Partizipative Selbstvertretung Ehrenamtlicher in der „Mission MitMensch“
Anknüpfungspunkte Die Sozialpolitischen Positionen des Deutschen Caritasverbandes (DCV) zur Jahreskampagne "Sei gut, Mensch!"1 thematisieren Voraussetzungen und Bedingungen der Möglichkeit für freiwilliges Engagement und Solidaritätsstiftung. Sie plädieren für eine "Kultur der Ermöglichung" für solidarisches Handeln nicht nur, aber gerade auch im Ehrenamt. Der Rahmen der Sozialpolitischen Positionen soll auch im Kampagnenjahr 2020 wie in den Vorjahren durch eine Reihe von Impulspapieren konkretisiert werden.
Der Kreuzbund hat zusammen mit dem zuständigen Fachreferat des DCV unter der Überschrift "Engagement und Selbsthilfe"2 einen ersten Beitrag dazu beigesteuert. Die Caritas-Konferenzen Deutschlands (CKD) als Netzwerk von Ehrenamtlichen nehmen die Jahreskampagne zum Anlass, Forderungen der partizipativen Selbstvertretung Ehrenamtlicher zu vertiefen und zu konkretisieren. Das knüpft an das CKD-Begleitmotto zur Jahreskampagne an, das den Titel "Mission MitMensch" trägt.Bereits darin kommt zum Ausdruck, dass Selbstvertretung immer mit anderen und für andere geschieht und auf Mitmenschen ausgerichtet ist: Mit-Engagierte, Hauptamtliche im eigenen Verband und im Engagement-Kontext sowie die Menschen, für die man sich engagiert.
Die Besonderheiten ehrenamtlichen Engagements
Ehrenamtliches Engagement zeichnet sich durch mehrere Merkmale in besonderer Weise aus:
- Es geschieht freiwillig, unentgeltlich3 und ist gemeinwohlorientiert.
- Die Art, den Umfang sowie die Dauer bestimmen die sich Engagierenden selbst.
- Ehrenamtliches Engagement kann jederzeit aufgenommen und beendet werden.
- Es ist von einer großen Freiheit und Unabhängigkeit geprägt, insbesondere im Vergleich etwa zu einem Dienstverhältnis.
- Ehrenamtliche bringen ihren Hintergrund, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in das Engagement ein.
- Ehrenamtliche eröffnen ihren Mitmenschen neue Lebenswelten und Zugänge. Um dem Anspruch gerecht zu werden, Solidaritätsstifterin und attraktiv für Ehrenamtliche zu sein, ist partizipative Selbstvertretung in der Caritas unverzichtbar.
Sie ist ein Schlüssel dafür, Ehrenamt im wohlfahrtsverbandlichen Kontext auf angemessene Art und Weise strukturell zu verankern und Ehrenamt(liche) wertzuschätzen.
Partizipation und Selbstvertretung
Partizipation meint Beteiligung. Wer sich heute freiwillig verbandlich engagiert, möchte die Gründe und Ziele für das eigene Engagement kennen, über Strukturen und Prozesse, in denen es sich vollzieht, informiert sein und diese aktiv mitgestalten. Erst wenn tatsächlich Mitgestaltungsspielräume bestehen, ist Partizipation glaubwürdig.
Dann sind die Möglichkeiten für Ehrenamtliche gegeben, Selbstvertretung wahrzunehmen. Selbstvertretung bedeutet, dass Personen sich einbringen und Entscheidungen treffen, deren Auswirkungen sich unmittelbar auf ihr eigenes Tun und die verbandliche Arbeit beziehen. Wird Selbstvertretung behindert, kommen die Ressourcen Ehrenamtlicher nicht umfassend zur Geltung und Wirkung. Partizipative Selbstvertretung kombiniert diese beiden Aspekte, indem Ehrenamtliche durch eine umfassende Mitbestimmung die Interessen einbringen und vertreten, die für ein zeitgemäßes Engagement förderlich und notwendig sind, und die Rahmenbedingungen selbst mitgestalten. Innerhalb der CKD ist die partizipative Selbstvertretung Ehrenamtlicher ein wesentliches Strukturmerkmal. Auf allen Ebenen wird der Verband ehrenamtlich geführt.
