Schüler brauchen eine unabhängige Vertrauensperson
Die Notwendigkeit, sozialpädagogische Fachkräfte an Schulen einzusetzen, wird inzwischen von niemandem mehr bestritten. Die Zahl dieser an Schulen arbeitenden Fachkräfte ist in den letzten Jahren stetig gestiegen, immer wieder wird in politischen Debatten die Unabdingbarkeit von Schulsozialarbeit betont. Dabei werden unter dem Begriff Schulsozialarbeit häufig unterschiedliche Formen, Finanzierungsarten, Zuständigkeiten und Aufgaben subsumiert. Um diese Unterschiede begrifflich zu verdeutlichen, spricht man in der Fachdebatte von "schulbezogener Jugendsozialarbeit", "soziale Arbeit an Schule", "Schulsozialarbeit" oder "BuT-Schulsozialarbeit" (Schulsozialarbeit im Kontext des Bildungs- und Teilhabepaketes) - und das nur in Nordrhein-Westfalen. In anderen Bundesländern gibt es sicher auch noch andere Begrifflichkeiten. Was all diesen Bezeichnungen gemeinsam ist: der Einsatz sozialpädagogischer Fachkräfte am Ort Schule. Wobei dieser Einsatz sich wiederum abgrenzen muss zu den Aufgaben der Fachkräfte in der offenen Ganztagsschule, den sozialpädagogischen Fachkräften in der Schuleingangsphase, den Mitarbeiter(inne)n in der Berufseinstiegsbegleitung…
Unterschiedliche gesetzliche Grundlagen, Zuständigkeiten und Finanzierungen deutlich machen, aber auch die damit verbundenen verschiedenen Arbeitsschwerpunkte und Leistungen. Nach der Evaluation des NRW-Landesprogramms "Soziale Arbeit an Schulen" ist es eine inhaltliche Grundaufgabe der BuT-Schulsozialarbeit, die Inanspruchnahme von Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets zu fördern - eine Aufgabe, die diese Form von Schulsozialarbeit von anderen Formen deutlich unterschieden hat. Mit Inkrafttreten des "Starke-Familien-Gesetzes" im Jahr 2019 reduzierte sich nämlich vor allem diese Aufgabe der Information und Begleitung von Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit BuT-Leistungen und damit die Kernaufgabe der in diesem Rahmen Beschäftigten. Die engagierte Diskussion um die Fortführung dieses Teils der Schulsozialarbeit in NRW endete im August 2020 mit dem Versprechen von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer, "dass die Schulsozialarbeit natürlich selbstverständlich auch über den 31. Dezember 2020 hinaus dauerhaft fortgeführt wird und auch aus Landesmitteln gesichert ist"1 .
Der oben skizzierte Flickenteppich bleibt also weiterhin bestehen, während der Bundesgesetzgeber es versäumt, im Rahmen des aktuellen Referentenentwurfs zur SGB-VIII-Reform das Handlungsfeld der Schulsozialarbeit als Leistung der Kinder- und Jugendhilfe gesetzlich zu verankern.
Bereits im Jahr 2014 hat der Deutsche Verein ein Diskussionspapier zur Entwicklung und Verortung der Schulsozialarbeit (seinerzeit auch mit dem Blick auf eine auslaufende Förderung durch Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket) herausgegeben. Darin weist er darauf hin, dass es für einen weiteren Ausbau und zur Profilierung der Schulsozialarbeit notwendig sei, herauszuarbeiten, "wie Schulsozialarbeit fachlich verortet sein kann"2 . Im Weiteren skizziert der Deutsche Verein die Kontroverse um eine rechtliche Zuordnung der Schulsozialarbeit und benennt zwei Seiten der fachpolitischen Diskussion: Die eine Seite präferiert Schulsozialarbeit im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), die andere Seite sieht Schulsozialarbeit als Aufgabe in "eigener Regie, Zuständigkeit und Finanzierung der Schule"3 . Gleichzeitig bliebe das Angebot vor Ort abhängig von "politischen Mehrheiten, fachpolitischen Annahmen wie Finanzlagen aller drei föderalen Ebenen"4 .
Debatte um die rechtliche Verortung von Schulsozialarbeit
Abschließend hat der Deutsche Verein deutlich gemacht, "dass eine gelingende Kooperation zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Schule einen wichtigen Baustein erfolgreicher Bildungs- und Lernprozesse darstellt. (...) Das grundlegende Spannungsverhältnis zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Schule muss angesichts der veränderten Bedingungen neu ausbalanciert werden"5 . Besonderen Wert legt der Deutsche Verein darauf, "bei den in der Zukunft zu treffenden wichtigen Entscheidungen verstärkt die Kinder und Jugendlichen mit ihren individuellen Bedürfnissen in den Fokus zu nehmen"6 .
In seiner Expertise "Gesetzliche Verankerung von Schulsozialarbeit" spricht sich der emeritierte Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule Kehl, Peter-Christian Kunkel, zunächst für eine Verortung im Jugendhilferecht (§ 13 SGB VIII) aus, kann aber auch einer gemeinsamen (kooperativen) Trägerschaft von Jugendhilfe und Schule durchaus positive Seiten abgewinnen - schließlich wäre dies "die intensivste Form der sowohl in den Schulgesetzen als auch im SGB VIII geforderten Zusammenarbeit"7 .
Fokus auf Schadensbegrenzung oder auf Förderung?
