Neue und alte Hürden für Asylsuchende und Geduldete
Die effektive Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen wird von vielen öffentlich finanzierten Programmen gefördert, etwa im Rahmen der ESF-Integrationsrichtlinie Bund im Handlungsschwerpunkt IvAF (Integration von Asylbewerber[inne]n und Flüchtlingen)1. Dabei unterstützen bundesweit insgesamt 40 Netzwerke mit circa 300 Teilprojekten heterogener Träger Geflüchtete durch Beratung, Qualifizierung und Vermittlung in Ausbildung und Arbeit. Eines davon ist das vom Diözesan-Caritasverband (DiCV) Osnabrück koordinierte Projekt Netwin 3,2 das im westlichen Niedersachsen tätig ist.3
Bei der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter sind die rechtlichen Rahmenbedingungen zentral: Es geht darum, wer eine Beschäftigungserlaubnis erhalten kann, wie eine der Beschäftigungsaufnahme entgegenstehende Wohnsitzauflage beseitigt werden könnte und welche Leistungen der Arbeitsverwaltung genutzt beziehungsweise welche Deutschkurse besucht werden können.
Arbeitsverbote für Asylsuchende 2019 stark ausgeweitet
Geflüchteten, die nach einem (teilweise) erfolgreichen Asylverfahren eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1-3 Aufenthaltsgesetz haben, ist eine Erwerbstätigkeit generell gestattet. Sie können auch alle Leistungen der Jobcenter erhalten. Für ihre Arbeitsmarktintegration gelten damit dieselben Bedingungen wie für Inländer(innen). Daher fokussiert sich dieser Beitrag auf die Rechtslage für Asylsuchende mit einer Aufenthaltsgestattung und für Personen mit einer Duldung. Für sie bestehen mittlerweile verschiedene Möglichkeiten, ihren Aufenthalt durch die Aufnahme einer Ausbildung oder Arbeit zu sichern, etwa durch eine Ausbildungsduldung.4
Beschäftigungserlaubnis
Asylsuchende und Geduldete dürfen, anders als die meisten anderen ausländischen Staatsangehörigen, nicht uneingeschränkt erwerbstätig sein. Wenn sie eine Arbeit, eine betriebliche Berufsausbildung oder auch ein Praktikum aufnehmen möchten, muss ihnen zuvor hierfür eine Beschäftigungserlaubnis durch die Ausländerbehörde erteilt worden sein.5 Das ist allerdings nur dann möglich, wenn kein Arbeitsverbot besteht; solche Verbote wurden aber im Rahmen des sogenannten Migrationspakts 2019 erheblich ausgeweitet:
Asylsuchende dürfen in den ersten neun Monaten ihres Aufenthalts nicht erwerbstätig sein, wenn sie in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht sind; ansonsten beträgt die Wartezeit drei Monate.6 Die Verpflichtung, in einer solchen Einrichtung zu wohnen, besteht bei Familien mit Minderjährigen für sechs Monate, ansonsten für 18 Monate.7
Personen mit einer Duldung nach § 60 a AufenthG, die nicht in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben, kann überwiegend nach drei Monaten eine Beschäftigungserlaubnis erteilt werden. Ausgeschlossen vom Arbeitsmarkt bleibt aber, wer eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität besitzt. Diese neue Duldung nach § 60 b AufenthG wird erteilt, wenn bei der Passbeschaffung nicht mitgewirkt wird oder falsche Angaben gemacht werden. Die Einzelheiten hierzu sind oft umstritten: Welche Mitwirkungshandlungen sind (auch unter "Corona-Bedingungen") möglich und zumutbar?8 Muss die fehlende Mitwirkung die einzige Ursache für das Unterbleiben einer Abschiebung sein?9 Muss die Ausländerbehörde zuvor die Mitwirkungspflicht konkretisiert haben?10
Kommen Asylsuchende und Geduldete aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland (Westbalkan, Ghana und Senegal),11 sind sie ganz überwiegend von jeder Erwerbstätigkeit ausgeschlossen.12
Besteht kein Arbeitsverbot, muss die Ausländerbehörde in das Aufenthaltspapier die Nebenbestimmung "Beschäftigung mit Genehmigung der Ausländerbehörde" eintragen. Wird dort eine Beschäftigungserlaubnis beantragt, sollte eine vom Arbeitgeber unterschriebene Stellenbeschreibung13 beigefügt sein. Handelt es sich um eine Arbeitsstelle oder um ein Orientierungspraktikum zu künftiger Arbeitsaufnahme, muss die Bundesagentur für Arbeit (BA) der Erteilung der Beschäftigungserlaubnis behördenintern zustimmen. In diesem maximal zwei Wochen dauernden Verfahren werden aber nur noch die Beschäftigungsbedingungen geprüft, das heißt, die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzgesetze und die Zahlung des Tariflohns beziehungsweise einer ortsüblichen Vergütung.14 Eine sogenannte "Vorrangprüfung" - ob bevorrechtigte Arbeitnehmer(innen) wie etwa Deutsche für den konkreten Arbeitsplatz zur Verfügung stehen - findet nicht mehr statt. Auch Leiharbeit ist jetzt uneingeschränkt möglich.15 Wird eine Beschäftigungserlaubnis für eine betriebliche Berufsausbildung, eine Einstiegsqualifizierung oder ein Orientierungspraktikum für eine Ausbildungs- oder Studienaufnahme beantragt, ist die Zustimmung der BA nicht erforderlich.