Die Ehrenamtlichen übernehmen Verantwortung und bringen ihr Erfahrungswissen aus der Praxis in die Leitung des Verbandes ein. Über alle Belange, die sie betreffen, reden die Ehrenamtlichen nicht nur mit, sondern entscheiden maßgeblich selbst.4 So ist sichergestellt, dass die Themen und Angebote des Verbandes den Bedürfnissen ehrenamtlicher Praxis entsprechen. So erfahren die Ehrenamtlichen sich und ihr Handeln als selbstwirksam.5
Was es braucht, damit partizipative Selbstvertretung gelingt
Partizipative Selbstvertretung ist ein wertvolles Strukturprinzip der Arbeit Ehrenamtlicher in der gesamten verbandlichen Caritas - nicht nur für die Caritas-Konferenzen.Sie ist ein wesentlicher Beitrag zur Selbstwirksamkeit, zur Solidaritätsstiftung, zum Gründungsgedanken und zum Selbstverständnis der Caritas. Die Erfahrungen in den Caritas-Konferenzen zeigen folgende Notwendigkeiten, die für die gesamte verbandliche Caritas Impulse sein können:
Ehrenamtliche, die sich selbst vertreten, verdienen Wertschätzung mit Folgen
In öffentlichen Äußerungen von politischen Verantwortungsträgern wird regelmäßig das große Loblied auf ehrenamtliches Engagement gesungen.
Die Wertschätzung und die Anerkennung müssen jedoch "handfest" sein und dürfen nicht folgenlos bleiben.6 Gerade das oft wenig sichtbare kontinuierliche Ehrenamt verdient Respekt und Wertschätzung. Alle Menschen, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten im karitativen Dienst engagieren, leisten einen unverzichtbaren Beitrag für die soziale und demokratische Kultur der Kirche, der Caritas und der Gesellschaft. All das, was Ehrenamtliche in ihrem Engagement und ihrer Selbstvertretung entlastet, gilt es mit Fantasie für das Erforderliche und auch mit finanziellen Mitteln zu unterstützen.
Ehrenamtliche brauchen Ermutigung, sich selbst zu vertreten
"Ehrenamtliche finden ihren Weg in die verbandliche Caritas nicht von alleine; es bedarf einer kontinuierlichen Ermutigung zu diesem Engagement auf allen verbandlichen Ebenen."7 Diese Erkenntnis gilt in besonderer Weise für die Übernahme von Ämtern und Aufgaben im Rahmen der partizipativen Selbstvertretung. Ermutigung bedeutet konkret, Zugänge zu neuen Ämtern, Gremien und Netzwerken zu schaffen. Es bedeutet, glaubwürdig zu zeigen, dass diese Mitwirkung wirklich gewollt ist. So bleiben das Motto und der Anspruch gültig: "Ohne Ehrenamt keine Caritas"8 .Dieser Anspruch ist kein Selbstläufer. Ihn aufzugeben darf für die Caritas keine Option darstellen.
Ehrenamt braucht Hauptamt
Zur Erfüllung ihrer Aufgaben brauchen die Ehrenamtlichen im Miteinander mit professionellen Angeboten sozialer Arbeit selbst eine unterstützende hauptberuflich getragene Infrastruktur, die Ehrenamtliche entlastet, um sich auf die gewählten eigenen Aufgaben konzentrieren zu können.9 Wenn caritas- und kirchenintern sowie öffentlich dieses Hauptamt strukturell und finanziell ermöglicht wird, können Ehrenamtliche ihre Ressourcen umfassend einbringen. Dazu braucht es ein Miteinander auf Augenhöhe zwischen Ehren- und Hauptamtlichen in dem Rollenbewusstsein, dass Hauptamtliche hier zur Ermöglichung von Engagement und Selbstvertretung beitragen.
