden, so der Rat eines Landtagsabgeordneten. "Rückgrat durchdrücken", für die eigene politische Position stehen und die Auseinandersetzung suchen. Wertegebundene Verbände sind angesichts rauer werdender Auseinandersetzungen wichtiger denn je, so die Erkenntnis.
Das Verhältnis zu und die Kooperationstiefe mit Mitarbeitenden der örtlichen Verwaltung sind vielerorts ausgesprochen gut. Die inhaltliche Kompetenz der Caritas wird geschätzt, ebenso wie die Qualität der geleisteten Arbeit. Strategisches Handeln, um die eigene Kompetenz ins politische Alltagsgeschehen einzubringen, ist jedoch mancherorts unterentwickelt.
Um sozialpolitisches Engagement zu stärken, braucht es zeitliche Ressourcen im Alltagsgeschäft zur Auseinandersetzung mit strategischen Fragen sowie einen transparenten innerverbandlichen Austausch sowohl über Prozesse und Abläufe wie auch über sozialpolitische Themen. Die Affinität der Mitarbeitenden zu politischem Engagement ist groß, das Potenzial gilt es auszuschöpfen. Darüber hinaus gibt es in Bezug auf Netzwerkaufbau und Kooperationspartnerschaften viele noch nicht erschöpfte Gestaltungsmöglichkeiten.
Caritas im digitalen Wandel
An allen Standtorten wird sofort klar: Caritas und ihre Mitarbeitenden befinden sich mitten im digitalen Wandel. Überall werden trotz begrenzter Ressourcen bereits erhebliche Kompetenzen und technische Infrastruktur bereitgestellt. Dies bezieht sich in erster Linie auf verwaltungstechnische Bereiche. Gerade in Detailfragen (Welchen Messenger dürfen wir nutzen?) herrschen jedoch bei den Mitarbeitenden große Unsicherheit und Bedarf an Orientierung.
Digitale Technologien bergen für viele gleichzeitig Faszination und Grauen. So möchte niemand elektronische Kommunikation oder digitale Abrechnungssysteme missen. Doch die Vorstellung, dass Roboter zunehmend zwischenmenschliche Beziehungsfunktionen übernehmen könnten, erschüttert viele. Mitarbeitende und auch Führungskräfte fühlen sich als Getriebene, zumal große Teile des bisherigen Tätigkeitsbereiches der Caritas im analogen Raum, in der direkten Begegnung der Menschen stattfinden.
Im gesamten Prozess der Digitalisierung ist es wichtig, große Projekte in kleine Schritte zu unterteilen und den Weg beständig weiterzugehen, um konkrete Fortschritte zu erzielen.
Der mit dem digitalen Wandel einhergehende Kulturwandel impliziert für die Verbände einen tiefen Veränderungsprozess. Es geht darum, loslassen zu können, Neues zu wagen, Änderungen in Bezug auf Fehler-, Lern- und Arbeitskultur zu befördern, neue Entscheidungswege auszuprobieren. Das enorme Tempo in der technischen Entwicklung birgt jedoch die Gefahr, dass ethisch begründete strategische Debatten zu spät geführt und wichtige Entscheidungen nicht mehr getroffen werden können. Daher bedarf es in den Verbänden einer vorausschauenden strategischen Entwicklungskompetenz, die frühzeitiges Einschreiten in diskursive und politische Prozesse ermöglicht.
Caritas als verortete und sichtbare Kirche
Während bei zahlreichen Veranstaltungen zum Thema Arbeitgeberattraktivität das enge Verhältnis zur Kirche insgesamt eher kritisch beurteilt wurde, zeigte sich bei den Veranstaltungen zum Verhältnis zur Kirche ein gänzlich anderes Bild. Allein die sprachliche Trennung von Kirche und Caritas stößt bei Teilen der Mitarbeitenden auf Kritik, schließlich sei Caritas Teil von Kirche.
Probleme resultieren nicht zuletzt aus unterschiedlichen Systemlogiken beider Institutionen. Sind die Aufgabenfelder der verbandlichen Caritas stark abhängig von öffentlicher Prioritätensetzung und damit verbundener Refinanzierung, hat die Kirche insgesamt in ihrem Wirken größere Handlungsspielräume, verbunden mit weniger harten Anforderungen an die Wirksamkeit. Letztlich gilt es, die unterschiedlichen Stärken von Kirche und ihrer Caritas zu nutzen. Beide müssen nicht dasselbe tun, sich jedoch gut ergänzen im Streben nach dem gemeinsamen Ziel.
Das kirchliche Arbeitsrecht sorgt immer wieder für Unklarheit und Verwirrung. Ziel sollte es sein, so der Wunsch, dass sich das christliche Profil in den Diensten und Einrichtungen am Alltagshandeln messen lässt und weniger am Taufschein oder an Fragen der persönlichen Lebensführung der Mitarbeitenden.
Sehr deutlich wurde in diesen Veranstaltungen aber auch, wie vielgestaltig und intensiv die Zusammenarbeit von Kirche und Caritas ist, gerade wenn Gemeindecaritas als Fachbereich vor Ort vertreten ist. Diese Zusammenarbeit könnte institutionell stärker verankert werden. Gemeinsam beziehen sich alle Mitarbeitenden sowohl der Kirche als auch der Caritas auf den Kern der christlichen Botschaft - die Nächstenliebe. Caritas ist praktizierte Nächstenliebe und erfüllt damit den Grundauftrag der Kirche.
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