Wohnsitzauflage
In einer Aufenthaltsgestattung oder einer Duldung ist häufig eine sogenannte Wohnsitzauflage eingetragen. Ein Umzug in eine andere Stadt ist nur nach einer Änderung dieser Nebenbestimmung möglich. Wird der Lebensunterhalt aber durch Arbeit oder Ausbildung vollständig selbst gesichert, muss die Wohnsitzauflage aufgehoben werden.16 Der Bezug von Berufsausbildungsbeihilfe ist dabei eine sogenannte "unschädliche" Sozialleistung17 und trägt zur eigenständigen Finanzierung des Lebensunterhalts während einer Ausbildung bei.
Leistungen der Arbeitsverwaltung
Für die Arbeitsmarktintegration von Asylsuchenden und Geduldeten sind die Agenturen für Arbeit, nicht die Jobcenter zuständig. Besteht kein Arbeitsverbot, können sie sich arbeitslos oder arbeitsuchend melden und haben den gleichen Zugang zu allen im SGB III verankerten Leistungen zur Förderung einer Arbeitsaufnahme wie Inländer(innen), darunter Berufsberatung, Förderung aus dem Vermittlungsbudget unter anderem zur Finanzierung von Bewerbungskosten oder der Kosten für die Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse, Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung sowie berufliche Weiterbildung und Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber.
Auch die Leistungen zur Ausbildungsförderung stehen seit den Änderungen durch das sogenannte Migrationspaket 2019 grundsätzlich allen ausländischen Staatsangehörigen zur Verfügung, wenn im SGB III nicht explizit Ausschlüsse normiert sind.18 Asylsuchende und Geduldete können ohne Einschränkung durch eine Einstiegsqualifizierung, das heißt ein Praktikum von sechs bis zwölf Monaten zur Vorbereitung auf eine Ausbildung, für das der Arbeitgeber einen Zuschuss zur Vergütung erhält, und durch den begleitenden Teil der Assistierten Ausbildung gefördert werden.19 Dies beinhaltet unter anderem Maßnahmen zur Verbesserung der Schul- und Deutschkenntnisse.20 Zu berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen21 und zu der Vorphase der Assistierten Ausbildung22 haben sie nur Zugang, wenn ihre Schul- und Deutschkenntnisse einen erfolgreichen Übergang in eine Berufsausbildung erwarten lassen und bestimmte Voraufenthaltszeiten vorliegen. Einen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe können Geduldete nach 15 Monaten Voraufenthalt haben, Asylsuchende sind hiervon jetzt vollständig ausgeschlossen.23 Sie erhalten zur vollständigen Sicherung ihres Lebensunterhalts ergänzend Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.24 Eine außerbetriebliche Berufsausbildung können Asylsuchende und Geduldete nicht aufnehmen.25
Deutschkurse
Zum Erwerb von Deutschkenntnissen als einer zentralen Voraussetzung für eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt gibt es bundesweit zwei Formate: Integrationskurse zum Erwerb von Deutschkenntnissen der Stufe B1 GER und die darauf aufbauende Berufsbezogene Deutschsprachförderung.
Personen mit einer Ermessens,- Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung können bei freien Plätzen zur Teilnahme an einem Integrationskurs zugelassen werden.26 Gleiches gilt für Asylsuchende, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist - was nach Auffassung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF)27 nur noch bei Asylsuchenden aus Syrien und Eritrea anzunehmen ist - oder die vor dem 1. August 2019 eingereist sind, nicht aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommen und "arbeitsmarktnah" sind oder Kinder unter drei Jahren betreuen. Nicht arbeitsmarktnah sind Asylsuchende, die (noch) nicht arbeiten dürfen.28 Eine berufsbezogene Deutschsprachförderung können alle erhalten, die einen Integrationskurs besuchen könnten, zusätzlich auch alle "arbeitsmarktnahen" Geduldeten.29 Unabhängig davon bieten verschiedene Bundesländer und Kommunen Deutschkurse in sehr unterschiedlichen Umfängen und Niveaustufen an.30
Ungelöste Probleme
Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind komplex und im Hinblick auf einzelne Zugänge und Ausschlüsse bei den Förderleistungen auch nicht stringent. Problematisch ist, dass die meisten Geduldeten und viele ab 1. August 2019 eingereiste Asylsuchende keine Möglichkeit haben, systematisch Deutsch zu lernen. Auch die erhebliche Ausweitung der Arbeitsverbote wird viele langfristig vom Arbeitsmarkt aussperren. Dies kann auch zum Verlust der Beschäftigungsfähigkeit führen und somit eine spätere Arbeitsmarktintegration erheblich erschweren.