Partizipative Selbstvertretung Ehrenamtlicher braucht freie Zeit
Die Übernahme von ehrenamtlichen Leitungsaufgaben, insbesondere auf Regional-, Diözesan- und Bundesebene, verlangt kontinuierlich Zeitressourcen und -reserven.10 Die sozialpolitischen Positionen des DCV zur Jahreskampagne betonen zu Recht, dass "diese nicht immer leicht zu mobilisieren [sind] - erst recht nicht, wenn schon die Synchronisation familiärer Care-Verpflichtungen und beruflicher Arbeit sich als herausfordernd erweist."11 Sehr häufig ist bei der Konkurrenz familiärer und ehrenamtlicher Aufgaben der Verzicht auf die Übernahme einer Leitungsoder Vorstandsfunktion die Folge, auch wenn das freiwillige soziale Engagement im persönlichen Leben eine wichtige Rolle spielt.
Der Vierte Freiwilligensurvey der Bundesregierung konstatiert im Jahr 2016, dass "anteilig an allen Engagierten die Leitungs- und Vorstandstätigkeit seit 15 Jahren kontinuierlich abnimmt"12. Eine Forsa-Untersuchung aus dem Jahr 2017 hat ergeben, dass eine große Mehrheit der Befragten (79 Prozent) meint, "ihre Berufstätigkeit und ein ehrenamtliches Engagement wären weniger gut (26 Prozent) beziehungsweise schlecht (53 Prozent) miteinander zeitlich zu vereinbaren."13
Diese Fakten sollten insbesondere Arbeit- und Dienstgeber aufrütteln: Das bürgerschaftliche Engagement muss in der Gestaltung der Arbeitszeiten aktiv unterstützt und gesichert werden. Darüber hinaus sind politische Rahmenbedingungen gefordert, die die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Ehrenamt erleichtern. Schon seit mehreren Jahren regen die CKD an, ehrenamtliche Personen mit Leitungs- und Vorstandsaufgaben in einem bestimmten Umfang von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen. Gemeinsam mit dem DCV engagieren sie sich für die Vereinbarkeit von Engagement und Beruf,14 da es "ordentlich gelebte Freiräume fürs Ehrenamt, wirklich vorhandene Freistellungsmöglichkeiten" braucht, um zu verhindern, dass eine Gesellschaft entsteht, "die im Berufsalltag ,job first‘ formuliert und für die Vereinbarkeit von Beruf und Ehrenamt keine ausreichenden Möglichkeiten schafft".15 Die CKD unterstützen mit Nachdruck diese Sicht, die der DCV in den Sozialpolitischen Positionen mit der Frage nach Zugängen und Zugangshürden für Engagement umfangreich aufgegriffen hat.16
Für die Caritas-Konferenzen stehen die Themen "Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Ehrenamt" und "Freistellung für Leitungsund Vorstandsaufgaben" in den nächsten Monaten der Jahreskampagne weiter oben auf der Tagesordnung. Modelle und Lösungsvorschläge sollen gemeinsam in der verbandlichen Caritas entwickelt und diskutiert werden. Es gilt vor allem zu prüfen, wie ein Ausgleich für den Verdienstausfall erreicht werden kann, welche Modelle mit der Unentgeltlichkeit des Ehrenamts vereinbar sind, und wie eine Anrechnung ehrenamtlich geleisteter Zeiten in der Sozialversicherung erfolgen könnte.
Die grundsätzliche Machbarkeit belegen bereits bestehende Freistellungsmöglichkeiten: In mehreren Bundesländern17 bestehen gesetzliche Regelungen zur Freistellung in Form von Sonderurlaub oder der Freistellung mit Erstattung von Verdienstausfällen beziehungswese Lohnfortzahlung jeweils für Personen, die sich in der Jugendarbeit ehrenamtlich engagieren. Die Ausweitung auf ehrenamtliche Leitungsaufgaben über den Jugendbereich hinaus wäre ein starker Impuls für die Stärkung
bürgerschaftlichen Engagements, wie die steigende Inanspruchnahme der genannten Freistellungsmöglichkeiten belegt. Ein weiterer Ansatzpunkt wäre die Ausweitung von gesetzlichen Bildungsurlauben auf ehrenamtliche Leitungs- und Vorstandsaufgaben.
