Geflüchtete finden besser als erwartet Arbeit
Im Jahr 2015 wurden in Deutschland die höchsten Zuzüge von Geflüchteten seit den Flucht- und Vertreibungsbewegungen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs registriert. Insgesamt ist die Zahl der Geflüchteten von Jahresanfang 2013 bis Jahresende 2018 um 1,2 Millionen Personen gestiegen. Verschiedene Erhebungen weisen darauf hin, dass Geflüchtete im Vergleich zu Migrant(inn)en, die auf anderen Wegen zugereist sind, vor besonderen Herausforderungen bei der Arbeitsmarktintegration stehen: Geflüchtete finden später eine erste Beschäftigung, sind in ihrem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis häufiger überqualifiziert und erhalten im Schnitt geringere Löhne.1 Mögliche Ursachen hierfür sind beispielsweise, dass zum einen die im Herkunftsland erworbene formale Qualifikation nicht zu den hiesigen Anforderungen passt und zum anderen die notwendigen Sprachkenntnisse (des Ziellandes) nicht ausreichend vorhanden sind. Hinzu kommt, dass die (im historischen Vergleich) hohe Zahl an Geflüchteten, die ab 2015 kamen, mehr Konkurrenz untereinander auf dem Arbeitsmarkt zur Folge hat. Alle diese Faktoren führen dazu, dass einerseits ihre erwartete Integration in den Arbeitsmarkt eventuell langsamer verläuft als von Geflüchteten, die zu früheren Zeiten in Deutschland Asyl gesucht haben (beispielsweise in den 1990er-Jahren im Rahmen des Krieges in Ex-Jugoslawien). Andererseits ist im Rahmen der starken Einwanderung von Geflüchteten nach Deutschland im Vergleich zu früher das Angebot an Sprach- und Integrationskursen stark ausgeweitet worden. Hinzu kommt, dass sich der Arbeitsmarkt 2015 bis 2018 in einem sehr robusten und somit aufnahmefähigen Zustand befand. Somit wäre zu erwarten, dass die Integration in den Arbeitsmarkt besser verläuft als in der Vergangenheit.
Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten im Vergleich2
Wie einleitend geschildert, gab es sowohl Faktoren, die für, als auch solche, die gegen eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt der zwischen 2013 und 2018 Geflüchteten im Vergleich zu früheren sprachen. Wie aus Abbildung 1 erkennbar ist, verlief die Arbeitsmarktintegration der seit dem Jahr 2013 zugezogenen Geflüchteten in den ersten drei Jahren etwas langsamer als bei den früheren Kohorten. Danach hat sich der Trend allerdings umgekehrt, und mit zunehmender Aufenthaltsdauer geht die Schere zwischen den beiden Gruppen weiter auseinander. Eine wesentliche Ursache dafür ist der Ausbau der Sprach- und Integrationskurse. Die Teilnahme an solchen Kursen könnte zunächst die Arbeitsmarktintegration verzögert, mit Abschluss dieser Maßnahmen aber zu einer höheren Erwerbstätigkeit beigetragen haben.3
In Abbildung 1 (s. Seite 25 oben) wird dargestellt, wie hoch der Anteil der Geflüchteten ist, die mindestens eine Erwerbstätigkeit in Deutschland aufgenommen haben. Eine andere Betrachtungsweise ist, wie hoch der Anteil der Personen ist, die an einem gewissen Stichtag erwerbstätig sind. Hierzu werden in Abbildung 2 die Erwerbstätigenquoten in Abhängigkeit der Dauer seit Zuzug dargestellt.
Aus Abbildung 2 (unten) geht hervor, dass fünf Jahre nach dem Zuzug 49 Prozent der Geflüchteten einer Erwerbstätigkeit nachgingen. Bei den früher zugezogenen Geflüchteten waren es zu diesem Zeitpunkt 44 Prozent. Die Abbildung verdeutlicht auch, dass es große Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Vertiefende Analysen zeigen, dass die Erwerbstätigkeitswahrscheinlichkeit von Frauen ohne minderjährige Kinder 18 Prozentpunkte geringer ist als diejenige von Männern im vergleichbaren Haushaltskontext. Bei Frauen mit minderjährigen Kindern sinkt diese Wahrscheinlichkeit um weitere zwölf Prozentpunkte4 (siehe zur Arbeitsmarktintegration von Frauen den Titelbeitrag von Katrin Menke in diesem Heft).
Schul- und Berufsausbildung hat große Bedeutung
Auch die schulische und berufliche Bildung spielt eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit, eine Arbeit finden zu können. Besonders hohe positive Effekte werden bei Abschlüssen von mittleren allgemeinbildenden Schulen sowie beruflichen (im Gegensatz zu akademischen) Abschlüssen festgestellt.