Anmerkungen
1. https://bit.ly/3efQ2W9
2. Einzelheiten zum Projekt und zu den Veröffentlichungen der rechtlichen Informationsstelle: www.esf-netwin.de
3. Von 2015 bis 2019 begleiteten neun Netzwerkpartner rund 2250 Geflüchtete, von denen 35 Prozent in Arbeit, Ausbildung oder die Nachholung eines Schulabschlusses vermittelt wurden. Erweitert man die Betrachtung um Vermittlungen in Qualifizierungen, Praktika, Sprachkurse etc., wurden über 70 Prozent in Richtung Arbeitsmarktintegration aktiv unterstützt.
4. Vgl. Unternehmensinfos des Projekts ZBS AuF II zur Aufenthaltssicherung durch Beschäftigung, zur Ausbildungs- und zur Beschäftigungsduldung: www.caritas-os.de/zbs-auf/start
5. § 4 a Abs. 1 und 4 AufenthG.
6. § 61 Abs. 1 Satz 1 und 2; Abs. 2 Satz 1 AsylG.
7. § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG.
8. Vgl. Projekt Netwin 3, Übersicht zu Gerichtsentscheidungen zu Mitwirkungspflichten, s. www.esf-netwin.de/recht.php
9. Vgl. Schuster, A.; Voigt, C.: Erwerbstätigkeit mit humanitärem Aufenthalt, Duldung und Gestattung. In: Asylmagazin 3/2020, S. 64 ff , S. 71; anderer Ansicht: BMI: Anwendungshinweise zu § 60 b AufenthG, Nr. 1.9.
10. § 60 b Abs. 3 Satz 2 AufenthG; vgl. Projekt Netwin 3, a. a.O., Nr. 3; BMI, a. a.O., Nr. 11.10.
11. § 29 a AsylG in Verbindung mit Anlage II zum AsylG.
12. §§ 61 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3; Abs. 2 Satz 4 AsylG; § 60 a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG.
13. Formular per Kurzlink: https://bit.ly/3fqhNfq
14. § 39 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG; BA, Fachliche Weisungen Aufenthaltsgesetz und Beschäftigungsverordnung, Stand: 3/2020, Rn. 39.010-39.013.
15. § 32 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 BeschV.
16. § 60 Abs. 1 Satz 1 AsylG; § 61 Abs. 1d AufenthG.
17. § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AufenthG.
18. Projekt Netwin 3, a. a.O., Übersicht zum Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz.
19. §§ 54 a; 75 SGB III.
20. §§ 75 Abs. 2 Nr. 3; 450 Abs. 1 SGB III.
21. § 52 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB III.
22. § 175 a Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB III.
23. § 60 Abs. 3 SGB III; zur Übergangsregelung vgl. § 448 SGB III. 24. §§ 3; 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG; durch eine Änderung des AsylbLG wurde klargestellt, dass ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG (sogenannte Analogleistungen entsprechend dem SGB XII) entgegen § 22 SGB XII auch dann bestehen, wenn eine dem Grunde nach förderfähige Berufsausbildung begonnen wird. Die sogenannte "BAB-Falle" gibt es damit nicht mehr. 25. § 76 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 SGB III.
26. §§ 44 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 AufenthG.
27. BAMF, s. per Kurzlink: https://bit.ly/2BYAXdw zur Kritik hieran vgl. auch Weiser, B.: Das Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz. Ein Paradigmenwechsel beim Zugang zu Ausbildungsförderung und zu Deutschkursen? Beilage zum Asylmagazin 8-9/2019, S. 41.
28. §§ 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG.
29. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 DeuFöV.
30. Auskunft über die Sprachkursangebote in den Bundesländern können unter anderem die jeweiligen Flüchtlingsräte geben; über kommunale Angebote informiert auch die Stadtverwaltung.
Bestmöglich und bedarfsgerecht sollte die oberste Maxime sein
Betreuung allein reicht nicht
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