Die Inanspruchnahme von den jeweiligen Bildungstagen für die Leitungs- und Vorstandsaufgaben wäre ein großer Schritt in Richtung Vereinbarkeit von Beruf und Ehrenamt. Politik und Gesellschaft sind aufgerufen, weitere gesetzliche und administrative Rahmenbedingungen zu diskutieren und und Freistellungsmöglichkeiten zu entwickeln, damit ehrenamtliche Organisationen engagierte und qualifizierte Personen für eine gut funktionierende Leitungs- und Vorstandsstruktur gewinnen und halten können. Die verbandliche Caritas als Dienstgeberin kann hier eine Vorreiterrolle einnehmen.
Freiburg, 3. Juli 2020 Caritas-Konferenzen Deutschlands (CKD e.V.) - Das Netzwerk von Ehrenamtlichen Marlies Busse Bundesvorsitzende Dr. Lukas Hetzelein Bundesgeschäftsführer
Kontakt: Dr. Lukas Hetzelein, E-Mail: lukas.hetzelein@caritas.de
Anmerkungen
1. Sozialpolitische Positionen zur Jahreskampagne 2020 "Sei gut, Mensch!". Kurzlink: bit.ly/3iAGBDe
2. Vgl. Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Engagement und Selbsthilfe. In: neue caritas Heft 8/2020, S. 31 ff.
3. Vgl. Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Impulspapier "Ehrenamt ist unentgeltlich". Position des Deutschen Caritasverbandes zur Monetarisierung im ehrenamtlichen und freiwilligen Engagement. In: neue caritas Heft 4/2017, S. 31 ff.
4. Vgl. Sozialpolitische Positionen, S. 10.
5. Vgl. Sozialpolitische Positionen, besonders den Absatz mit der Überschrift "Haltung stärken durch Erfahrungen der Selbstwirksamkeit" (S. 6) sowie auch die Handlungsempfehlung aus der Erhebung zum caritativen ehrenamtlichen Engagement in der Caritas, die im Jahr 2019 vorgestellt worden ist: "Ehrenamtliches Engagement bedarf der selbstverantworteten Gestaltungsspielräume und Partizipation." Kurzlink: bit.ly/2Z0zcFy
6. Vgl. die Ausführungen unter der Überschrift "Wertschätzung im Alltag". In: Sozialpolitische Positionen, S. 10.
7. Vgl. Becker, M. et al.: Ehrenamt - damit der Funke überspringt. Hier: Handlungsempfehlungen der Ehrenamtsstudie des DCV. In: neue caritas Heft 3/2019, S. 12.
8. Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Positionspapier: Ohne Ehrenamt keine Caritas. In: neue caritas Heft 17/2010, S. 40-43.
9. Vgl. Becker, M. et al.: Ehrenamt - damit der Funke überspringt. Hier: Handlungsempfehlungen der Ehrenamtsstudie des DCV. In: neue caritas Heft 3/2019, S. 12-13.
10. Vgl. Sozialpolitische Positionen, S. 7: Unter 2.1 betonen diese die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Vorschlag Freistellung für ehrenamtliche Leitungsaufgaben knüpft daran an und konkretisiert eine Handlungsoption.
11. Sozialpolitische Positionen, S. 8.
12. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Zusammenfassung zentraler Ergebnisse des Vierten Deutschen Freiwilligensurveys. Berlin, 2016, S. 8. Ergebnisse des Vierten Deutschen Freiwilligensurveys unter Kurzlink: bit.ly/31MTqEA. 13. Vgl. die Forsa-Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung "Meinungen zum Ehrenamt", S. 3. Kurzlink: bit.ly/2Z3l12M.
14. Vgl. Deutscher Caritasverband (Hrsg.): Eckpunkte zum bürgerschaftlichen Engagement im Verständnis der Caritas. Für eine Kultur der Mitverantwortung. In: neue caritas Heft 21/2014, S. I ff.
15. Welskop-Deffaa, E. M.: Was hält unsere Gesellschaft zusammen und wie gehen wir aufeinander zu? Impuls im Rahmen des Werkstattgesprächs "Dienstpflicht" der CDU. Kurzlink: bit.ly/2DegSAs (S. 10).
16. Vgl. das Kapitel 2.1 Zugangshürden für Engagement abbauen. In: Sozialpolitische Positionen, S. 7.
17. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, NordrheinWestfalen.
Bestmöglich und bedarfsgerecht sollte die oberste Maxime sein
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