Berufliche Erfahrungen im Herkunftsland haben insbesondere bei den geflüchteten Männern einen messbaren Einfluss auf die Möglichkeit, in Deutschland erwerbstätig zu sein. Allerdings scheint es eher von Vorteil, wenn die früher ausgeübte Tätigkeit nicht zu spezialisiert war.5 Zumindest teilweise haben Geflüchtete, die früher sehr spezialisierte Tätigkeiten auf einem hohen Anforderungsniveau ausgeübt haben, mehr Schwierigkeiten als jene, die auf einem geringeren Level gearbeitet haben.6 Dabei sind zwar 40 Prozent der Beschäftigten entsprechend ihren beruflichen Abschlüssen erwerbstätig, aber fast die Hälfte der Beschäftigten unter dem Anforderungsniveau ihrer früheren Tätigkeit. Dies ist damit zu erklären, dass formale berufliche Bildungsabschlüsse in den Herkunftsländern deutlich weniger verbreitet sind. Fähigkeiten, die in den Herkunfts- und Transitländern durch Berufserfahrung zwar erworben wurden, aber nicht formell bescheinigt sind, scheinen eine große Rolle zu spielen. Allerdings ist es auch nicht ungewöhnlich, dass Migration häufig zunächst mit einer Entwertung des in den Heimatländern erworbenen Kompetenzen verbunden ist. Dies kann erst schrittweise mit dem Erwerb komplementärer Fähigkeiten in den Zielländern kompensiert werden.7
Bemerkenswertes Ergebnis
Die Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten ist zunächst langsamer, dann aber schneller vorangeschritten, als es in der Vergangenheit bei Geflüchteten beobachtet wurde. Sie läuft somit besser als erwartet.8 Angesichts der Tatsache, dass die Voraussetzungen für die Geflüchteten, die seit dem Jahr 2015 gekommen sind, in mancher Hinsicht ungünstiger waren als in der Vergangenheit, ist das ein bemerkenswertes Ergebnis.
Anmerkungen
1.Vgl. Aiyar, S.; Barkbu, B.; Batini, N.; Berger, H.; Detragiache, E.; Dizioli, A.; Ebeke, C.; Lin, H.; Kaltani, L.; Sosa, S.; Spilimbergo, A.; Topalova, P.: The Refugee Surge in Europe: Economic Challenges, IMF Staff Discussion Note Nr. 16/02, 2016. Siehe auch Brücker, H.; Hauptmann, A.; Vallizadeh, E.: Flüchtlinge und andere Migranten am deutschen Arbeitsmarkt: Der Stand im September 2015, IAB Aktuelle Berichte Nr. 14/2015. Vgl. ebenfalls Europäische Kommission: How are refugees faring on the labour market in Europe? A first evaluation based on the 2014 EU Labour Force Survey ad hoc module, Working Paper Nr. 1/2016.
2. Empirische Grundlage aller hier dargestellten Ergebnisse ist die IAB-BAMF-SOEP-Befragung der Geflüchteten. Nähere Informationen zu diesem Datensatz in: Brücker, H.; Kosyakova, Y.; Schuss, E.: Fünf Jahre seit der Fluchtmigration 2015. Integration in Arbeitsmarkt und Bildungssystem macht weitere Fortschritte. IAB-Kurzbericht Nr. 4/2020.
2. Brenzel, H.; Kosyakova, Y.: Geflüchtete auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Längere Asylverfahren verzögern Integration und Spracherwerb, IAB-Kurzbericht Nr. 6/2019. Entsprechend der Abgrenzung des Statistischen Bundesamtes werden alle Personen als erwerbstätig betrachtet, die für ihre Tätigkeit ein Entgelt erhalten. Das schließt auch Auszubildende, Praktikant(inn)en und geringfügig Beschäftigte mit ein.
3. Brücker, H.; Jaschke, P.; Kosyakova, Y.: Integrating Refugees and Asylum Seekers Into the German Economy and Society: Empirical Evidence and Policy Objectives. Washington D.C.: Migration Policy Institute, 2019.
4. Brücker; Kosyakova; Schuss 2020, a. a.O.
5. Insgesamt waren rund zwei Drittel der Geflüchteten vor dem Zuzug erwerbstätig - Männer 75 Prozent; Frauen 39 Prozent.
6. Siehe Brücker; Kosyakova; Schuss für mehr Details sowie weitere Faktoren, die positiv mit den Chancen auf eine Erwerbstätigkeit verbunden sind.
7. Chiswick, B.R.; Lee, Y.L.; Miller, P.W.: A Longitudinal Analysis of Immigrant Occupational Mobility: A Test of the Immigrant Assimilation Hypothesis. In: International Migration Review, Jg. 39, H. 2, 2005, S. 332-353. 8. Schludi, M.; Brücker, H.; Kosyakova, Y.: Die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten läuft besser als erwartet. Nachgefragt bei Herbert Brücker und Yuliya Kosyakova. IAB-Forum, 25. Januar 2019.
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