Während der Kooperationsverbund Schulsozialarbeit in seinen Grundsätzen und Aufträgen auf alle jungen Menschen abhebt, bezieht sich das NRW-Schulministerium in seinem Erlass auf den Ausgleich individueller und gesellschaftlicher Benachteiligungen: Im Runderlass "Beschäftigung von Fachkräften für Schulsozialarbeit in Nordrhein-Westfalen" (BASS 21-13 Nr. 6) definiert das NRW-Schulministerium die Aufgaben von Schulsozialarbeit und stellt einen direkten Bezug zur Jugendsozialarbeit her:
"Schulsozialarbeit soll wie die Jugendsozialarbeit insbesondere dazu beitragen, individuelle und gesellschaftliche Benachteiligungen durch besondere sozialpädagogische Maßnahmen auszugleichen."8
Auch die oben skizzierte BuT-Schulsozialarbeit, von der man am ehesten eine einheitliche inhaltliche Ausgestaltung erwarten könnte, zeigt sich durchaus heterogen: Im Rahmen der Evaluation der BuT- Schulsozialarbeit in NRW wurde festgestellt, "dass landesweit die BuT-Schulsozialarbeiter(innen) zu mehr als zwei Dritteln (68,3 Prozent) den Fokus auf Tätigkeiten allgemeiner Schulsozialarbeit legen, nur jede neunte BuT-Fachkraft konzentriert sich auf BuT-bezogene Tätigkeiten"9 .
Es gilt, das ganze Potenzial der jungen Menschen zu entfalten
Schüler(inne)n ist es egal, wer Schulsozialarbeit finanziert und wo diese rechtlich verankert ist. Ihnen ist wichtig, dass jemand für sie da ist, sie unterstützt, berät und so zu einem Gelingen der Schullaufbahn beiträgt. Sie brauchen eine unabhängige Vertrauensperson, die ihnen bei Fragen, Schwierigkeiten und Problemen zur Seite steht. Gerade diese Perspektive der Schüler(innen) muss bei der Gestaltung einer zukünftigen Schulsozialarbeit - nicht nur in NRW - mit berücksichtigt werden.
Die Landesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit in NRW (LAG KJS NRW) versteht daher Schulsozialarbeit als eine kontinuierliche Tätigkeit sozialpädagogischer Fachkräfte an der Schule in Zusammenarbeit mit Lehrkräften. Ihr Ziel ist es, Schüler(innen) in ihrer individuellen, sozialen und schulischen Entwicklung zu fördern, Bildungsbenachteiligungen zu vermeiden und abzubauen. Schulsozialarbeit hat in erster Linie die gesamte Potenzialentfaltung aller Schüler(innen) als Zielstellung im Blick. Sie ist daher aus Sicht der Landesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit als Regelaufgabe in gemeinsamer Verantwortung von Land, örtlicher Jugendhilfe und Schulträger zu verorten, über diese zu finanzieren sowie mit gemeinsam entwickelten und vereinbarten Mindeststandards zu versehen. Die Fachkräfte der Schulsozialarbeit sind folglich außerhalb des Schulsystems bei anerkannten Trägern der freien und öffentlichen Jugendhilfe anzustellen. Gerade diese Träger verfügen über die notwendigen sozialpädagogischen Kompetenzen und Netzwerke sowie ein hohes Maß an Flexibilität und Innovation. Darüber hinaus gewährleisten sie die für die Arbeit mit jungen Menschen notwendige Neutralität.
Der Bildungsansatz der Schulsozialarbeit bezieht sich nicht nur auf individuelle Einzelberatung von Schüler(inne)n. Schulsozialarbeit trägt auch, ganz im Sinne des § 1 SGB VIII, zur individuellen und sozialen Entwicklung junger Menschen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit bei. Daher sind in der Schulsozialarbeit auch Formen von Gruppenarbeit und -angeboten vorzuhalten.
Wie eingangs bereits angedeutet öffnet sich der Ort Schule. Unterschiedliche Professionen mit unterschiedlichen Aufgaben sind hier tätig. Schulsozialarbeit ist eingebunden in eine multiprofessionelle Zusammenarbeit aller Fachkräfte an und in der Schule - mit Beratungslehrern und Mitarbeiter(inne)n des "offenen Ganztags" genauso wie die externe Vernetzung mit Angeboten und Einrichtungen der Jugendberufshilfe sowie sozialraumorientierte Kooperationen mit Beratungsstellen und Jugendzentren.
Die Zusammenarbeit aller kann gelingen, wenn sich jede(r) seiner/ihrer Stärken und der Stärken des/ der anderen bewusst ist und diese in wertschätzender Abstimmung gemeinschaftlich zum Wohle der Schüler(innen) eingesetzt werden. Es ist eben auch eine Haltungsfrage.
Anmerkungen
1. www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/ Dokument/MMP17-97.pdf, S. 73.
2. Deutscher Verein (Hrsg.): Diskussionspapier des Deutschen Vereins zur Entwicklung und Verortung der Schulsozialarbeit. Berlin, 2014, S. 11 (abrufbar unter https://bit. ly/35krtEf).
3. Ebd., S. 12.
4. Ebd., S. 19.
5. Ebd., S. 20.
6. Ebd., S. 20.
7. GEW (Hrsg.): Gesetzliche Verankerung von Schulsozialarbeit. Expertise von Prof. em. Peter-Christian Kunkel. Frankfurt/ Main, Dezember 2016, (abrufbar unter https://bit.ly/3o8CvoV).
8. Ministerium für Schule und Bildung NRW (Hrsg.): Beschäftigung von Fachkräften für Schulsozialarbeit in Nordrhein-Westfalen. BASS 21-13 Nr. 6 (abrufbar unter https://bass. schul-welt.de/8598.htm).
9. Zoom - Gesellschaft für prospektive Entwicklungen (Hrsg.): Evaluation des Programms Soziale Arbeit an Schulen in Nordrhein-Westfalen - Abschlussbericht. Göttingen, September 2017, S. 170 (abrufbar unter https://bit.ly/3jrbDwQ)
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}